Rundtischgespräch zum Thema ,,Rumänien in der EU“
Ausgabe Nr. 2905

Răzvan Pop, Iosif Marin Balog, Rudolf Schatz (4. v. l.), Rudolf Gräf (stehend), Loránd Mádly und Tudor Băiașu (v. l. n. r.). Foto: der Verfasser
Die Beziehung Rumäniens zur Europäischen Union war dieses Mal Thema des Rundtischgesprächs, das am Freitag, dem 7. März, in der Astra-Bibliothek stattfand. Es war eine Debatte im Rahmen des Projekts „Puncte de vedere” (Standpunkte) – eine Initiative, die in einem globalen Kontext der von Herausforderungen geprägt ist und darauf abzielt, einen dynamischen Rahmen für den Ideenaustausch und die Förderung des kritischen Denkens zu schaffen, der sowohl Fachleute aus verschiedenen Bereichen als auch junge Menschen in der Ausbildungsphase einbezieht. Veranstaltet wurde es vom Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt in Partnerschaft mit der Astra-Bibliothek. Gesprochen wurde über die Vorteile der EU-Mitgliedschaft, aber auch über Gründe für Euroskeptizismus.
Rudolf Gräf, Direktor des Forschungsinstituts erinnerte an die Rede von Winston Churchill an der Universität Zürich im September 1946 als dieser davon sprach, dass man „eine Art Vereinigte Staaten von Europa” errichten müsse. „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber die Situationen sind manchmal so ähnlich, dass wir erschrecken”, meinte Gräf. „Deshalb denke ich, dass eine solche Diskussion hier über die Europäische Union, über Rumänien in der Europäischen Union, über die Vorteile und Nachteile, die sie haben kann, äußerst nützlich sein könnte”.
„Wir erleben eine seltsame Zeit in Rumänien”, meinte Răzvan Pop, Direktor der Astra-Bibliothek, der das Gespräch moderierte. „Dies ist das Ergebnis dessen, was in den letzten 30 Jahren passiert ist. Es wäre gut, wenn wir, sobald diese Phase – insbesondere nach den Präsidentschaftswahlen – vorbei ist, ernsthaft hinterfragen würden, ob wir alles richtig gemacht haben und ob wir etwas ändern müssten.“
Auf die Frage, warum Rumänien in der EU ist, antwortete Loránd Mádly, Historiker und Spezialist für institutionelle Geschichte vom Institut für Geschichte „George Barițiu“ der Rumänischen Akademie in Klausenburg. Der wichtigste Schritt Rumäniens nach 1918 sei der Beitritt zur Europäischen Union gewesen. Es gehe um die historische Entwicklung der Institutionen Rumäniens noch vor 1918, wo Modelle aus dem Westen übornommen wurden. Was die Kultur angehe, sei man hier eine romanische Insel in einem slawischen Meer, was weiterhin eine westliche Komponente sei.
Braucht Rumänien die EU und die EU Rumänien? Gesandter-Botschaftsrat Rudolf Schatz, las die Rede von Botschafterin Ulla Krauss-Nussbaumer vor, in der sie historische und aktuelle Beziehungen zwischen den beiden Ländern einging sowie auf die Vorteile, die Österreich und Rumänien durch die EU-Mitgliedschaft genießen.
Wie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten hat auch Österreich, das 1994 der EU beitrat, erheblich von seiner Mitgliedschaft profitiert. Der Fortschritt in Rumänien sei ebenfalls deutlich sichtbar. Konkret bedeutete die Entscheidung, der EU beizutreten auch den Zugang zu europäischen Fonds, die sichtbar zur Modernisierung Rumäniens beigetragen haben. Von 2007 bis Ende des letzten Jahres profitierte Rumänien von 66,2 Milliarden Euro, und die EU-Mitgliedschaft führte zu einem Anstieg des BIP Rumäniens sowie der allgemeinen Lebensstandards. Die EU werde auch spürbar, wenn Geld durch EU-geförderte Projekte in den Tourismus, die Kultur oder die ländliche Entwicklung fließt oder wenn Studierende und Auszubildende durch das „Erasmus+“-Programm wertvolle Studien- und Arbeitserfahrungen in anderen Ländern sammeln. Heute sei es einfach, im Ausland zu studieren.
