,,Da gibt es Braunbären“

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Erlebnisbericht einer Luxemburger Journalistin

Ausgabe Nr. 2895

Radfahrer und Bär an der Transfogarscher Hochstraße.
Foto: Gerhard DEEKEN

Der TV-Sender ZDF hat am Sonntag in der Reihe „TerraX: Faszination Erde” den Dokumentarfilm „Transsilvanien – Europas gruseliges Geheimnis” ausgestrahlt, in dem die Wildtierärztin Hannah Emde „die unberührte Natur Transsilvaniens” erforscht, wurde am Sonntag ausgestrahlt. Es ging um Braunbären und Fledermäuse. Im Folgenden lesen Sie den Beitrag einer Kollegin von der Tageszeitung Luxemburger Wort über das Thema Braunbären in Rumänien:

 

„Da gibt es Braunbären“, sagt ein Freund, der in der Slowakei geboren wurde, als er hörte, dass ich drei Wochen in Rumänien verbringen werde. In der Slowakei sei dieses Jahr bereits eine Touristin von einem Bären zu Tode gekommen. Es sei sehr gefährlich in den Wäldern Osteuropas. „Bär jagt Wanderer-Paar“, titelte sogleich das sensationslüsterne RTL Plus. Allerdings wurde in späteren Darstellungen angedeutet, dass die Touristin aus Weißrussland, die mit ihrem Partner durch die Niedere Tatra wanderte, nicht direkt von dem Bären attackiert wurde. Sie sei bei der Flucht vor ihm tödlich gestürzt – aber war er zum Angriff bereit?

Eine Freundin, die in Bukarest geboren wurde, sprach Ende August eine ähnliche Warnung aus: „Eine 19-jährige Rumänin wurde in den Karpaten plötzlich von einem Bären weggezerrt. Ihr Freund hat beschrieben, was passiert ist – es muss sehr qualvoll gewesen sein, denn man stirbt nicht sofort bei einer Bärenattacke.“ Später wurde die Leiche der Frau von Bergrettern und Polizisten mit Bissspuren am ganzen Körper gefunden. Ich solle auf mich aufpassen, meinte sie, sonst könne sie womöglich statt etwas von mir, etwas über mich in der Zeitung lesen – schlimmstenfalls, dass ich durch einen Bären umkam (oder kräftiger: zerfetzt wurde … aber das ist dann vielleicht etwas makaber).

Etwa 8.000 Braunbären leben in den rumänischen Karpaten. Der Tod der jungen Frau befeuerte erneut die Angst vor den Bären. So kam es, dass eine rumänische Familie in Schäßburg sich gegen meinen Plan einer sechs Kilometer langen Wanderung stellte. Die Wälder seien „molto pericoloso“, sagte der Sohn, der als Gastarbeiter in Italien arbeitet. Seine Mutter erzählte auf Rumänisch von der „Urs-Alarm“, einem WhatsApp-System, das unlängst vor Bären in der Stadt warnte. Vorbeigehende wurden ebenfalls angehalten, ihre Meinung zu äußern. „Very dangerous“ bekräftigten sie.

Ende 2023 berichtete die luxemburgische Tageszeitung L’Essentiel von 14 Toten und 158 Verletzten – Bauern, Hirten, Wanderer, Holzhacker – bei Bärenattacken innerhalb von fünf Jahren. In Rumänien steht der Braunbär unter Artenschutz, aggressive Bären dürfen jedoch erschossen werden.

Im Vergleich zu Verkehrstoten fällt die Zahl unter einem absoluten Gesichtspunkt kaum ins Gewicht: Seit Jahren gelten die Straßen Rumäniens als die „gefährlichsten der EU“, 1.545 Personen starben im vergangenen Jahr bei Verkehrsunfällen. Berechnet man, dass Rumänen mehr Zeit in ihrem Auto verbringen als in den Wäldern, kommt man trotzdem nicht an die Zahl der Verkehrstoten heran. Aber Statistik und reale Gefahr sind zweierlei – der Bär trottet als Hauptgefahr, mittlerweile nahezu Horrorwesen, durch den Kopf der osteuropäischen Freunde.

Eigentlich sind Bären scheu; sobald sie Menschen riechen, versuchen sie, eine Begegnung zu vermeiden. In stärker besiedelten Gegenden und touristischen Hotspots haben sie sich jedoch an den Menschen gewöhnt, in den Südkarpaten wühlen Bärenmütter mit ihrem Nachwuchs mittlerweile im Müll. Die Wissenschaftsphilosophin und Tierverhaltensforscherin Vinciane Despret bemängelt, Tiere würden gemeinhin als Wesen ohne Geschichte und Sozialleben betrachtet werden. Man analysiere sie allzu oft in einem ahistorischen und sozialpolitisch neutralen Gefüge. Aber Tiere sind davon nicht unabhängig: Welche Jagdgesetze herrschen in einem bestimmten Gebiet? Mit wie vielen Menschen kommen sie in Kontakt? Springt dabei Nahrung für sie heraus?

Rumänen sprechen mittlerweile von den „Beggar-Bears“: Bären, die am Straßenrand Autofahrer anhalten, um etwas Essen zu bekommen. Die Interaktionen zwischen Bären und Menschen verändern sich je nach Bevölkerungsdichte, Jagdtechniken, Ernährungsgewohnheiten, Biodiversitätsmaßnahmen – und damit verändert sich wiederum die Sicht auf die Bären: Die schlechte Presse könnte den Bären neue Abschusszahlen einbringen. Rumäniens Umweltminister Mircea Fechet fordert eine Lockerung des Jagdgesetzes. Ihm schwebt vor, jeden Bären zum Abschuss freizugeben, der sich einer Siedlung nähert. Das könnte das Verhalten der Bären wiederum verändern: Sie könnten sich erneut in die Wälder zurückziehen, und die Rumänen, die immer seltener Hirten und Bauern sind, könnten sie wieder mit dem Teddybär ihrer Kindheit assoziieren – und erneut einen strengen Bärenschutz verlangen.

Stephanie MAJERUS

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Allgemein.