Architektin, Fürsorgerin, Frauenrechtlerin

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Erika Schuller-Paulas zum 150. Geburtstag / Von Dr. Gerhild RUDOLF

Ausgabe Nr. 2895

Die Bistritzer Forstdirektion um 1920.                                     Foto: Wikipedia

Kann das königlich-ungarische Ackerbauministerium im Jahr 1900 den Bau des staatlichen Forstamts-Palais in Bistritz „einem Mädchen“ anvertrauen? Laut der damaligen Presse bereitete diese Frage der zuständigen Behörde „großes Kopfzerbrechen“. Die Bewerberin Erika Paulas, damals 25 Jahre alt und die erste Architektin des Landes, erhält den Auftrag! Der repräsentative Gebäudekomplex wird zur vollsten Zufriedenheit der Fachkommission ausgeführt. Die Gebäude stehen auch heute noch und werden seit 1950 als Krankenhaus genutzt. Über 20 Bauten hat Erika Paulas entworfen und als Baumeisterin betreut, darunter das „Neue Spital“ in Mediasch (1901-1902) und das neue Reformierte Kolleg in Klausenburg (1901-1902), heute Nationalkolleg „Gheorghe Șincai“. Lesen Sie im Folgenden Auszüge aus dem am 11. Oktober 2024 im Teutsch-Haus von dessen Leiterin Dr. Gerhild Rudolf gehaltenen Bildvortrag: „Erika Schuller-Paulas – Neue Gedanken verwirklichen! Spurensuche nach Zeugnissen einer starken siebenbürgischen Persönlichkeit“.

Auch nach ihrer Übersiedlung nach Hermannstadt, nun als verheiratete Frau Schuller, entwarf sie etliche Villen und Wohnhäuser, darunter auch 1903 die eigene Familienvilla in der Teutschgasse 9 (heute Hegel-Str. 3) und Gebäude für den von ihr gegründeten Kinderschutzverein. (Zur Architektin Erika Paulas siehe Konrad Klein: „Baukunst zwischen Tradition und Moderne. Kleines Lexikon siebenbürgisch-deutscher Architekten um 1900“ in Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 2020/1, S. 132–187; 170-172.)

Erika Paulas. Foto: Kalender Siebenbürgischer Volksfreund 1902, S.63

Lebenslauf

Erika Maria Irene Paulas wurde vor 150 Jahren, am 10. Januar 1875, in Zürich geboren. Ihre Eltern waren der Bauingenieur Josef Ernst Paulas (geboren in Fogarasch) und Elise geb. Wettstein. Die Großmutter väterlicherseits stammte aus Mühlbach. Erika besuchte die Mädchenschule in Zürich. 1883 zog die Familie von Zürich nach Bistritz, wo Erika die Bürgerschule besuchte. Im April 1889 ließ sie sich konfirmieren und trat damit von der römisch-katholischen zur evangelischen Kirche A.B. über.

Als 17-Jährige begann sie das Berufsleben zunächst als Bauzeichnerin und schlug dadurch den Weg zur Architektin ein. 1895 bestand sie in Klausenburg die Maurerprüfung. Zur weiteren Fortbildung besuchte sie Vorlesungen am Polytechnikum in Zürich und wohnte zeitweilig in Budapest. Am 17. September 1900 erhält sie in Budapest das Baumeisterdiplom und wurde dadurch die erste Architektin des Landes.

Am 29. Juni 1902 findet in Hermannstadt die kirchliche Trauung mit dem aus Bistritz stammenden Rechtsanwalt und Politiker Dr. jur. Rudolf Albert Schuller (1883-1952) statt.

Erika Schuller betreut in Hermannstadt mehrere Pflegekinder und gründet 1909 den Kinderschutzverein, den sie auch leitet. Zusätzlich wirkt sie auch als Vorkämpferin für das Frauenstimmrecht. 1914 erfolgte der Umzug des Ehepaares Schuller von Hermannstadt nach Bistritz. Dort engagiert sich Erika Schuller weiter in der Kinderfürsorge und für Frauenrechte. Bei der Evakuierung Nordsiebenbürgens im Herbst 1944 blieb die Familie in Bistritz und erlebte Enteignung und weitere Benachteiligungen. Erika Schuller starb verwitwet und hochbetagt (86 J.) am 28. April 1961 in Bistritz, wo sie am 1. Mai auf dem evangelischen Friedhof beerdigt wurde.

Titelblatt der „Festschrift des Hermannstädter Kinderschutzvereins aus Anlaß seines zehnjährigen Bestandes. Zugleich fünfter Bericht über die Jahre 1917 und 1918” (Hermannstadt 1919, Druck von Josef Drotleff)

Soziales Engagement

Hinter dieser knappen Aufzählung der Lebensstationen verbirgt sich eine Fülle an engagierten und bahnbrechenden Aktionen. Unermüdlich und mit gut überlegten Schritten setzte sich Erika Schuller-Paulas für das Wohlergehen von Kleinkindern ein. Der Hermannstädter Kinderschutzverein wurde am 17. April 1909 mit 300 Beitrittserklärungen gegründet. „Seine Aufgabe betrachtet der Verein nicht als persönlich geleistete Wohltat, sondern als soziale Pflicht, der nach besten Kräften nachzukommen er bemüht ist.“, schreibt die Vereinsgründerin und erste Vorsitzende Erika Schuller im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt (5.02.1910, S. 3). In kurzer Zeit baute sie ein funktionierendes System auf, das professionell arbeitete. Bereits im September 1909 wurde die erste Kinderkrippe eröffnet. Es folgte das Waisenheim für Kleinkinder und drei Kinderkolonien (ähnlich dem SOS-Kinderdorf-Prinzip).