Herausforderungen könnten gemeinsam gemeistert werden. Es erfordere Kompromisse, Zuhören und aufeinander zuzugehen. „Die EU ist das, was wir daraus machen!“ lautete die Schlussfolgerung der Botschafterin.
Zu Beginn der Diskussion erinnerte Pop daran, dass es dieses Jahr die ersten Studierenden gebe, die in der EU geboren wurden, also nach 2007. Alles was vorher war, sei für diese Geschichte. Der Zwölftklässler Tudor Băiașu von dem Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium war eingeladen worden, seine Perspektive als jemand, der in der EU geboren ist, zu erläutern. Er sagte, diese bringe auch bestimmte Standards mit sich, die für jeden vorteilhaft sind, z. B. für die Etablierung eines korrekten Regierungssystems. Weiterhin sei jeder Staat im Europäischen Parlament, in der Europäischen Kommission und an dem Europäischen Gerichtshof vertreten. Seine Schlussfolgerung: „Ich bin für die EU.”
Gräf stellte seinerseits fest: Ein Vorteil der EU sei, dass junge Leute den Mut haben, zu sprechen. In den 90er-2000er Jahren hätten die Schüler im Klassenzimmer geschwiegen. „Das ist eine außergewöhnliche Sache, sie können ihre Meinung sagen”, sagte Gräf. „Es geht um ihre Zukunft”.
Pop erwähnte, dass es immer noch Leute gibt, die die Zeiten vor der Wende loben. „Befindet sich Rumänien tatsächlich in einer besseren Situation als im Kommunismus?”, richtete Pop seine Frage an Wirtschaftshistoriker Iosif Marin Balog. „Ohne Frage ist die wirtschaftliche Dimension die sichtbarste Komponente dessen, was der Beitritt zur Europäischen Union und die Entwicklung in der Zeit nach dem Beitritt bedeutet haben”, meinte Balog. „Alle vorliegenden Daten zeigen, dass wir es mit einem historischen Sprung in jeder Hinsicht zu tun haben”. U. a. gehe es aber auch um eine fundamentale Änderung in der Struktur der Exporte, auch in Hinsicht auf den Mehrwert. Man exportiere noch viele Rohstoffe, vor allem im landwirtschaftlichen Bereich. Dort hinke man tatsächlich noch einige Jahrzehnte hinterher, aber insgesamt habe sich die Struktur des Außenhandels Rumäniens grundlegend und in eine positive Richtung verändert. Wenn z. B. im Jahr 2007 das Bruttoinlandsprodukt nach Kaufkraftparität bei 43 % des EU-Durchschnitts lag, so betrug es im Jahr 2024 bereits 78 %, was signifikante Wachstumsraten zeigt. In einigen Fällen sollen sogar Länder übertroffen worden sein, mit denen man sich ab und zu zu vergleichen pflegt. Zu den Vorteilen, die sich für Rumänien ergeben, gehören der freie Kapitalverkehr, das Volumen der ausländischen Investitionen oder der freie Verkehr von Personen und Waren.
Interessant war übrigens die Paralelle, die Balog zwischen der EU und dem Habsburgerreich zog. „Es ist nichts anders als die Wiederaufnahme eines Modells, das auch damals ein Erfolg war”, meinte er.
Warum gibt es diesen Euroskeptizismus in Rumänien, sogar in den Reihen der jungen Leute? „Es gab Situationen, wo ich sogar überrascht war, wer Euroskeptizismus zeigt”, meinte Tudor. Es gebe bestimmten Situationen, wo auf sozialen Netzwerken der Souveränismus gefördert wird und wo es Argumente gab, dass es besser sei, aus der EU auszusteigen. Dennoch kämen diese souveränistischen Argumente nicht bei allen Jugendlichen an.
