Vielschichtiges Thema Arbeitsmigration

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Spannende Gesprächrunde bei den ,,Hermannstädter Gesprächen“ im Spiegelsaal

Ausgabe Nr. 2908

Die Gäste der „Hermannstädter Gespräche“: Moderator Mihai Hașegan, Roxana Dobrilă, Laura Căpățână Juller, Erika Klemm, Dr. Thomas Pitters und Ruxandra Empen (v. l. n. r.).
Foto: Cynthia PINTER

Nach den sehr erfolgreichen Diskussionsabenden zu den Themen „Zu den Wurzeln“ (am 6. November 2024) und „Gedanken – Gedenken. 80 Jahre seit dem Beginn der Russlanddeportation aus der Perspektive der Kindergeneration“ (am 29. Januar) fand am vergangenen Mittwoch, dem 2. April, ein wiederum spannender Dialog im Rahmen der „Hermannstädter Gespräche“ im Spiegelsaal statt. Das Gespräch, zu dem ifa-Kulturmanagerin Christiane Böhm, einlud, drehte sich diesmal um das Thema „Alles in Bewegung? Globale Arbeitsmigration im lokalen Kontext“ und wurde vom Demokratischen Forum der Deutschen in Hermannstadt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart organisiert.

„Es ist ein Thema, das im öffentlichen Diskurs sehr unterschiedlich und sogar kontrovers diskutiert wird. Mal wird Arbeitsmigration als Bereicherung definiert, mal wird es als problematisch oder als Bedrohung eingestuft, als Antwort auf Fachkräftemangel oder als Ursache für Integrationsprobleme.“ Damit leitete Christiane Böhm die „Hermannstädter Gespräche“ ein und lud Kerstin Ursula Jahn, Konsulin der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt, ein, ihr Grußwort an das sehr zahlreich erschienene Publikum zu richten. Sie erinnerte sich an ihre Zeit in Westafrika, als sie in Burkina Faso ein Konzert des malischen Künstlers Habib Koité besuchte. Letzterer soll zu Beginn der Show dem Publikum gesagt haben „Bleibt hier! Seht zu, dass ihr in euren Heimatländern etwas erreicht. Geht nicht nach Europa! In Europa steht ihr draußen und könnt reingucken und sehen, wie es den anderen gut geht. Ihr seid dort nicht willkommen.“ Ob das Daheim-Bleiben die Lösung sei, ließ Kerstin Ursula Jahn als Frage im Raum stehen und die Diskussion wurde an die Panelgäste weitergeleitet.

Die Moderation des Abends übernahm der Hermannstädter Unternehmer Mihai Hașegan. Die geladenen Gäste auf dem Podium waren Laura Căpăţână Juller (Filmemacherin und Journalistin, Kronstadt), Roxana Dobrilă (Geschäftsführerin Sobis Solutions und Rechtsanwältin in der Bukarester Anwaltskammer, Hermannstadt), Ruxandra Empen (Referentin für Arbeitsmarkt und Soziales an der Deutschen Botschaft Bukarest), Erika Klemm (Migrationsbeauftrage der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, Hermannstadt) und Dr. Thomas Pitters (Theologe und Diakoniewissenschaftler, Linz/Österreich).

Zu starkem Wirtschaftswachstum und der Aufrechterhaltung vieler Wirtschaftssektoren führte die Anstellung der Gastarbeiter aus Asien in Hermannstadt, so Roxana Dobrilă. Zusätzlich seien auch Menschen aus der Republik Moldova hierher gezogen, um im Verkauf zu arbeiten.

Umgekehrt ziehen immer noch viele Rumänen in den Westen, um zu arbeiten und hinterlassen ihre Kinder in der Obhut der Großeltern oder anderer Verwandten. Genau dieses Thema behandelt der Dokumentarfilm „Aici… adică acolo“ (Hier, ich meine dort“) von Laura Căpățână Juller, der sowohl im Forum als auch für Schüler und im Beisein der Filmemacherin an der Brukenthalschule gezeigt wurde. Für den Film begleitete Căpățână Juller drei Jahre lang zwei Schwestern, die bei den Großeltern in der Maramuresch aufwuchsen, während die in Spanien arbeitenden Eltern, ein, zweimal im Jahr nur zu Besuch kamen. „Ich wollte verfolgen, was dahinter steckt, hinter all den Reportagen über die Eurowaisen, die immer nur einen Ausschnitt aus ihrem Leben zeigten. Ich hab mit den beiden Schwestern gewohnt, mit ihnen im selben Zimmer geschlafen, aus dem selben Teller gegessen. Durch die lange Zeit wurde ich zu einer Art Ersatzmutter für die beiden. Ich konnte dadurch beobachten, dass eine Riesenkluft entstanden war zwischen den Kindern und deren Eltern.“

