Zu Sabin Tambreas Roman ,,Vaterländer“ (2024)
Ausgabe Nr. 2884
Tua res agitur! Oder: Es geht um etwas, was mich angeht. Was mich betrifft. Mich trifft. So erging es mir beim Lesen des neuen Romans, getitelt „Vaterländer”, des deutschen Schauspielers Sabin Tambrea. Der Roman ist kürzlich im Berliner Gutkind-Verlag erschienen und kann in Hermannstadt im Erasmus-Büchercafé erworben werden.
Auch wenn auf der letzten Seite die rechtliche Absicherung steht, „Eventuelle Ähnlichkeiten mit tatsächlich existierenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Ereignissen sind rein zufällig.“, so ist der offensichtlich autobiographische Roman doch sehr nah an der Realität und historische Protagonisten kommen sicher nicht „rein zufällig“ vor.
Ein Roman wird per Definition dem epischen Genre zugeordnet. „Vaterländer“ ist jedoch nicht nur episch, sondern hochdramatisch. Sabin Tambrea, Jahrgang 1984, der eine Musikkarriere begann und schließlich in seinem Traumberuf Schauspieler aufging, schreibt so lebendig, dass man die Figuren wie auf einer Bühne oder in einem Film erlebt. Nicht nur ihr Handeln ist miterlebbar, auch ihr Innenleben, ihre Seele wird beschrieben. Nicht mit simplen Wörtern, wie beispielsweise „er war verzweifelt“, sondern in hologrammartigen Schilderungen, die die Stimmung durch Details, Gesten, Geräusche und Assoziationen heraufbeschwören.
Inhaltlich ist der Roman in drei große Kapitel geteilt, die sich auch typografisch unterscheiden (Blocksatz/Flattersatz). Zuerst erfahren wir, wie Mutter Rodica, Schwester Alina (Ai) und der Erzähler (Sabin, Sabinuku, Nuku) 1987 mit dem Zug in Deutschland eintreffen, wo der Vater Béla sehnsüchtig auf seine liebsten Menschen wartet. Er hatte sich zwei Jahre zuvor während einer Orchestertournee im Westen abgesetzt.
Tambrea erzählt über seine ersten Jahre in Deutschland, die Mühen und Freuden des Fußfassens in einer unbekannten Welt. Dazu die Besuche in der alten Heimat (Neumarkt am Mieresch/Târgu Mureș/Marosvásárhely) bei der Großfamilie, als das ab 1990 möglich war.
Der mittlere Teil des Buches beinhaltet die Memoiren von Rodicas Vater, Horea Sava, der in Ich-Form seinen Leidensweg durch die Gefängnisse der Securitate (1949-1951) festhält.
Das Drama wird hier zur schwer erträglichen Tragödie. Aber aus dem ersten Kapitel des Romans weiß man bereits, dass Horea sich nicht brechen lässt und ein starker Mensch, ein liebevoller Vater und zärtlicher Großvater wird. Hochachtung!
Im dritten Kapitel dürfen die Leserinnen und Leser in die Lebens- und Liebesgeschichte von Rodica und Béla eintauchen. Vor der Ehe nur Händchenhalten erlaubt! Kämpfen um einen Studienplatz, um eine Mini-Wohnung. Hochzeitsfest bis zur Sperrstunde mit der Großfamilie und Paten. Die unzumutbaren Zustände in einer Geburtenklinik in der Ceaușescu-Zeit in Rumänien. Dann die plötzliche Trennung durch Bélas Flucht und die schwere Wartezeit hüben und drüben. Zuletzt schließt sich der Kreis.
Tambreas Roman „Vaterländer“ ist, jedenfalls für die Generation der heute 60-Jährigen, ein faszinierender Spiegel der Welt in einer siebenbürgischen Stadt und darüber hinaus. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und las es in einem durch.
Gerhild RUDOLF