Die EU habe, so Tudor, schließlich auch Nachteile – der Staat hat nicht so viel Freiheit, wie er sonst hätte. Man müsse sich halt an die EU-Richtlinien und -Vorschriften halten, was manchmal sowohl bei Arbeitnehmern als auch bei Studierenden zu Frustration führen könne. So z. B. im Datenschutz: Als die Datenschutzbestimmungen der EU eingeführt wurden, brachte dies zusätzliche Pflichten mit sich.
„Die Jugendlichen heute haben ihre eigenen Probleme, sie stoßen auf Bürokratie, erleben Enttäuschungen, finanzielle Schwierigkeiten und das Unverständnis der Eltern”, meinte Gräf. „Es ist normal, dass sie Reaktionen haben, vor allem wo über die Social Media Druck gemacht wird”. Es gebe aber auch eine große Unzufriedenheit sowohl gegenüber der politischen Klasse als auch gegenüber den Medien. „Wenn du dir unseren Fernsehsender ansiehst, bringen außer ein oder zwei Programme, nur Negatives”, meinte Gräf.
Eine Idee, die von einem der Präsidentschaftskanditdaten verbreitet wurde, war, dass man keine „Kolonie” der EU sei.
Warum es diesen Euroskeptizismus gibt? „Einerseits kommt das aus dem Bildungssystem, wie Geschichte, vor allem die jüngere Geschichte in den Schulen vorgetragen wird”, meinte Balog. Einführen möchte man u. a. die Geschichte des Kommunismus. Sinnvoller sei es allerdings, die Geschichte der totalitären Systeme einzuführen. „Diese haben alle bestimmte Elemente gemeinsam. Und vor allem wenn das nur auf Rumänien bezogen ist, wird man nichts daraus verstehen oder wenn man es nur abtrakt und theoretisch macht, wie es in den Schulbücher gemacht wird. Man muss exakt die Elemente weitergeben die dazu geführt haben, dass dieses totalitäte System derartig unheilvoll ist”, sagte er. Abstraktionen seien überhaupt nicht effizient.
Man müsse den Nagel auf den Kopf treffen, meinte eine Teilnehmerin. Es sei eine viel stärker in die Realitäten des heutigen Tages eingebundene politische Bildung nötig, wo der Schüler und späterere Student tatsächlich das System versteht, in dem wir heute leben. Und genau gesagt werde, wann es linksextremistisch oder rechtsextremistisch wird.
Mádly erinnerte daran, dass in der Zwischenkriegszeit, das Radio viel zum Aufstieg der zwischenkriegszeitlichen Diktatoren beigetragen habe. Heute versuchen sich alle Kandidaten der politischen Palette als ein „Social Media Star”. „Es erscheint immer wieder eine neue technologische Erfindung, die wie eine Bombe vom Himmel fällt und diese kann den Gang der Dinge verändern. Und nicht unbedingt immer in die positive Richtung”, sagte er.
Pop, der Historiker ist, unterstrich, dass es ein Problem gebe im Unterricht, was den Extremismus anbelange, und zwar die Art und Weise, wie zeitgenössische Geschichte unterrichtet, wie die EU aufgefasst werde. Oft sei man schockiert, was da von den Schülern kommt.
Wie müsste man die Gesellschaft für die EU vorbereiten? Mádly erinnerte daran, dass der ganze Prozess zur Erneuerung der Schulbücher hier gescheitert ist. Obwohl alle post-totalitären Länder dies durchgemacht haben. Beispielsweise gebe es den berühmten Fall, in dem die Geschichte im Lehrbuch vor dem Beitritt zur Europäischen Union endet. Dieses Thema müsste aber unterrichtet werden.
Balog meinte, Übungen seien sinnvoll, die zeigen, was passiert wäre, wenn Rumänien die 100 Milliarden Euro EU-Fonds nicht hätte abrufen können usw. Wirtschaftskrisen, Nachwirkungen von Kriegen, führten übrigens auch schon in in der Vergangenheit zum Aufstieg von totalitären Systemen, zu Radikalismus, zu wirtschaftlichem Nationalismus und zu Katastrophen wie dem Zweiten Weltkrieg.