Der am Montagabend ebenda gezeigte Film war vielen Anwesenden zu Herzen gegangen, u. a. auch Erika Klemm, die sich um Präventivmaßnahmen kümmert, die verhindern sollen, dass Arbeitsmigranten in Ausbeutungssituationen geraten: „Rumänien befindet sich seit 4-5 Jahren auf Platz 1 in Europa beim Menschenhandel. Über 60 Prozent davon ist Zwangsprostitution, 15 Prozent Arbeitsausbeutung und es gibt noch erzwungene Bettelei, Kriminalität, Organhandel, Zwangsheirat, Zwangsadoption und Zwangsleihmutterschaft. Insgesamt sind es acht in der EU anerkannte Arten von Menschenhandel. Rumänien ist Nummer 1 und deswegen ist das unser Arbeitsschwerpunkt, die Prävention und Hilfe für Betroffene von Menschenhandel.“

Hilfe gab auch Dr. Thomas Pitters, als er dreißig Jahre lang nebenbei als Gefängnisseelsorger rumänische Häftlinge betreute. Seine Theorie über den freien Willen und die Bedürfnispyramide von Maslow ließ viele im Spiegelsaal ihm zustimmen: „Der freie Wille ist dem Zwang untergeordnet. Zuerst ist der Zwang da. Migration geschieht nie aus freiem Willen, sondern durch ökonomische oder politische Zwänge. Die Gerechtigkeitsfrage sollte ebenfalls nicht vergessen werden, denn der Mensch hat Bedürfnisse. Wenn Sie die Bedürfnispyramide von Maslow sehen, ist die unterste Stufe für die physiologischen Bedürfnisse wie Essen und Trinken und Geld reserviert. Darauf bauen sich soziale Bedürfnisse, und Selbstverwirklichung auf. Wenn ich auf die Arbeitsmigranten sehe, dann finde ich, dass die untersten Bedürfnisse befriedigt werden bei den meisten. Aber weiter werden die Bedürfnisse nicht verwirklicht. Was ist das dann für ein Menschenbild, das uns vermittelt wird? Es ist ein Mensch, der nur die Grundbedürfnisse erfüllt bekommt und alles andere, was ihn als Mensch ausmacht, vernachlässigt wird.“

Vom Sozialen schlug man den Bogen zur Politik. Ruxandra Empen sagte, dass es viele gute Gesetzänderungen gab, wie das Arbeitsschutzkontrollgesetz, das in Deutschland verabschiedet wurde. Demzufolge seien keine Subunternehmen der Fleischindustrie mehr erlaubt: „Die Arbeitsschutzbehörde in Deutschland muss pro Jahr mindestens 5 Prozent aller Firmen kontrollieren, um zu schauen, ob die Arbeitsbedingungen stimmen. Es wurden auch bessere Bedingungen für Unterkünfte vereinbart. Unterdessen wurde in Rumänien der Bereich Arbeitsermittlung sehr stark reguliert, d. h. alle Leute, die offiziell Arbeitnehmer vermitteln ins Ausland, sind einer Reihe von Bedingungen unterstellt. Negativ ist, dass die meisten Arbeitsstellen über das Internet vermittelt werden, über Facebook, oder olx oder ebay Kleinanzeigen und da hat niemand den Überblick.“

Die Gesprächsrunde wurde mit Meldungen aus dem zahlreichen Publikum vervollständigt und die zweite erfolgreiche Auflage des Jahres der „Hermannstädter Gespräche“ endete bei einem lockeren Plausch und einem leckeren Büffet, im Vorraum des Forums.

Cynthia PINTER

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Allgemein.