Ausgabe Nr. 2407
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Die historische Präsidentschaftswahl 2014 in Rumänien aus geistlicher Sicht
Die Wahl von Klaus Johannis zum Präsidenten Rumäniens hat nicht nur vielen Freunden, Mitstreitern und Sympathisanten eine selten große Freude bereitet, sondern hat auch ein ganzes Land und die weitaus größere Mehrheit seiner Bevölkerung mit Bewunderung und Erstaunen erfüllt. Sie hat eine euphorische Begeisterung für einen Politiker ausgelöst, wie sie in dieser Zeit der Politikverdrossenheit seit langem, nicht mehr zu erleben war. Viele Beobachter der Ereignisse, vor allem politische Analytiker, haben dies als ein „Wunder“ bezeichnet und versucht, es in ihren Kommentaren und Stellungnahmen auf unterschiedliche Weise zu erklären. Altbischof Christoph Klein versucht es im Folgenden aus geistlicher Sicht:
Man entdeckte mit einem Mal eine neue Zivilgesellschaft, in der besonders die jungen Menschen demokratisch denken, sich in der globalen Welt zuhause fühlen und europäische Werte schätzen und für die ethnische und religiöse Grenzen kein Hindernis mehr darstellen, wenn es um Gestaltung der Zukunft eines Landes und seiner Bevölkerung geht. Man erlebte politisch reife Menschen, bei denen nationalistische Sprüche, billige Unwahrheiten sowie bösartige Praktiken aus der Position der Macht heraus nicht mehr überzeugen, sondern eher abstoßen. Man erkannte, dass die Manipulation von Menschen, die man überhaupt nur wahrnimmt, um seine Eigeninteressen durchzusetzen, durchschaut wird. Man empfand, dass die junge Generation es sich nicht mehr gefallen lässt, mit faulen Wahlversprechen gegängelt zu werden, vielmehr an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln und selbstständig zu denken und zu handeln beginnt. Man konnte sehen, dass sich die Menschen, junge und alte, nach glaubwürdigen, charaktervollen Politikern sehnen, die Rückgrat haben, große Ziele verfolgen und Visionen für die Zukunft eines Landes entwickeln können. Einen solchen Politiker haben sie in Klaus Johannis erkannt, der gerade durch seine Andersartigkeit, die die Gegner als Schwäche darstellen wollten, überzeugt.
Doch diese Erfahrung haben die Rumänen in Hermanstadt schon im Jahre 2000 gemacht, als sie nach 55 Jahren zum ersten Mal wieder einen Bürgermeister gewählt haben, der aus einer inzwischen klein gewordenen deutschen Minderheit kommt. Diese Wahl, der drei weitere Mandate folgen sollten, haben wir damals als „historisches Ereignis“ empfunden und bezeichnet.
Bereits in den frühen Jahren nach der Wende, als bei uns die Rede vom „Ende der Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ wieder aufkam, hat Klaus Johannis einmal – das werde ich nie vergessen – dieser schon in früheren Jahrhunderten geprägten Formel widersprochen und gesagt: Heute machen WIR Geschichte. Das hat er durch die sensationelle Bürgermeisterwahl in Hermannstadt verwirklicht, und man konnte durch seine großen Erfolge erkennen, dass dies stimmte. Wir haben erlebt, wie die Stadt ein neues Gesicht erhalten hat, wie ihre Bewohner sich mit ihr zu identifizieren begannen und stolz auf sie waren, wie es gelingen konnte, gleichzeitig mit dem Beitritt zur Europäischen Union 2007 „Kulturhauptstadt Europas“ zu werden und hier die „Dritte Europäische Ökumenische Versammlung“ abzuhalten. Hermannstadt wurde zu der wohl bekanntesten Stadt und dem beliebtesten Touristenziel – einmal abgesehen von Bukarest – in Rumänien.
Die Wahl des deutschen Bürgermeisters von Hermannstadt – der, wie wir alle wissen, hier als rumänischer Staatsbürger aufgewachsen ist – zum Staatspräsidenten Rumäniens ist in einem noch umfassenderen Sinn des Wortes ein „historisches Ereignis“ und ein noch größeres Wunder als jenes vor 14 Jahren. Dies zunächst deshalb, weil das höchste Staatsamt in Rumänien einem „Minderheitler“ anvertraut wurde. Aber noch erstaunlicher darum, weil sich dies in einer Zeit schwierigster politischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme in einem Land abgespielt hat, das von Grabenkämpfen und Spaltungen unter den Parteien, von Armut, Korruption und schwerer Politikverdrossenheit belastet ist. Und das Wahlergebnis ist letztlich auch deshalb sensationell, weil ihm eine Wahlkampagne vorausgegangen ist, die von einer nie da gewesenen Brutalität und Bösartigkeit gegenüber dem Kandidaten der „Christlich-Liberalen Allianz“ Klaus Johannis geführt wurde, die unter allem Niveau einer politischen Auseinandersetzung war.
