,,Psychohygiene ist essentiell“

Teile diesen Artikel

Gespräch mit der Schweizer Psychiaterin Dr. med. Gisela Perren-Klingler

Ausgabe Nr. 2884

Gruppenbild vor dem Tagungshaus der Evangelischen Akademie Siebenbürgen mit den Teilnehmenden an dem von Dr. Gisela Perren-Klingler in Hermannstadt gehaltenen Kurs.                                                         Foto: Privat

Dr. Gisela Perren-Klingler hat 1992 das Institut Psychotrauma Schweiz (IPTS) gegründet. Die Initiative der Gründung ging einerseits auf das Schweizerische Opferhilfegesetz zurück, das in jenem Jahr vom Parlament verabschiedet worden war, andererseits kam damals eine große Anzahl von Flüchtlingen aus dem Balkan und aus Ruanda in die Schweiz. Infolgedessen entstand ein Netz von in der Praxis niedergelassenen Psychotherapeuten, die spezialisiert sind in der Behandlung von Überlebenden traumatischer Ereignisse. Darunter fällt auch erlebte psychische Gewalt und deren Folgen zum Beispiel Depressionen oder post-traumatische Belastungsstörungen (PTBS). Inzwischen ist das Institut ein Netz von Berufsleuten und ausgebildeten Laien in der Schweiz und im europäischen Ausland. Vor kurzem war Dr. Perren-Klingler in Hermannstadt, wo sie auf Initiative der EKR-Flüchtlingsbeauftragten Erika Klemm einen Kurs über Prävention von Zwangsprostitution vor interessierten Laien und Mitarbeitern von Sozialämtern hielt. Lesen Sie im Folgenden das Interview, das HZ-Redakteurin Beatrice U n g a r mit der Schweizer Psychiaterin Dr. Gisela Perren-Klingler geführt hat.

 

Wie kam es zu Ihrem Einsatz in Rumänien, in Hermannstadt?

Dieter David und sein Team in Stuttgart sind langjährige Schüler von mir, und ich begleite sie immer noch in Supervision von schwierigen Fällen-viermal im Jahr. Dadurch wusste ich von seinem Einsatz in Siebenbürgen und bot ihm auch an, wenn nötig nach Siebenbürgen zu kommen.

Warum setzten Sie sich im Ausland in diesem Bereich ein?

Die Schweiz ist klein, und die Sache zu wichtig, um nicht andere Länder in Europa – und auch jenseits des Atlantik, besonders in Lateinamerika – im Umgang mit Gewaltfolgen auszubilden.

Wie sehen Sie die Situation in Rumänien im Vergleich zu anderen Ländern? Stärken, Schwächen, System?

Rumänien hat eine sehr rezente Geschichte von Gewalt durch die Diktatur bis 1989 und nachher. Das schwingt auch bei den Helfern nach, und das macht den Umgang mit Gewaltfolgen schwieriger und risikoreicher für die Intervenierenden. Besonders Selbstschutz ist dann wichtig, und dazu ist das von mir übermittelte Wissen und Können der zwei Tage von Bedeutung. Eine unnötige Belastung für Intervenierende soll auf jeden Fall vermieden werden, sonst brennen sie sehr schnell aus.

Die Stärke ist, dass die Situation in Siebenbürgen erlaubt, nicht nur Psychologen oder Psychotherapeuten im Umgang mit Gewalt auszubilden, sondern auch mehr an der Basis Arbeitende, wie Sozialarbeiter, Lehrer, Notfallpersonal, Krankenpflegepersonal usw. Damit wird das Wissen und das Können im Umgang mit Gezeichneten viel breiter gestreut, und es kann Präventionsarbeit geleistet werden, was wiederum die Lebensqualität von mehr Betroffenen beeinflusst.

Dr. Gisela Perren-Klingler (1. v. r.) nimmt die Ehrung in Boston entgegen.

Welche sind die Herausforderungen bei der Arbeit mit Betroffenen?

Die Herausforderungen sind verschieden, je nach Ort und Zeit nach dem Gewaltereignis.

Man darf nicht nur das Opfer sehen, sondern muss den Überlebenden und seine Stärken beachten und seine Ressourcen reaktivieren.

Man sollte seine Reaktionen als gesund und nicht als krankhaft kennen lernen, dazu braucht es gute Kenntnis der biologischen Grundlagen des akuten, potenziell traumatischen Stress.

Man muss bestimmte Techniken im Umgang mit solchen Menschen kennen und beherrschen, um sie nicht kränker zu machen, wenn man interveniert.

Man muss wissen, wie man sich selbst vor „Ansteckung“ durch diese Betroffenen schützen kann. – Selbstschutz – Psychohygiene ist essentiell.

Ein gewaltsames Erlebnis ist nicht zwingend traumatisch. Menschen können durch das Ereignis krank werden, es heil überstehen oder sogar daran wachsen. Ein Trauma ist dabei oft auf ein Gefühl großer Hilflosigkeit oder Ereignissen außerhalb des normalen Erfahrungs- oder Erlebnisbereiches zurückzuführen.

Das Institut betrachtet es „als moralische Verpflichtung der Gemeinschaft, ihre betroffenen Mitglieder bei der Bewältigung des Geschehenen zu unterstützen und damit Erkrankungen vorzubeugen“. Aus Ihrer Erfahrung: Wie geht man da vor?

Jedes Gewaltereignis spielt sich in einer gewissen Gesellschaft ab, die nicht in der Lage ist, die betroffenen Menschen zu schützen. Sei es Kinderschutz, sei es Schutz vor politischer Verfolgung, vor Gender-Gewalt, oder Schutz vor Verletzung bei der Arbeit. Wenn dieser Schutz, der in Europa meistens ja gesetzlich geregelt ist, nicht greift, muss die Gesellschaft nachher Hilfe anbieten und natürlich auch zu verstehen versuchen, wie trotz Gesetzen so etwas passieren konnte.

Beim Vorgehen kommt es auf den Zeitpunkt an: Wenn man schnell nach dem Ereignis interveniert, kann man – präventiv – den Leute helfen, mit ihrem akuten Stress sinnvoll fertig zu werden; dazu braucht es keine „Notfallpsychologen“, sondern solche Menschen, die nah am Geschehen sind: Krankenschwestern, Ambulänzler, manchmal Notfallseelsorger, oder je nachdem bei Kindern, Lehrer. Allerdings brauchen sie eine Ausbildung und auch Supervision. Dies gilt für Ereignisse bis ungefähr vier Wochen danach.

Nachher kommen etwas höher strukturierte psycho-soziale Interventionen zum Zuge, und – in Europa, wo es viele Psychotherapeuten gibt, auch psychotherapeutische. Viele andere Kulturen haben andere Wege gefunden, um mit Gewalterfahrung umzugehen, fast immer im sozialen Rahmen, durch religiöse Riten usw.

Nach dem Einsatz in Rumänien ging es für Sie in die USA, wo Sie gewürdigt wurden. Herzlichen Glückwunsch. Was bedeutet die Ehrung für Sie?

Ich wurde am Kongress in Boston von der ISTSS (International Society for Traumatic Stress Studies) mit dem „distinguished Mentorship Award“ ausgezeichnet. Für mich ist das wichtig, weil ich für eine Lebensaufgabe, wo ich mit viel Herzblut mit neuen Generationen für die Zukunft gearbeitet habe, gewürdigt wurde – d. h. für Zukunftsprojekte.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.