Ausgabe Nr. 2392
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Gedenkveranstaltung zu 70 Jahren Evakuierung und Deportation eröffnet
Am 3. August startete aus Hermannstadt eine besondere Pilgerreise unter dem Titel „Glauben und Gedenken. Kirche unterwegs – 70 Jahre seit Evakuierung und Deportation“. Damit will die europaweite Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen den historischen Einschnitt bedenken, den für sie die Flucht der Nordsiebenbürger 1944 darstellt.
Damit wollen die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien, die Gemeinschaft Evangelischer Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, der Bundesverband der Siebenbürger Sachsen in Österreich sowie die Heimatortsgemeinschaft Bistritz-Nösen den Weg der Flucht, des Trecks und dessen Ankunft symbolisch nachzeichnen.
Der Untertitel der Veranstaltungsreihe hat eine tiefere Bedeutung: Der Begriff „Kirche unterwegs“ wird dem in der Vergangenheit oft missbrauchten und missverstandenen Wort „die Kirche wandert nicht aus“ entgegengestellt. Die Heimatkirche macht sich so – im Sinne ihrer Bemühungen der letzten Jahre – auch tatsächlich auf, um den Weg zu gehen, den die meisten ihrer anvertrauten Gemeindeglieder in Flucht, Familienzusammenführung und Aussiedlung schon vor ihr gegangen sind. Es wird damit nicht nur eines isolierten historischen Ereignisses gedacht sondern die Evakuierung von 1944 stellt den sichtbarsten Einschnitt einer neuen Situation dar, einer Situation unter der alle Familien der Siebenbürger Sachsen in Zukunft schwer zu tragen hatten. Mit der Evakuierung, gefolgt von der Deportation 1945 und den Repatriierungen nach Deutschland zerreißt die jahrhundertealte lokale Einheit der Gemeinschaft. Ab dem Zeitpunkt 1944 steht die Frage „Bleiben oder Gehen“ auf der Agenda von Einzelpersonen, Familien, Ortsgemeinden und sächsischen Institutionen. Und wie immer sie sich auch entschieden haben, es waren schwere Entscheidungen und folgende Belastungen, denn jede private Entscheidung hatte kollektive Folgen. Natürlich hat es schon in der Zeit vor dem Weltkrieg Auswanderungen gegeben, genannt sei nur die Arbeitssuche einiger Tausend in Amerika, aber erst die Nachkriegsereignisse sollten den Fortbestand in der Heimat in Frage stellen und die Siebenbürger Sachsen vor die Frage der Zukunft stellen.
Darum ist „Glauben und Gedenken“ mehr als eine Veranstaltungsreihe. Es ist eine geistige Verknüpfung zwischen den in Siebenbürgen Verbliebenen und deren Brüdern und Schwestern aus Österreich und Deutschland sowie deren neuem Umfeld. Konkret folgt die Heimatkirche der Aufforderung des Ökumenischen Rates der Kirchen, der in seiner Vollversammlung in Busan/Koreea, 2013, die Kirchen aufgerufen hat eine „Pilgerreise für Frieden und Gerechtigkeit“ zu unternehmen. Das geschieht nun, in einem spezifischen Kontext. Die Pilgerreise sucht inhaltlich Antworten auf die Frage welche Werte die Siebenbürger Sachsen auf die Flucht, aber auch auf jeden Lebensweg und in jedes neue Umfeld mitgenommen haben. Glauben, Frömmigkeit, Gemeinschaft, Kirche, Diakonie, Geschichte, Bildung und Traditionen sind die Werte die bei dieser Reihe auf den Prüfstand kommen. Sind es aber auch die Werte, die die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen in neuer Zeit, unter den Umständen einer europäischen Diasporaexistenz leiten können? Der Weg dieser Pilgerreise begann am Sonntag in Hermannstadt, gefolgt von den Stationen in Sächsisch Regen (24. August) und Bistritz (13.-14. September). Danach folgen Stationen in Ungarn (Budapest, 21. September), Österreich (27.-28. September, Wels und Seewalchen/Rosenau sowie 17. und 19. Oktober, Traun) und Deutschland, wo am 26. Oktober gleichzeitig in Rothenburg ob der Tauber und in Nürnberg der Evakuierung gedacht wird. Den Abschluss findet die Gedenkveranstaltung im Jahre 2015 – nun verstärkt mit Ausrichtung auf die Deportation – in Karlsruhe (6. Januar) und auf Drabenderhöhe (18. Januar).
Im „Gepäck" dieser Reise befindet sich eine Ausstellung zu den Werten der Siebenbürger Sachsen aber auch die geschichtliche Ausstellung „Aufbruch ins Ungewisse“ und das Buch „Wir Nösner“. Die Gottesdienste, die das Herzstück jeder Station der Pilgerreise darstellen, werden immer gemeinschaftlich von jetzigen Pfarrern der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, von aus Siebenbürgen stammenden Pfarrern sowie Ortspfarrern gestaltet.
Zu den einzelnen Stationen wird ganz herzlich eingeladen. Diskussionen über die Werte der Zukunft sind erwünscht.
Details und Anfragen unter ekr@siebenbuerger.de
Stefan COSOROABẶ
Der Gedenkgottesdienst am Sonntag in der Johanniskirche, wo die Ausstellung ihre erste Station hatte, endete mit einem gemeinsamen Heiligen Abendmahl, gereicht von Stadtpfarrer Kilian Dörr, Bischof Reinhart Guib, der Hermannstädter Kuratorin Anita Pavel und dem Landeskirchenkurator Friedrich Philippi (v. l. n. r. vor dem Altar im Hintergrund).
Pfarrer i. R. Wolfgang Rehner (links) stellte die Ausstellung „Aufbruch ins Ungewisse" vor, die im Hof des Teutsch-Hauses zu sehen war.
Fotos: Beatrice UNGAR