Ausgabe Nr. 2330
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Dagmar Dusils Erzählband „Wie die Jahre verletzen“
Den meisten Lesern dürfte Dagmar Dusil vor allem als Autorin des immer wieder neu aufgelegten Werkes „Blick zurück durchs Küchenfenster“ (2001) bekannt sein – eine glücklich-nostalgische Mischung aus Koch- und Erinnerungsbuch, das demnächst auch in rumänischer Übersetzung (Curtea Veche, Bukarest) erscheinen wird. Diesem Titel folgte 2006 ein weiteres Buch in etwa nach dem gleichen „Rezept“ („Reisegeschichten mit Gaumenfreuden“, Betty Strobel, Eurasisches Magazin) mit dem schönen Titel „Kulinarisches Heim- und Fernweh“ (Johannis Reeg Verlag, Bamberg). 2012 schließlich veröffentlichte die gebürtige Hermannstädterin gleich zwei neue Bücher – „Hermannstädter Miniaturen“ sowie den Prosaband „Wie die Jahre verletzen“ (beide desgleichen bei Johannis Reeg).
Für jene, die „Blick zurück durchs Küchenfenster“ nicht bloß wegen der Rezepte gekauft haben, dürfte nach der Lektüre dieses ersten Buches von Dagmar Dusil klar gewesen sein, dass die Autorin früher oder später auch als Erzählerin auftreten könnte – der achtzehn Prosatexte umfassende Band „Wie die Jahre verletzen“ ist inzwischen der Beweis dafür.
In ihrem Vorwort zu den teilweise autobiographisch geprägten rumäniendeutschen Geschichten (der siebenbürgische Hintergrund ist auch in den in Deutschland angesiedelten Prosatexten präsent wie ein Identitätsschatten!) schreibt die in Rosenau aufgewachsene Schriftstellerin Ioana Ieronim: „In Dagmar Dusils Buch finden wir bemerkenswerte Seiten, die von einem außergewöhnlichen affektiven Gedächtnis zeugen und die zeigen, wie ein Kind schon früh die große Angst erfährt. Es lernte, wie es ist, das Unerträgliche zu ertragen. Es wurde sich dessen bewusst, dass die Erwachsenen es nicht beschützen können, da sie selber so verletzbar waren (Deportation, Gefängnis, Enteignung von Hab und Gut, wofür Generationen geschuftet haben, Tod).“
Aber Dusils Erzählband ist thematisch viel breiter gespannt als die hier in dieser Klammer angesprochenen Realien der Nachkriegszeit, umfassen sie doch praktisch die gesamte Geschichte der Rumäniendeutschen nach 1945 – bis hin zur Auswanderung und der problematischen Ankunft in der bundesdeutschen Gegenwart.
„Seit Monaten haben wir keine Nachricht von Vater. (…) Der Winter würgt dem Dorf den Atem ab. Die Zuversicht der Bewohner ist in den Eiszapfen eingefroren, die an den Häuserrinnen hängen“, heißt es bildhaft in „Der Abendgast“ – ein kinder- und menschenfreundlicher russischer Offizier. Der siebenbürgisch-deutsche Nachkriegsalltag leuchtet mitunter in ein paar Sätzen beispielhaft auf – so auch in „Die Mütze“: „Paul ist traurig, hätte Vater nicht die falsche Uniform angehabt, hinge sein Bild noch über seinem Bett.“ Die deutsche also, mit dem Totenkopf auf der Mütze…
Neuer kommunistischer Alltag: „Die alten Neuen Wege wurden sorgfältig gestapelt und aufbewahrt. Mutter putzte damit die Fenster oder schlug im Herbst das Gemüse darin ein. Der Neue Weg wurde auch im WC gelagert, da es kein Toilettenpapier gab.“ („Goldenes Schweigen“)“
„Der Herbst ist unberechenbar wie das neue Regime“ ist ein Vergleich, der aus „Bilder einer Kindheit“, wohl das Herzstück des Bandes, herausragt. Knapper kann Kommunismus kaum definiert werden. Und plastisch geht’s weiter, wenn es etwa heißt: „Wie die Katzen hat auch der Radioapparat ein grünes Auge. Wenn es zuckt, sind die Worte besonders gefährlich. Vater dreht das Radio leiser, hält sein Ohr dich an den Apparat.“
Der Erzählband schließt mit „Waterloo“ – die Geschichte einer versuchten Anwerbung einer jungen Englischlehrerin als Kader des Verbands der Kommunistischen Jugend (UTC). Als einer, der ich eine ähnliche Erfahrung bereits als Student gemacht habe (allerdings wollte man mich als Inoffiziellen Mitarbeiter, wie es so beschönigend im Stasi-Deutsch der DDR hieß, anwerben), erkenne ich das klassische Anwerbungsmuster wieder: Man zieht dem „Kandidaten“ eine Menge Honigfäden durch den Mund (um eine siebenbürgisch-sächsische Redewendung, die ich von meiner Mutter gehört habe, zu verwenden), ködert einen also gewaltig mit allerlei Privilegien – das Regime der angestrebten absoluten Gleichheit aller seiner Bürger war alles andere als klassenlos, sondern schlichtweg ein Zweiklassensystem bestehend aus Privilegierten (die Nomenklatura im weitesten Sinne) und Nicht-Privilegierten (das Gros der Bevölkerung).
Dagmar Dusils „schlichte, bewegende Prosa“ (Brigitte Stamm, Siebenbürgische Zeitung, 2. Januar 2013) kann gut auch als eine kleine Einführung in die rumäniendeutsche (Alltags)Geschichte von hüben und von drüben gelesen werden – und dies mit literarischem Genuss.
Michael ASTNER