Vermächtnis und Ansporn zugleich

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Ausgabe Nr. 2361
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5. Band „Jüdische Frauen in der bildenden Kunst“ von Hedwig Brenner

 

 

Für ihre vier  Lexika „Jüdische Frauen in der Bildenden Kunst“ wurde Hedwig Brenner 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet.   Diese Medaillen waren ihr auch ein Vermächtnis und Ansporn. Ohne Zögern nahm sie die Kraft ihres Alters, ihrer dreiundneunzig Lebensjahre zusammen, und machte sich erneut an die Arbeit. Malerinnen, Designerinnen, Illustratorinnen, Weberinnen, Bildhauerinnen, Töpferinnen, Gold- und Silberschmiedinnen und Fotografinnen sind vereint in diesem „Unkonventionellen“ Lexikon, wie Hedwig Brenner ihre Arbeit nennt.

 

 

In den Band V, der vor kurzem im Hartung-Gorre Verlag Konstanz erschienen ist und den sie Anfang November d. j. in Berlin vorstellte, nahm sie zum ersten Mal Architektinnen, Stadtplanerinnen und Landschaftsarchitektinnen auf. Den Anreiz hatte sie im Bauhaus Dessau auf der 21. Tagung der Arbeitsgemeinschaft „Frauen im Exil“, im Jahr 2011 erhalten, wohin sie als Ehrengast eingeladen war und über das Schicksal der Architektin Zsusanna Klara Banki aus Györ in Ungarn hörte, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Andere Namen kamen hinzu, der Berg der Biografien wuchs auf über vierzig. Bereits in den 1920-er Jahren absolvierten diese Frauen Technische Hochschulen und Akademien in Europa, um Diplome abzulegen. Die Architektin und Stadtplanerin Genia Awerbuch aus Russland war eine von ihnen und bereits in den 1930-er Jahren entstand unter ihrer Planung der „Zina Dizengoff Platz“ in Tel Aviv im Stil des Bauhauses inmitten der „Weißen Stadt“.

Ruth Enis, die Landschaftsarchitektin, wurde 1928 in Czernowitz  in der Bukowina geboren und kam bereits als Kind nach Palästina. Nach Lebensodysseen studierte sie am Technion in Haifa  Architektur und Stadtplanung. In Amsterdam setzte sie das Studium fort, bekam ihr Diplom, als Professorin arbeitet sie bis heute am Technion in Haifa. Internationale Einladungen bekam sie in den Jahren, ihre Publikationsliste ist reichhaltig. Weitere 42 hochinteressante Biografien von Architektinnen, Stadtplanerinnen und Landschaftsarchitektinnen sind von Hedwig Brenner in das Lexikon aufgenommen worden.

Das 2. Kapitel trägt die Überschrift „Bildhauerinnen, Töpferinnen, Gold- und Silberschmiedinnen“. 40 Biografien gibt es in diesem Kapitel, eine davon ist Vera Gellert, die 1929 in der Nähe von Budapest geboren wurde. Mit der Familie kam sie ins Ghetto, die Schwester wurde nach Dachau deportiert. Vera überlebte die unmenschliche Zeit. Auf großen Umwegen über Zypern erreichte sie später Israel, studierte in Jerusalem an der Kunstakademie, heiratete, bekam Kinder und arbeitete als Kunsttherapeutin. In verschiedenen Museen und Galerien wurden ihre Bildhauerwerke und Acrylbilder ausgestellt. In Tel Aviv ist ihr Zuhause.

Reichhaltig ist die Anzahl der Fotografinnen-Biografien, über 119 Künstlerinnen hat Hedwig Brenner geschrieben.  Rachel Hirsch wurde z. B. noch vor Kriegsbeginn 1937 als Tochter eines Arztes in Berlin geboren. In Windeseile floh die Familie vor den Nazis mit dem letzten Schiff nach Bolivien. Rachel und ihre Geschwister besuchten dort die Schule, 1949 kam die Familie Hirsch an die Levante, nach Israel. In dem neu gegründeten Staat studierte Rachel Jahre später an der Universität in Jerusalem, 1967-70  an der Staatlichen Fachhochschule für Fotografie in Köln. 25 Jahre arbeitete sie als freie Fotojournalistin für die Zeitung Ha’aretz und anderen Journalen. Ihre Fotoausstellungen waren in internationalen Galerien in unterschiedlichen Ländern zu sehen. In Ramat Gan wohnt sie seit Jahrzehnten.

Im 4. Kapitel werden 151 Malerinnen, Designerinnen, Illustratorinnen und Weberinnen vorgestellt. Eine davon ist die 1905 in Budapest geborene Edith Ban-Kiss, 1944 nach Ravensbrück deportiert, dann in ein Arbeitslager nach Genshagen bei Ludwigsfelde, südlich von Berlin. Kurz vor Kriegsende wurde sie mit anderen Häftlingen auf den Todesmarsch geschickt, überlebte und  flüchtete 1945  nach Ungarn. Ihre Skizzen aus dem Lagerleben sind bekannt geworden, auch ihr Album „Deportation“, das bereits 1948 in Budapest ausgestellt wurde.  Edith Ban-Kiss emigrierte nach Frankreich, lebte einige Zeit mit ihrem Mann in Marokko. 1966 nahm sie sich das Leben.

Ein Fundus von 353 hochinteressanten Künstlerinnenbiografien ist entstanden in dem „unkonventionellen“ 5. Lexikon von Hedwig Brenner, der inzwischen fünfundneunzigjährigen Lexikographin. Eine hervorragende, nicht zu  beschreibende Leistung.

Christel WOLLMANN-FIEDLER

Hedwig Brenner: Jüdische Frauen in der bildenden Kunst V. Ein biographisches Verzeichnis. Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn, Hartung-Gorre Verlag Konstanz, 2013, 176 S., Bilder-CD, ISBN 978-3-86628-473-X

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kultur.