Das neueste Buch von Karin Gündisch: ,,Die Tür zum Paradies“
Ausgabe Nr. 2901

Karin Gündisch: Die Tür zum Paradies, Schiller Verlag Hermannstadt-Bonn 2024, 180 Seiten. ISBN 978-3-949583-66-7. 39 Lei/9,95 Euro. In Hermannstadt liegt das Buch in der Schiller-Buchhandlung und im Erasmus-Büchercafé auf.
Unter dem Titel „Die Tür zum Paradies“ ist vor kurzem ein Band mit Erzählungen von Karin Gündisch erschienen. Im ersten Teil hat die erfahrene Autorin, die vor allem mit ihren Kinder- und Jugendbüchern international bekannt geworden ist und heute in Hamburg lebt, neun Erzählungen zusammengestellt, die im Lauf mehrerer Jahrzehnte entstanden sind und jetzt kaum noch überarbeitet werden mussten, wie uns die Erzählerin in dem Text „Anstelle eines Nachworts“ wissen lässt. Alle in sich abgeschlossenen Geschichten haben einen Bezug zu Rumänien, wie Karin Gündisch erklärt, die auch viele Jahre in Bukarest gelebt hat.
„Augen auf bei der Partnerwahl“ scheint einem die Lektüre auf jeder Seite zuzurufen. Das satirische Postulat „Er ist ein Mann, und das genügt“ (siehe: Kurt Tucholsky: „Die Frau spricht“, Theobald Tiger, Die Weltbühne, 1929 bis1931) wird hier sanft spöttisch bis nahezu komisch durchdekliniert – wenn es nicht so bitter wäre: „Sie bat ihn, ein Drittel der Licht-, Gas-, Heizungs-, und Wasserkosten zu übernehmen und zu seinem Unterhalt, Essen und Trinken, ebenfalls beizutragen. Er tat, als verstünde er sie nicht oder er verstand sie wirklich nicht, denn er sagte bloß: Du wolltest einen Mann, jetzt hast du einen. Was willst du mehr? Sie wollte inzwischen wirklich sehr wenig von ihm, aber auch das Wenige war Rudi nicht imstande zu geben… Sie fand plötzlich keine Zeit mehr zum Einkaufen, und der Kühlschrank blieb leer… Rudi machte nun unzählige Male den Weg vom Fernsehsessel zum Kühlschrank wie ein in die Irre geleiteter Pawlowscher Hund, der Speichel floss ihm im Mund zusammen, aber er fand den Kühlschrank jedes Mal leer.“
In anderen Geschichten überwiegen nachdenkliche Töne, und man ahnt, dass ein gelingendes Eheleben eine ernste Herausforderung ist. Allerdings kann das Pendel auch irgendwann einmal empfindlich zurückschlagen. Nämlich dann, wenn der ehemals rücksichtslose Schürzenjäger-Ehemann, alt und krank geworden, seinerseits nur noch mit begrenzter Rücksichtnahme rechnen darf. Denn auch darum geht es in den Erzählungen: um das Älterwerden der Liebe, der Ehen, der Menschen. Was wird aus den Beziehungen, wenn das Vergessen zunimmt? „Ich fand sie im Arbeitszimmer meines Mannes vor einem gerahmten Foto seines früh verstorbenen Vaters, das auf dem Schreibtisch stand. Das Foto sagte ihr etwas, aber sie wusste nicht, was es war. Als sie mich sah, erhellten sich ihre gequälten Züge und sie fragte mich: Wer ist das? Dein Mann, sagte ich. Sie sah mich verwundert an. Und wo ist er? Er ist gestorben. Hatte ich auch Kinder?… Zwei Kinder. Sie sind kurz nach der Geburt gestorben. Die Schwiegermutter schwieg eine Weile, dann fragte sie: Und wer seid ihr?“
Der zweite und eigentliche Hauptteil beinhaltet eine einzige längere Erzählung. „Tage, die kommen“ befasst sich intensiv mit verschiedenen Aspekten weiblicher Sexualität. Die aus Heltau stammende Autorin lässt uns teilhaben an der ganzen Bandbreite widerstreitender Gefühle von Frauen, die in unterschiedlichen Lebenssituationen ungewollt „schwanger geblieben“ sind, wie es im liebenswerten siebenbürgisch-sächsischen Idiom heißt. Und gerade um diese Entscheidung wird gerungen, nämlich ob sie es weiterhin bleiben oder nicht.
