Ausgabe Nr. 2385
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Rückblick auf das 21. Internationale Theaterfestival in Hermannstadt
Es war die erfolgreichste Auflage aller Zeiten. Das Internationale Theaterfestival Hermannstadt, kurz Sibfest, endete am 15. Juni mit einem riesengroßen Feuerwerk, das etwa 15 Minuten dauerte. Es waren neun Tage, an denen die Stadt am Zibin von Künstlern aus 72 verschiedenen Ländern „überfallen und erobert" wurde. Laut den Organisatoren sollen über 600.000 Menschen die 21. Auflage des Theaterfestivals besucht haben. Die meisten davon sahen sich die Veranstaltungen im Freien an. Vor allem die Konzerte und Zirkusshows auf dem Großen Ring zogen eine große Anzahl von Hermannstädtern in ihren Bann.
Wer richtiges Theater sehen wollte, musste sich sputen und zur Zeit Eintrittskarten besorgen. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Festivals war laut Presseabteilung des Theaters die Hälfte der Tickets ausverkauft gewesen. Spontan ins Theater gehen? Fehlanzeige. Doch, wie sich herausstellte, brauchte man nur etwas Geduld und Durchsetzungsvermögen. Wer sich kurz vor Theaterbeginn in die Warteschlange stellte, eine Karte kaufte und wartete bis alle mit Eintrittskarten einen Platz besetzt hatten, durfte auch hinein. Es blieben fast bei jeder Veranstaltung jene Plätze unbesetzt, die für die geladenen Gäste mit Einladungen gedacht waren. Eine Ausnahme machte das Stück „Păi…Despre ce vorbim noi aici, domnule?“ von Cătălin Ștefănescu. Hier war der Andrang so groß, dass viele auf den Stufen und auf dem Boden des Sportsaals des Octavian Goga-Lyzeums – wo das Stück gezeigt wurde – Platz nahmen. Die Starbesetzung durch die Alt-Schauspieler Marcel Iureș und George Mihăiță vom Theater Act aus Bukarest war wohl der Grund für das große Interesse an diesem Theaterstück, das ausnahmsweise zweimal, am 13. und 14. Juni aufgeführt wurde. Inspiration für die Vorstellung lieferte der in Rumänien wohlbekannte Roman „Moromeții“ von Marin Preda. Unter der Regie von Alexandru Dabija verkörperten die beiden rumänischen Schauspieler Ilie Moromete und seinen Nachbarn Cocoșilă. Das Schauspiel ist ein einziger ununterbrochener Dialog zwischen den beiden, über Politik, Ethnien, Dummheit und das Leben allgemein. Zwischendurch wurde auf der Bühne auch gegessen. Iureș und Mihăiță verputzten eine deftige Portion Bohnen mit einer roten Zwiebel, was vielen Zuschauern das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
Etwas lustiger ging es im Thaliasaal zu, wo ebenfalls am 13. Juni die vier Briten von „Cantabile-The London Quartet“ ein wunderbar erfrischendes Konzert boten. Anderthalb Stunden wurde nur gesungen. Obwohl „nur“ gesungen etwas falsch ausgedrückt ist. Ihr Motto lautet: „Humor und Harmonie Acapella Style“. Richard Bryan (Tenor), Steven Brooks (Tenor), Mark Fleming (Tenor) und Michael Steffan (Bariton) singen seit 1982 und begeistern das Publikum mit ihren Stimmen und dem Humor, den sie ihren Vorstellungen beifügen. Im Thaliasaal sangen sie Lieder von Take That, Michael Jackson, Flying Pickets u.a. Die Überraschung war, dass die vier Sänger den Sommerhit „Vara nu dorm“ von Connect-R einstudierten und vor dem rumänischen Publikum vortrugen.
Talent scheint sich zu vererben. Das bewies Florin Piersic Jr. in seiner One-Man-Show unter dem Titel „Freakshow“ am Samstag, dem 14. Juni, im Gong-Theater. Er verkörperte darin 13 verschiedene Persönlichkeiten, darunter einen Professor, einen Bauarbeiter, einen Obdachlosen, einen Bankdirektor, einen Rentner, eine Stewardess und eine Putzfrau. Keine der Charaktere waren Stereotypen, sondern Persönlichkeiten, mit denen man lachen, sich freuen oder mit denen man streiten und weinen konnte. Florin Piersic Jr., der das Stück selber geschrieben hat, schlüpft in all diese Rollen und verwandelt sich in Sekundenschnelle wie ein Chamäleon in verschiedene Gestalten, die er meisterhaft und sehr überzeugend interpretiert.
Überzeugt hat auch Jake Goodman in „Kaddish", inszeniert von Barbara Lanciers nach dem Roman „Kaddisch für ein nicht geborenes Kind" von Imre Kertész am Freitag im Gong-Theater. Lanciers erzählte, dass bei der Aufführung in Budapest die Gattin des Literaturnobelpreisträgers dabei gewesen sei und im Anschluss den Protagonisten wortlos umarmt habe. Wer bei der Aufführung in Hermannstadt dabei gewesen ist, kann das vielleicht verstehen. Der Monolog geht richtig unter die Haut.
Ebenfalls im Gong-Theater spielten am Donnerstag die Salzburger vom ecce Theater „Gegen die Liebe" aus der Gegen-Trilogie des Katalanen Esteve Soler. Im Vorfeld hatten die Hermannstädter „Gegen die Demokratie" im Studiosaal im Gewerkschaftskulturhaus aufgeführt und danach im Gong-Theater „Gegen den Fortschritt".