Der Verein hatte mehrere Einnahmequellen: die Beiträge der Mitglieder, erwirtschaftetes Geld, den staatlichen Beitrag zur Kinderpflege (ab 1911) sowie Spenden und Stiftungen. Für jede Spende dankte Erika Schuller in einer Zeitungsannonce. Die sächsischen Hermannstädter Geldinstitute, die Stadtverwaltung und die Evangelische Landeskirche unterstützten den Verein mit jährlichen Gaben. Besonders zu erwähnen ist das hervorragende Fundraising Schullers verbunden mit ihrer Bautätigkeit. Die nachfolgende Vereinsvorsitzende, Luise Schiel, schreibt in ihrem Bericht „Rückblick auf die 25-jährige Tätigkeit des Hermannstädter evang. Kinderschutzvereins“ Folgendes: „Schon am Anfang der Vereinstätigkeit wollte man nicht hauptsächlich auf Spenden angewiesen sein und Frau Erika Schuller sann nach Mitteln und Wegen, wie Geld durch Arbeitsleistung zu verdienen sei. Da sie Baumeisterin von Beruf war, lag es ihr am nächsten, durch Häuserbau unsere Kasse zu stärken. Sie hat auch tatsächlich zwei Wohnhäuser gebaut, deren Reinertrag beim Verkauf dem Verein zugutekam. Das eine der Häuser gab Anfang des Jahres 1914 den Kaufpreis für Villa Elisabeth in Salzburg ab, das als Familienheim eingerichtet wurde und seither jeden Sommer in eigener Bewirtschaftung steht und eine hochwillkommene Einnahmsquelle bildet.“ (Festschrift anläßlich des fünfzigjährigen Bestandes des Allgemeinen Frauenvereins der evang. Landeskirche A.B. in Rumänien, seines Hermannstädter Ortsvereins und des fünfundzwanzigjährigen Bestandes des Hermannstädter Kinderschutzvereins. Hermannstadt, 1934, S. 24.) Auch andere Methoden der Geldbeschaffung wurden genutzt: Lichtbildvorträge, Konzerte, Grundstückverpachtungen, eine Brockenstube (Second-Hand-Laden), Tombolas etc.

Durch die Arbeit des Kinderschutzvereins sank die Sterblichkeit der Säuglinge und Kleinkinder beachtlich. Erika Schuller leistete auch Präventionsarbeit durch Mütterberatung und Hausbesuche bei Wöchnerinnen. Um seine anspruchsvolle Sozialarbeit durchführen zu können, benötigte der Kinderschutzverein geschultes Personal und betrieb deshalb die Ausbildung von Schwestern. Ehrenamtliche Arbeit reichte nicht aus. Erika Schuller war es wichtig, Mädchen und Frauen die Möglichkeit zur soliden Ausbildung und zur bezahlten beruflichen Arbeit zu geben.

Villa Schuster in Hermannstadt, Str. Hegel 3.           Foto: Gerhild RUDOLF

Emanzipation

Frauen brauchen das Mitspracherecht in der Gesellschaft, das war Erika Schullers feste Überzeugung. Sie setzte sich aktiv für das Frauenwahlreicht ein. 1912 war sie Mitinitiatorin der Unterschriftenaktion zugunsten des Frauenwahlrechts. In ihrem Plädoyer für die Frauenemanzipation und das Wahlrecht findet Erika Schuller aufrüttelnde Worte und macht den Männern eine klare Ansage: „Jawohl! unser Land als Ganzes und ebenso unser kleines Volk braucht die Mitarbeit der Frauen, und darum, ihr Männer, überhebt euch nicht so sehr. Verachtet und unterdrückt die Frauen nicht, denkt, daß wir im 20. Jahrhundert leben, wo nun endlich auch die letzten Spuren des Faustechtes ausgemerzt werden sollten. (…) Gebt endlich die Sklavin frei, ihr werdet dafür eine treue Mitarbeiterin gewinnen. (E. Schuller: „Frauenwahlrecht“, in: Für und wider die sächsische Frauenrechtsbewegung. Artikelserie. Hermannstadt, 1913, S. 5-13; S. 12.)

Erika Maria Irene Schuller, geborene Paulas, war eine herausragende Vertreterin des modernen Denkens und sozialen Handels in Siebenbürgen am Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie hat neue Gedanken entwickelt und diese auch tatkräftig verwirklicht. Sie bewies Organisationstalent, Überzeugungskraft, Einfallsreichtum. Ihr Fachwissen verband sie mit engagierter, harter Arbeit. Getragen war sie vom Willen, der Gemeinschaft zu dienen. Ihre Talente brachte sie in drei Wirkungsfeldern – Architektur, Kinderschutz, Frauenemanzipation – ein, durch Tätigkeiten, die sich gegenseitig ergänzten und potenzierten.

Für die Siebenbürger Sachsen und die siebenbürgische Gesellschaft insgesamt ist die Leistung solcher Frauen wie Erika Schuller-Paulas von kulturgeschichtlicher Bedeutung. Ihrer starken Persönlichkeit und umfangreichen Lebensleistung gebühren Respekt und Würdigung.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Geschichte, Persönlichkeiten.