Entstanden und in dem Freiburger Kore Verlag erschienen ist dieser literarische Beitrag schon einmal 1995 – die Autorin war 1984 mit ihrer Familie nach Deutschland gegangen – als das Thema „Paragraph 218“ in der Bundesrepublik wieder politische Wogen schlug. Auch derzeit ist die Frage der Schwangerschaftsunterbrechung aktuell und wird es mutmaßlich bleiben.
Als kürzlich eine Journalistin in Hermannstadt das Bändchen, nunmehr antiquarisch, im Erasmus-Büchercafé bestellte, wurde das Inhaber-Ehepaar Liana und Jens Kielhorn auf den Inhalt aufmerksam und in der Folge der vorliegende Erzählband aus der Taufe gehoben.
Karin Gündisch tritt an dieser Stelle klar ein für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches innerhalb der gesetzlichen Vorgaben und Fristen. Um der Erzählung über das lastende Thema „Frühabort“, ob nun absichtlich herbeigeführt oder nicht, die ausschließliche Schwere wieder etwas zu nehmen, wendet sich die Autorin in dieser Erzählung jedoch noch einem weiteren heißen Eisen zu, nämlich dem Orgasmus der Frau. Verschiedene Umfragen kommen diesbezüglich zu unterschiedlichen Ergebnissen, auf Wikipedia ist jedenfalls nachzulesen, dass „nur 25 Prozent der Frauen beim Geschlechtsverkehr normalerweise einen Orgasmus haben“. Auch Adina, die Protagonistin der Geschichte, hat diesen noch nie erlebt. Ursprünglich angeregt durch die Schilderung des amerikanischen Schriftstellers Harold Brodkey (in der Erzählung „Unschuld”), der beschrieb, wie dieses Ziel mithilfe eines einfühlsamen Liebhabers, sehr viel Geduld und noch mehr Zeit schließlich doch erreicht wird, erzählt Gündisch diese Geschichte neu aus der Perspektive der Frau.
Auf dem Titelbild des Buches ist ein Gemälde von Friedrich Mieß (1854-1935) in zarten Pastelltönen abgebildet. Der siebenbürgische Künstler schuf das Gemälde „Frühling (Am Morgen)“, auf welchem er die dargestellten Personen in Lebensgröße abbildete, im Jahre 1914. Die romantische Szene zeigt eine nackte blonde Frau, die mit dem Rücken zum Betrachter vor majestätischem Bergpanorama im Gras liegt, neben ihr sitzt ein ebenfalls unbekleideter Mann. Das Bild, das die Autorin aus eigener Anschauung kennt, ist passend zur Thematik des Buches stimmig gewählt.
Beim Lesen hat mir gefallen, wie die Erzählerin Stimmungen, Stimmungslagen, Stimmungsumschwünge hervorhebt, zur Handlungsweise der Charaktere in Beziehung setzt und diese dadurch nachvollziehbar macht. Ein Beispiel: „Verlassen fühlte sie sich, verletzt in den zartesten Gefühlen. Sie brauchte einen Tröster, der sie so gut kannte, dass er auf jede Regung ihrer wunden Seele eingehen konnte, ein Teil von ihr selbst musste er sein, um diesen Ansprüchen zu genügen, oder zumindest ein Teil eines von ihr erfundenen Traums.“ (S. 120)
Gerade jüngere Frauen können durch die Geschichten vielleicht manches Nützliche erfahren, das der Ich-Erzählerin mancher Geschichte in ihrer Jugend vorenthalten wurde. Alle Leserinnen finden sich sicherlich in der einen oder anderen emotionalen Reaktion wieder, haben rund um Fragen der Schwangerschaft und Verhütung eventuell Ähnliches erlebt. Männliche Leser erfahren möglicherweise Neues oder finden Erklärungen für bislang unbegreifliches Verhalten ihrer Partnerinnen. Zu empfehlen ist die Lektüre auch für Paare, die hinsichtlich eines erfüllteren gemeinsamen Liebeslebens davon profitieren können, sei es durch gemeinsames Lesen oder einfach dadurch, dass sie darüber miteinander ins Gespräch kommen.
Susanne THRULL