Wie jedes Festival, das etwas von sich hält, hatte auch das Theaterfestival eine Preisverleihung im Programm. Nach dem Walk of Fame in Hollywood abgeguckt haben die Organisatoren die Allee der Prominenten (Aleea Celebrităţilor), die im vergangenen Jahr ins Leben gerufen wurde. Diese Allee befindet sich an der Oberen Promenade, zwischen den Wehrmauern, wo jedes Jahr neue Sterne an Berühmtheiten aus der Welt des Theaters vergeben werden. Am vorletzten Tag des Festivals wurden sieben weitere Sterne auf der Allee feierlich aufgedeckt. Bürgermeister Klaus Johannis hatte die Ehre, die Urkunden zu überreichen und die Laudatio las Festivalleiter Constantin Chiriac.
Die Sterne in der „Walk of Fame” bekamen in diesem Jahr Martin Hochmeister (post mortem) für die Gründung im Jahre 1788 des ersten Theaters auf dem Territorium des jetzigen Rumäniens,
Radu Stanca (post mortem), für seine Werke und seine Tätigkeit als Dichter, Schauspieler und Regisseur, Gigi Căciuleanu für seine Tätigkeit als Choreograf, Regisseur und Tänzer, Leiter des Nationalen Choreografie-Zentrums in Rennes und des Nationalballetts von Chile, Peter Brook für die Reformation des Theaters in den vergangenen 70 Jahren, Lev Dodin für die Gründung des Maly Drama Theaters, Peter Stein für die Erfindung des Phänomens „Schaubühne“ und Krystian Lupa „für seine einzigartige Stimme im polnischen und internationalen Theater“.
Peter Stein konnte man am Samstag im Dialog mit dem Theaterkritiker George Banu im Habitus-Zentrum unter der römisch-katholischen Stadtpfarrkirche erleben. Banu stellte Stein als „Mythos" vor, als „Erbauer der Kathedrale des zeitgenössischen Theaters". Stein gab bescheiden zurück: „Ich weiß nicht, ob ich ein großer Künstler bin, aber ich kann Sachen machen, die andere nicht machen wollen." Er brach wie immer eine Lanze für das Sprechtheater, das er für das „echte Theater" halte. Irgendwann kamen die beiden auch auf den britischen Autoren Harold Pinter zu sprechen. Die Uraufführung dessen Stücks „The Homecoming“ hatte Stein 1965 in London tief beeindruckt und nun hat er sich seinen damals gehegten Traum erfüllt. Er inszenierte das Stück unter dem Titel „Il Ritorno A Casa" am Teatro Metastasio Stabile Della Toscana für das Spoleto56 Festival dei 2 Mondi 2013. Die Inszenierung, die am Sonntag Abend den Theaterreigen auf der Bühne des Radu Stanca-Nationaltheaters krönend abschloss, ist so etwas wie eine Zumutung. Aber ist das Leben selbst nicht auch eine Zumutung? Was auf der Bühne innerhalb von zweieinhalb Stunden gespielt wird, läuft über ca. vier Tage oder so. Im Leben kann man auch nicht den forward Knopf drücken oder wegzappen.
Wie auf einem Schachbrett bewegen sich die Protagonisten auf der Bühne, der Vater, seine drei Söhne und sein Bruder „schwirren" regelrecht um die Frau des ältesten Sohnes Teddy herum, die Spannung wird allmählich aufgebaut, fast in Echtzeit. Zum Schluss knistert es richtig, auch wenn sich niemand mehr bewegt und alle schweigen, bis auf den Vater, der erbärmlich auf den Knien zu der Frau rutscht, und bettelt: „Küss mich!“
Der Stehapplaus war mehr als verdient, indessen kam der Regisseur nicht auf die Bühne. Er war noch in der Stadt unterwegs. Stein hatte im Gespräch mit George Banu gesagt, er halte zwar nicht viel von Theaterfestivals aber in Hermannstadt fühle er sich wohl. Dies hat wohl dazu geführt, dass er die Zeit vergaß und nicht rechtzeitig zum Theater zurückgekommen war. Stein ist nämlich nach eigener Aussage nie bei Premieren seiner Inszenierungen anwesend. In Hermannstadt war es ja eine Premiere…
Und im nächsten Jahr kommt der vor allem durch seine Rollen in István Szabós „Mephisto" (1981) und „Out of Africa" bekannte Schauspieler Klaus Maria Brandauer zum Hermannstädter Internationalen Theaterfestival, das wie die Veranstalter bekannt gaben, vom 12. bis 21. Juni stattfinden wird.
Brandauer spielt Krapp in Samuel Becketts „Krapp's Last Tape" (Das letzte Band) in der Regie von Peter Stein. Man darf sich auf ein Wiedersehen mit dem Ausnahme-Regisseur freuen. Und auf die argentinische Choreographin Brenda Angiel.
Cynthia PINTER
Beatrice UNGAR
Foto 1: Theater wie es im Buche steht: Ein Höhepunkt und krönender Abschluss des diesjährigen Theaterfestivals war die Vorstellung des Stücks „Il ritorno a casa" (Die Heimkehr) von Harold Pinter in der Regie von Peter Stein, eine Produktion des Teatro Metastasio stabile della Toscana. Unser Bild: Szenenbild mit Arianna Scommegna (Ruth), Paolo Graziosi (Max), Andrea Nicolini (Teddy), im Hintergrund Antonio Tintis (Joey) und im Spiegel zu sehen Elia Schilton (Sam).
Foto 2: Peter Stein nimmt die Urkunde über „seinen Stern" auf der Allee der Prominenten von Hermannstadts Bürgermeister Klaus Johannis entgegen.
Foto 3: Florin Piersic Jr. spielte auch einen Obdachlosen.
Foto 4: George Mihăiță (links) und Marcel Iureș, zwei Ausnahmeschauspieler der rumänischen Theaterszene.
Fotos: Cynthia PINTER