Ausgabe Nr. 2465
Theaterpremiere am Radu Stanca Theater mit „Enthüller“
„Wir haben ein Problem! Wo sind die Ärzte?“ Im staatlichen Ealing-Krankenhaus in London fehlen die Ärzte in der Notaufnahme, weil sie in Privatkrankenhäusern arbeiten. Sharmila Chowdhury, Leiterin der Radiologie-Abteilung, wird darauf aufmerksam und deckt auf, dass 250.000 Pfund durch das Nebenarbeiten der Ärzte verloren gehen. Doch dafür wird sie nicht etwa belohnt. Nein, sie wird entlassen. Sie geht vor Gericht, gewinnt, also muss das Krankenhaus sie wieder einstellen. Aber nein, ihre Arbeitsstelle wurde aufgelöst. Vier Jahre später ist Chowdhury arbeitslos und an Krebs erkrankt. Sharmila Chowdhury ist ein „Whistleblower“.
Mit diesem Thema beschäftigte sich die Regisseurin Gianina Cărbunariu in ihrem neuesten Dokumentar-Theaterstück „Oameni obișnuiti“, das am Dienstagabend (26. Januar), am Radu Stanca-Nationaltheater in Hermannstadt Premiere feierte.
Doch was ist ein „Whistleblower“? Die wortwörtliche deutsche Übersetzung dafür wäre „in die Pfeife blasen“. Gemeint ist „Enthüller“, „Skandalaufdecker“ oder „Hinweisgeber“. Im Rumänischen heißt diese Person „avertizor de integritate“. Mit anderen Worten handelt es sich um eine Person, die für die Allgemeinheit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang an die Öffentlichkeit bringt. Dazu gehören typischerweise Missstände oder Verbrechen wie Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Datenmissbrauch oder allgemeine Gefahren, von denen der „Whistleblower“ an seinem Arbeitsplatz oder in anderen Zusammenhängen erfährt. Im Allgemeinen betrifft dies vor allem Vorgänge in der Politik, in Behörden und in Wirtschaftsunternehmen.
Auf der Bühne des Radu Stanca-Theaters wurden acht Fälle von „Enthüllern“ aus Großbritannien, Italien und Rumänien dargestellt. „Im vergangenen Jahr war ich zusammen mit den Schauspielern Ofelia Popii, Mariana Mihu, Florin Coșulet und Marius Turdeanu auf einer Recherchereise in Italien, England und Rumänien. Wir haben ‚Whistleblower‘ interviewt und gefilmt. Daraus entstand das Stück“, erklärte Gianina Cărbunariu bei der vorangegangenen Pressekonferenz. Der Titel „Oameni obișnuiti“ (Gewöhnliche Menschen) soll unterstreichen, dass „Enthüller“ Menschen wie du und ich sind, die kein Auge zudrücken, wenn eine Ungerechtigkeit passiert. Das Problem dabei ist, dass sie für ihren Mut und ihre Zivilcourage, die Dinge beim Namen zu nennen, nicht belohnt werden sondern von ihren Kollegen als Verräter abgestempelt werden. Mobbing und Erpressung kommen dabei oft vor.
Ornella Pireddas Fall aus Cagliari (Italien) wurde ebenfalls auf der Bühne präsentiert. Interpretiert wurde ihre Geschichte von Ofelia Popii. Piredda entdeckt ungerechtfertigte Rechnungen im Regionalrat Cagliari, wo sie arbeitet. Doch sie stößt auf taube Ohren, also wendet sie sich an die Presse. Seitdem werden 43 Regionalräte untersucht, nachdem zum Vorschein kam, dass 5 Millionen Euro für Wertgegenstände wie TV-Geräte, Rolex-Uhren oder Autos ausgegeben wurden. Diesen Krieg führt Piredda schon seit 10 Jahren und bestraft wurde noch keiner der Regionalräte. Die einzige, die dafür zahlen musste, ist Piredda, die u. a. nur noch 10 Prozent ihrer Sehkraft besitzt. Auch heute hat sie noch Angst um ihr Leben, denn einige der Angeklagten haben gedroht, ihr etwas anzutun.
Die für die Anwesenden spannendsten Geschichten waren wohl jene von Alin Goga, Claudiu Țuțulan und Liviu Costache, alle drei Angestellte des CNADNR (Compania Națională de Autostrăzi și Drumuri Naționale din Romania), also der Gesellschaft für Autobahnen und Nationalstraßen Rumänien. Alin Goga warf Narcis Neaga, dem damaligen Generaldirektor der CNADNR Amtsmissbrauch vor. Dieser soll u. a. während des Baus des dritten Abschnitts der Autobahn Hermannstadt/Sibiu – Broos/Orăştie durch den italienischen Konzern „Salini Impregilo“ den Aufsichtsvertrag illegal aufgekündigt haben, wodurch das Unternehmen unvorschriftsmäßig die Arbeiten beenden konnte. Der genannte Abschnitt wurde nur kurz nach Inbetriebnahme geschlossen, da ein 200 Meter langes Teilstück weggebrochen und neu gebaut werden muss. Alin Goga wurde daraufhin aus seinem Amt als Regionalleiter suspendiert. Claudiu Țuțulan und Liviu Costache hatten ebenfalls Fälle von Steuerhinterziehung oder Korruption ihrer Kollegen ans Licht gebracht. Interessant zu erfahren war, dass von den drei Ländern Italien, England und Rumänien, nur Rumänien ein spezielles Gesetz zum Schutz der „avertizori de integritate“ hat, und zwar ist es das Gesetz Nr. 571/2004.
Das Theaterstück „Oameni obișnuiți“ hatte zwei Teile. Im ersten Teil fand das eigentliche Theaterstück mit den Schauspielern statt. Im zweiten Teil wurden die richtigen „Whistleblower“ auf die Bühne gebeten und es entstand dabei eine sehr interessante Diskussionsrunde. Mit dabei waren die „Whistleblower“ Ornella Piredda, Ciro Rinaldi, Sharmila Chowdhury, Ian Foxley, Alin Goga, Claudiu Țuțulan und Liviu Costache, die Regisseurin Gianina Cărbunariu, sowie Codru Vrabie, der an dem Entwurf des Gesetzes Nr. 571/2004 gearbeitet hat. Die Moderation übernahm Theaterintendant Constantin Chiriac. Alle Anwesenden kamen zu der Schlussfolgerung, dass eine korrupte Gesellschaft nur von Menschen wie den „Whistleblower“ geändert werden kann. Codru Vrabie sagte, dass jeder Rumäne das Theaterstück sehen müsse. Und Constantin Chiriac versprach sein Bestes zu tun, um die Inszenierung im Land bekannt zu machen.
Cynthia PINTER
Theaterpremiere am Dienstag: „Oameni obișnuițiˮ hieß das erste Theaterstück, das in diesem Jahr auf der Sprechbühne des „Radu Stancaˮ-Theaters am Dienstagabend gezeigt wurde. Die Vorstellung war schon eine Woche vor der Premiere ausverkauft. Die Regie führte Gianina Cărbunariu, die 2014 an der Hermannstädter Bühne „Solitaritateˮ inszeniert hat. Im Foto zu sehen ist eine Szene mit den Schauspielern (v.l.n.r.): Marius Turdeanu, Ioan Paraschiv, Florin Coșuleț, Mariana Mihu und Ofelia Popii.
Foto: Cynthia PINTER