Der 14. Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Österreich
Ausgabe Nr. 2885

Die Tanzgruppe „Goldregen” aus Sächsisch Regen beim Aufmarsch.
„Sorge dich nicht, der liebe Gott schützt dich und der liebe Gott ist schon längst dort, an jenem fremden Ort, wo du mit deinem Kind hinkommst.“ Dies waren die bedeutungsvollen tröstend sollenden Worte eines Tschippendorfers an sein 20-jähriges Mariechen, als diese mit ihrem einjährigen Sohn im September 1944 gemeinsam mit vielen Müttern und deren Kindern ins Ungewisse aufbrach. Niemand wusste, wohin die Reise ging, der Trennungsschmerz war unsäglich, die Erwachsenen, die sich am Bistritzer Bahnhof verabschiedeten, weinten lauter als die Kinder. Der 14. Heimattag im September in der Patenstadt der Heimatvertriebenen, in Wels, ausgerichtet vom Verband der Siebenbürger Sachsen in Österreich stand ganz im Zeichen der Ereignisse vor 80 Jahren, der Evakuierung und Flucht aus Siebenbürgen. So war die Gedenkveranstaltung als Einleitung zum Heimattag diesem Geschehen gewidmet.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als die über 250 Besucher und Besucherinnen der Lesung vom Schauspieler Denis Riffel, den zur Lesung passenden Klängen der Harfe zuhörten und die historischen Bilder von der Evakuierung und Flucht aus Siebenbürgen sahen. Als 1944 die im Norden des Karpatenbogens, im sogenannten Nösnerland siedelnde Bevölkerung, (d.i. das Umland der Städte Bistritz und Sächsisch-Regen) sowie aus sieben Grenzgemeinden dieses Gebietes (Felldorf, Rode, Maniersch, Draas, Zuckmantel, Zendersch und Katzendorf) evakuierten Siebenbürger Sachsen vor der herannahenden Ostfront evakuiert wurden, war halb Europa im Aufbruch. Die Flucht endete für die Mehrzahl im damaligen Gau Oberdonau, heute Oberösterreich und im Salzburgischen, einige der Trecks wurden nach Bayern weitergeleitet. Die Fluchtbewegung begann am 9. September 1944, in Wagentrecks und Bahntransporten verließen ca. 40.000 Nordsiebenbürger die von ihnen seit Jahrhunderten durch Gemeinschafts- und Familiensinn, evangelische Glaubensfestigkeit, Ordnungssinn, Fleiß und Traditionsbewusstsein kulturell und wirtschaftlich geprägte Heimat.

Gruppenbild mit Gastgebern und einigen Ehrengästen (v. l. n. r.): Rainer Lehni, Friedrich Gunesch, Oberösterreichs Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer, Ingrid Schuller, Manfred Schuller, Paul-Jürgen Porr, Christa Raggl-Mühlberger, Thomas Șindilariu. Fotos: Land OÖ/Peter MAYR
Die Trecks erreichten nach mühevoller Flucht Anfang November die damalige Reichsgrenze. Einige wurden in Niederösterreich von der Roten Armee überrollt und zurückgeleitet, der größere Teil erreichte Oberösterreich, wo ca. 30.000 Flüchtlinge in über 20 Landgemeinden der Bezirke Braunau, Ried, Eferding, Vöcklabruck, Gmunden, Linz-Land, Steyr-Land und Wels untergebracht wurden. Durch Übersiedlungen nach Deutschland, Kanada und USA verringerte sich die Zahl der in Oberösterreich auf Dauer ansässig gewordenen Siebenbürger Sachsen bis 1950 auf ca. 20.000. Die Zuzügler fanden nach dem Krieg, vorwiegend in der Landwirtschaft, im Baugewerbe und später in den Industriebetrieben der Städte, Arbeit. Durch ihre Teilnahme am Aufbau des kriegszerstörten Landes, durch die Sozialkontakte des Alltagslebens und auch durch das Bewusstwerden ehemaliger historischer Gemeinsamkeiten zwischen Österreich und Siebenbürgen kam es für die Siebenbürger Sachsen zu einem Integrationsprozess, welcher vor allem durch das Bekennen ihrer historischen Gemeinschaft und die Pflege ihres Brauchtums und ihrer auch kirchlichen Traditionen seinen Ausdruck findet. Auf diesen Grundlagen haben die Siebenbürger Sachsen in Österreich nach 1945 (rechtlich nach 1954) eine neue Heimat gefunden, in zehn Niederlassungsorten evangelische Kirchen gebaut, ihre Gemeinschaften erhalten und in ihrer Geschichte einen Neubeginn gesetzt. Alle bisher durchgeführten Heimat-, Gedenk- oder Erinnerungstage dienten der Bewältigung und Aufarbeitung der Vergangenheit, die Geschichte ist unveränderlich, und trotz der erlittenen Verluste, der Schicksale, der Heimatlosigkeit ist es die Dankbarkeit, die an einem Gedenktag im Vordergrund stehen soll.