„Neben dem, was die Europäische Union bedeute, spielen auch die Regierung und die Wirtschaftspolitiken jedes Landes eine wichtige Rolle”, sagte er. „Wenn in die Märkte eingegriffen wird, wissen wir, dass Ungleichgewichte geschaffen werden, wie wir sie heute haben”. In diesem Fall können sich die Dinge sicherlich verkomplizieren und auch Euroskeptizismus sowie weit verbreitete Unzufriedenheit hervorrufen. „Ein Teil des aktuellen Euroskeptizismus ist die extrem kritische Haltung gegenüber der Wirtschaft, einschließlich der sogenannten Situation als ‚Kolonie‘, und das vor dem Hintergrund falscher lokaler und nationaler wirtschaftlicher Politiken, Markteingriffen, die Ungleichgewichte schaffen, sowie der Verwaltung der Finanzen”, erklärte er.
Eine Rolle spiele auch die Bürokratie, meinte Mádly. Es gebe Fälle, wo in Rumänien für ein EU-Projekt viel mehr bürokratischer Aufwand nötig sei, als für dasselbe Projekt in einem anderen Land. Dabei gehe es um Bürokratie, die auf lokaler Ebene erschaffen wurde, u. a. auch aus Unwissenheit. Dies führe zu Misstrauen, und zwar nicht gegenüber den Verantwortlichen sondern gegenüber der EU.
Kritik gibt es natürlich immer, wenn Gelder immer in entwickeltere Regionen fließen. „Man muss verstehen, dass die Kapitalflüsse von Investitionen immer dorthin gehen, wo die Voraussetzungen bestehen, damit sie profitabel sind, also idealerweise in die reicheren Regionen”, meinte Balog. Ideal ist es, wenn die Regionen, die von ausländischen Investitionen profitieren, höhere Beträge erhalten, um dann ein Multiplikatoreffekt, auch in den weniger entwickelten Regionen zu schaffen. Politiken zur Vereinheitlichung müssten die nationalen Regierungen führen, nicht die EU.
Im Zuge der Ereignisse der letzten Jahre, sind Dinge, die früher wichtig waren in den Hintergrund gerückt. „Früher wurde über Strategien für einige Jahre oder sogar Jahrzehnte gesprochen, was eine tiefere Integration bedeutete, von Problemen, wie dem Europa der zwei Geschwindigkeiten oder dem föderalen Europa, gesprochen”, meinte Balog. „Nun sind diese aus dem Fokus der Aufmerksamkeit verschwunden, weil so rasche Veränderungen eingetreten sind.”
Was die Frage der Verbündeten betrifft, sagte Schatz: „Amerika handelt in seinem eigenen Interesse – das war schon immer so und wird immer so sein”, betonte Schatz und stellte fest: „Wir sollten auch wieder lernen, dass wir unsere eigenen Interessen haben und uns in dieser Hinsicht emanzipieren, stärker werden und versuchen, auch in Sicherheitsfragen selbstständig zu sein.”
Seiner Meinung nach führe übrigens die zentristische Politik auf lange Sicht – auch wenn sie vielleicht nicht aufregend erscheint – zu mehr Wohlstand, mehr Rechtsstaatlichkeit und mehr Gleichheit. „Ich spreche aus unserer österreichischen Erfahrung. Es waren die zentristischen Parteien, die Konservativen und die Sozialisten, die Österreich nach der Zerstörung des Zweiten Weltkriegs zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt gemacht haben”, sagte Schatz. Man müsse sich vielleicht angesichts des Wandels in den Prioritäten der Menschen und des Aufstiegs des Populismus ein Stück weit auch für einige vernünftige populistische Ideen öffnen, um nicht alle an die Extreme links oder rechts zu verlieren. „Ich weiß, es ist schwierig, und in einer Diskussion klingt es leichter gesagt als getan”, sagte er. „Aber ich sehe das als den einzigen Weg nach vorne für Europa. Und am Ende haben wir das Glück, die Europäische Union zu haben.”
Werner FINK