Angesichts dieses Wahlverlaufes ist die Frage gewiss noch dringlicher, wie es möglich wurde, dass das Ergebnis so war, wie wir das heute kennen und bewundern. Christen – und zumal Theologen – versuchen solch ungewöhnliche und besondere geschichtliche Ereignisse geistlich zu verarbeiten und mit dem biblischen Glaubensgut von der „Führung Gottes“ im Leben des Einzelnen, aber auch in der Geschichte zu deuten. Der große protestantische Theologe Karl Barth hat dazu das berühmte Wort gesagt: „Es wird regiert!“. Er meinte damit, dass Gott unser Leben und auch den Lauf der Geschichte lenkt. Mir ist bei der Verfolgung dieses – man kann es nicht anders sagen – schmutzigen Wahlkampfes und der unwahren und ungerechten Angriffe gegen einen Kandidaten für das höchste Amt im Staat das Wort aus der bekannten alttestamentlichen Geschichte von Josef und seinen Brüdern eingefallen, die auch Thomas Mann in seinem monumentalen vierteiligen Roman gleichen Namens behandelt hat. Es heißt im 1. Buch Mose im 50. Kapitel in den Versen 19-20: “Josef sprach zu seinen Brüdern: Fürchtet euch nicht … Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, UM ZU TUN, WAS JETZT AM TAGE IST; NÄMLICH AM LEBEN ZU ERHALTEN EIN GROSSES VOLK.“ Die Brüder Josefs hatten nach diesem biblischen Bericht ihren Bruder ausgrenzen, ja vernichten und dem Tod preisgeben wollen. Doch Gott hat es so gelenkt, dass gerade durch diese „bösen Taten“ Josef schließlich vom Pharao in Ägypten zum höchsten Amt seines Landes eingesetzt wurde und in diesem bald darauf das Volk vor Hungersnot und Verderben bewahren sollte.
Das Wort Josefs hilft auch zur Deutung unserer Erlebnisse bei dieser Präsidentenwahl. Das Böse, das im Wahlkampf auch bei der Behandlung der ausländischen Wähler geschehen ist, hat eine unwahrscheinliche Empörung hervorgerufen, die sich gegen diejenigen gewandt hat, die vor kurzem noch meinten, dass der Wahlsieg auf ihrer Seite enden würde, in dieser Erwartung jedoch arg enttäuscht wurden. Unrecht gedeiht nicht! Es wendet sich wie ein Bumerang gegen den, von dem das Böse ausgeht. Das ist eine biblische Wahrheit, aber auch eine Wirklichkeit, die in den Wechselfällen unseres Lebens heute noch gilt.
Mit Umsicht ist jedoch zu bedenken: Gott hat an Josef so gehandelt, dass dieser tue, „was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk“. Die feindlichen, doch von Josef versöhnten Brüder, fürchteten trotzdem seine Rache oder Vergeltung. Und sie erhielten die Versicherung, dass die Feindschaft aufgehört und die Versöhnung Bestand habe und dass in die Zukunft geblickt und getan werden müsse, „was am Tage ist“.
Vor dem neuen Staatspräsidenten Klaus Johannis steht ein großes, hartes Werk. Er tritt ein schweres Erbe an. Rumänien braucht Versöhnung und Einigkeit unter seinen Politikern und deren Anhängern. Eine neue „Streitkultur“, eine andere als die, die man im Wahlkampf erlebt hat, muss gelernt und gelebt werden. Klaus Johannis hat diese „andere Art“, Differenzen auszutragen und mit ihnen umzugehen, und dies in seiner durchdachten, kultivierten und eindringlichen Diktion und den Umgangsformen im Wahlkampf erwiesen. Er ist der, der Einheit zu meistern hat und dafür Verstand und Erfahrung mitbringt. Er ist ein „Präsident für alle Rumänen“ in der Weise, wie er das in seinem Buch „Schritt für Schritt“ („Pas cu pas“) ausgeführt und in seinen ersten Erklärungen nach der gewonnenen Wahl angesprochen hat. Er wird für alle da sein: für die, die ihn gewählt und ebenso für die, die ihn nicht gewählt haben, wie auch für die Rumänen im Ausland und gleichermaßen für die Bürger und Bürgerinnen anderer ethnischer und religiöser Herkunft. Er wird für Ausgleich sorgen und äquidistant bleiben. Und er wird seine Kompetenzen als Staatspräsident nicht überschreiten und ein tragbares Verhältnis zur Regierung aufbauen.
„Es wird regiert.“ Josef sagte seinen Brüdern an der erwähnten Stelle auch: „Stehe ich denn an Gottes statt?“ – Wer weiß, dass Gott regiert – und das weiß der praktizierende Christ im Amt des Staatpräsidenten ebenso wie seine Gattin Carmen Johannis sehr wohl -, der weiß auch, dass Regierende in dieser Welt bloß Gottes Mitarbeiter und Werkzeuge sind, von denen jedoch viel abhängt, um alles zu tun, damit sie zum Segen und Wohl der vielen Menschen des Landes wirken. Dazu bedarf auch der höchste Amtsträger im Staat – und dieser ganz besonders – den Segen Gottes, den Beistand seiner Berater und Mitarbeiter und unser aller Mithilfe – und sei sie allein im Gebet.
Gott schenke unserem neuen Staatspräsidenten KLAUS JOHANNIS die Kraft, Weisheit und eine gute Hand für all das, was er nun zu bewältigen gerufen ist, „um am Leben zu erhalten ein großes Volk.“
Im November 2006 freuen sich Hermannstadts Bürgermeister Klaus Johannis (links) und Bischof D. Dr. Christoph Klein bei einer Gesprächsrunde im Barockzimmer im Brukenthalpalais am Großen Ring über die Rückerstattung des Brukenthalpalais und der Brukenthalschen Sammlungen an die evangelische Kirchengemeinde A. B. Hermannstadt.
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