Bundesobmann Konsulent Manfred Schuller begrüßte die vielen Ehrengäste und leitete in die Gedenkveranstaltung ein, der viele Ehrengäste aus Nah und Fern beiwohnten.
Eine Podiumsdiskussion, bei der Gäste aus Kultur, Kirche, Wissenschaft und Politik beiwohnten, folgte der Lesung. Dr. Paul-Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Dr. Ingrid Schiel, Geschäftsführerin des Siebenbürgen-Instituts und Leiterin der Siebenbürgischen Bibliothek mit Archiv, Renate Bauinger, Superintendentialkuratorin der Evangelischen Kirche A. B. in Oberösterreich, Ehrenbundesobmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Pfarrer HR Volker Petri, Ing. Norbert Kapeller, Präsident des Verbandes der deutschen altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich (VLÖ), sowie Christa Raggl-Mühlberger (FPÖ), Vizebürgermeisterin von Wels, Patenstadt der Heimatvertriebenen, stellten sich den Fragen von Dr. Christine Haiden, eine in Oberösterreich erfolgreiche, bekannte Journalistin. Thema der Podiumsdiskussion war die „Erinnerungskultur – Gestern – Heute – Morgen”. Das Geschehen von damals ist Geschichte, die Menschen haben weitergelebt und eine neue Kultur geschaffen und die nächsten Generationen kennen die Kultur der Vorfahren nur mehr aus Überlieferung. Muss oder soll man etwas davon konservieren? Wie haben die Siebenbürger Sachsen in ihrer neuen Heimat die Kultur bereichert? Was kann man aus dieser Geschichte für den Umgang und die Integration von vertriebenen Menschen heute lernen?

Die Tanzgruppe „Vergissmeinnicht” aus Bistritz.
Mit blauem Himmel und wolkenfrei, startete der Heimattag dann am Tag danach. Schon morgens lachte die Sonne vom Himmel, die Trachtenträger und -trägerinnen, die aus Deutschland, Siebenbürgen und aus österreichischen Bundesländern anströmten, verschönerten zudem das Bild, welches sich vor der Stadthalle bot. Der Festzug formierte sich mit allen Beteiligten und die Musikkapellen, aus Deutschland und aus Traun, gaben den Gleichschritt vor, so zog man durch die Innenstadt von Wels, empfangen vom Applaus vieler Zuschauer und Zuschauerinnen. Welches Bild, welche Freude!
Als sich alle Trachtenträger und Trachtenträgerinnen vor der Stadthalle aufstellten, spürte man die Verbundenheit der Siebenbürger Sachsen. Manfred Schuller eröffnete den Heimattag und dankte allen für ihr Kommen, jeder Einzelne sei eine Bereicherung. Er begrüßte alle Ehrengäste sowie alle anwesenden Nachbarväter, Nachbarmütter und Amtswalter und Amtswalterinnen auf Bundes- und Landesebene, und nicht zuletzt all jene, „die diesen Tag durch ihre Mitwirkung tragen und prägen“, darunter eine große Abordnung aus Sächsisch Regen und Bistritz, die Landesverbände Wien, Niederösterreich und Burgenland, Steiermark, Kärnten, Tirol und Salzburg, aus Oberösterreich die Nachbarschaften, Volkstanzgruppen und Musikkapellen aus Mattigtal, Rosenau, Vöcklabruck, Gmunden-Laakirchen, Wels, Bad Hall, Sierning und Traun, aus Deutschland die Gruppen aus Ingolstadt, München, Rosenheim, die Gäubodener Sachsen, Landsleute aus Mainz, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sowie die Blaskapelle München Landshut. All diese Formationen seien auf ihren Gebieten „Träger einer traditionellen Volkskultur, die in Siebenbürgen über Jahrhunderte gemeinschaftsbildend und prägend war“, so Bundesobmann Manfred Schuller „Blicken wir positiv in die Zukunft, wir Siebenbürger Sachsen sind ein starkes Volk, das hat uns die Vergangenheit bewiesen. Unsere Wurzeln sind noch in Siebenbürgen, die Geschichte hat uns geprägt, aber hier in Österreich sind wir zu Hause, seit 80 Jahren, und dafür sind wir dankbar“, unterstrich Manfred Schuller. Als solidarisches Zeichen „ist es uns ein Anliegen, einen Teil der Gottesdienstkollekte von Sonntag, Spenden und den Erlös des Bücherflohmarktes im ersten Stock für das Projekt ‚Österreich hilft Österreich‘ zugunsten der Opfer der Flutkatastrophe zu spenden. Diese armen Menschen haben alles verloren und benötigen eine große Hilfsbereitschaft.“
Es folgten die Grußworte der Ehrengäste, neben anderen sprach der Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung, Thomas Şindilariu, Dr. Paul-Jürgen Porr, Vorsitzender des deutschen Forums in Siebenbürgen. Als Vertreter der Heimatkirche übermittelte Hauptanwalt Friedrich Gunesch stellvertretend für die Kirchenleitung und Bischof Reinhard Guib, Grüße aus Nordsiebenbürgen, weiters sprachen der Vorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Rainer Lehni und aus der Patenstadt Wels Vizebürgermeister Christa Raggl-Mühlberger ihre Grußworte.
Höhepunkt war die Festansprache von Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer, der zur gelungenen Organisation dieses Heimattages gratulierte. An diesen Tagen gehe es um die Geschichte, 80 Jahre Siebenbürger Sachsen, damit gehe es aber auch um die Geschichte Österreichs und letztlich auch um einen wichtigen Teil der europäischen Geschichte. Aus der Heimat vertrieben zu werden „ist ein Drama und ist ein Trauma“, so der Landeshauptmann.
Die Siebenbürger Sachsen hätten in Österreich eine neue Heimat gefunden, in einer Zeit der Not „mit viel Mut, Vertrauen, einem gesunden Gottvertrauen“. Sie hätten angepackt und viel geleistet „für sich, ihre Familie, aber auch das gesamte Land“, sagte Stelzer und würdigte insbesondere die Aufbauleistung in Oberösterreich und deren Pioniergeist.
Der Nachmittag des Heimattages war den Tanzvorführungen der Tanzgruppen, den musikalischen Darbietungen der Blaskapellen sowie dem Besuch der Ausstellung „Heimat verloren – Heimat gefunden“ – Von Nordsiebenbürgen über Oberösterreich nach Nordrhein-Westfalen in Deutschland” gewidmet. Durch die Wanderausstellung, eine Leihgabe der Siebenbürger Landesgruppe Nordrhein-Westfalen führte der Bundesvorsitzende der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Rainer Lehni sowie die Bundeskulturreferentin der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Ingrid Schuller.
Mit einem Gemeinschaftskonzert der Blaskapellen und einem am Abend folgenden Herbstball endete der Samstag.
Der Sonntag fand mit einem Totengedenken und einem Fest- und Gedenkgottesdienst samt Festpredigt vom Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich, Mag. Michael Chalupka und Pfarrer Roland Wernek seine Fortsetzung, aber auch Abschluss.
Die vielen Trachtenträger und Trachtenträgerinnen bereicherten und schmückten das Gotteshaus. Bundesobmann Manfred Schuller dankte abschließend für diese ereignisreichen Tage, für die vielen Begegnungen, die Gespräche, dem Miteinander, der großen Gemeinschaft, die uns Siebenbürger Sachsen ausmacht. Man möchte allen danken, dass dieses Wochenende, welches ganz im Zeichen des Gedenkens war, des Erinnerns, aber auch der Freude war. Er betonte abschließend, dass die Kollekte der Gottesdienstbesucher zum einen für die Kirchenrenovierung und zum anderen für die Hochwasserkatastrophe in Österreich verwendet werden wird und lud zur Agape in den Pfarrgarten ein.
Damit gingen dieser 14. Heimattag und Auftakt zum „12. Siebenbürgischen Kulturherbst in Oberösterreich“ zu Ende. Ein Dank geht an das Kamerateam von der deutschen Redaktion des öffentlich-rechtlichen Rumänischen Fernsehens TVR 1 mit der Moderatorin Christel Ungar, die von Freitag bis Sonntag bei allen Veranstaltungen dabei war und mitgefilmt haben.
Ingrid SCHULLER