Ohrwürmer und Kreuze aus Kirschholz

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Streiflichter von der zweiten Auflage des Ars Sacra-Festivals in Hermannstadt (II)

Ausgabe Nr. 2883

Ein außerordentliches Konzert mit jüdischer Musik bestritten in der Synagoge am Freitagabend Ion Sandu Filip (Tenor), Orly Frankel (Alt), Dariana Elena Jurjuț (Sopran), Mugur-Nitsan Nazarie-Schwartzman (Bass) und Bianca Stănescu (Klavier) vom Siebenbürgen Opera-Verein aus Klausenburg (v. l. n. r.).         Fotos: Beatrice UNGAR

Sie habe sich nicht vorstellen können, dass man auf der Orgel den Hit „We are the World” spielen kann, sagte eine Besucherin aus Bukarest, die am Samstag erst um 22 Uhr den Weg in die evangelische Stadtpfarrkirche gefunden hatte, als das Trio Brita Falch Leutert (Orgel), Jürg Leutert (Orgel und Gitarre) und Barry Meijers (Klavier) beliebte Schlager und Filmmusik erklingen ließen. Das war der vorletzte Programmpunkt des der restaurierten Sauer-Orgel gewidmeten Orgelmarathons im Rahmen der zweiten Auflage des Ars Sacra-Festivals, die vom 14. bis 22. September in Hermannstadt stattgefunden hat.

Nachdem es am Samstag von 12 Uhr mittags bis Mitternacht im Stundentakt in der evangelischen Stadtpfarrkirche etwas zu erleben gab, konnten die Interessierten am Sonntag, am Tag der orthodoxen Kirche, nach dem Konzert des „Timotei Popovici”-Chores in der Kathedrale in der Fleischergasse einen Spaziergang zur orthodoxen Kirche in der Salzgasse/Constituției machen, wo Pfarrer Vasile Davidoiu ihnen die von ihm selbst aus Kirschholz geschnitzten Kreuze präsentierte. Am anderen Ende und auf der anderen Straßenseite waren am Freitagabend, dem Tag der jüdischen Gemeinde, in der voll besetzten Synagoge Ohrwürmer wie „Hallelujah la´Olam“, „Bay mir bistu sheyn“ oder Leonard Cohens „Hallelujah“ erklungen, geboten von vier Gesangsolisten des Klausenburger Siebenbürgen-Opera-Vereins. Die Vier tanzten sogar und zuletzt sangen alle bei der Zugabe das „Hallelujah“ mit.

Besucht werden konnte am Sonntag, dem 15. September, dem Tag der römisch-katholischen Kirche, die komplett restaurierte Franziskanerkirche, ursprünglich das Kloster der Dominikanerinnen. Eine kundige Führung bot Dozent Dr. Marius Șpechea von der Lucian Blaga-Universität.

Bewundern konnte und kann man hier auch eine kleine Ausstellung von Cristina Niță, die Gänse- und Straußeneier mit jüdischen Motiven verziert hat. Die Ausstellung ist noch einige Wochen lang zu besichtigen, jeweils von Montag bis Freitag zwischen 9 und 12 Uhr.

Zurück zum Orgelmarathon am Samstag: Die Interessierten konnten bei einer von EKR-Musikwart Jürg Leutert angebotenen Orgelwanderung nicht nur die sieben in der evangelischen Stadtpfarrkirche stehenden Orgeln kennenlernen sondern erhielten auch einen Einblick in die Geschichte der „Königin der Instrumente”. In der Sakristei z. B. ließ Brita Falch Leutert, die Stadtkantorin der Hermannstädter evangelischen Kirchengemeinde, die kleinste Orgel, ein Portativ (nachgebaut 2005), und im Anschluss die von dem Orgelbauer Hermann Binder gefertigte Orgel (1990) erklingen. Dann ging es an die Stolzenburger Orgel (1773) im Hauptschiff und ebenda präsentierte Jürg Leutert die von dem Schweizer Orgelbaumeister Ferdinand Stemmer 1997 gefertigte Truhenorgel. Auf der Empore der Sauer-Orgel (1915), die an diesem Tag im Mittelpunkt stand, konnten die Anwesenden den Spieltisch sehen. In der Ferula erklangen dann das sechste und siebente Instrument: Die Hahn-Orgel, die älteste der sieben, die bis zum Zweiten Weltkrieg in der Aula der Brukenthalschule aufbewahrt war, und die Maetz-Orgel von 1811 aus Martinsberg.

Die größte Orgel in der evangelischen Stadtpfarrkirche stand im Mittelpunkt des zwölfstündigen Orgelmarathons am Samstag: Die 1915 gebaute Sauer-Orgel mit ihren 78 Manualen, eines mehr als die Orgeln in der Schwarzen Kirche bzw. die in Budapest. Unser Bild: Das erste Konzert bestritt Wilhelm Schmidts (Bamberg), assistiert von den Organistinnen Ursula Philippi (Tartlau, rechts) und Noemi Miklos (Klausenburg, links).       Foto: Beatrice UNGAR

Am Mittwochabend führte Pfarrer Sándor Varró die Anwesenden kurz durch die Geschichte der reformierten Gemeinschaft vor Ort. Im Zuge der Eingliederung Siebenbürgens in das Habsburgerreich unter Leopold I. funktionierte das Gubernium erst in Karlsburg und 1692 wurde es nach Hermannstadt verlegt. Zum Beamtenapparat gehörten viele ungarische protestantische Adlige, die zusammen mit ihren Familien, Dienern und Hofhandwerkern nach Hermannstadt umzogen. Von 1709 bis zum Ende des Jahrhunderts war die Stadt Sitz des Allgemeinen Reformierten Konsistoriums (Kirchenrat) wobei der Pfarrer des Kirchenrats auch die Aufgabe des Gemeindepfarrers erfüllte. Zu dieser Zeit wurden die Gottesdienste in den Häusern des Adels abgehalten, da es keinen Kirchenbau gab. Im Zuge des Toleranzediktes von Joseph II. von 1781, wurde es Fremden erlaubt, sich in den siebenbürgisch-sächsischen Städten niederzulassen. Neben den Adligen zogen auch viele ungarische Intellektuelle, Handwerker, Kunsthandwerker, Diener und Hausangestellte nach Hermannstadt. „Das Gründungsdatum der reformierten Gemeinde lässt sich nicht genau bestimmen”, meinte Varró. „Doch der Anstieg der Zahl der Reformierten machte den Bau einer Kirche notwendig.” Der Bau eines Gebetshauses soll Maria-Theresia nicht gestattet haben, allerdings erhielt man 1783 die Genehmigung für den Bau einer Kirche von Joseph II. Im Jahr 1831 verzeichnete die Gemeinde außer den Geistlichen, die ständig wechselten, 33 Familien. Während des Ersten Weltkriegs war die Mitgliederzahl am höchsten, als viele reformierte Männer in der Armee in Hermannstadt dienten und die Zahl der Flüchtlinge zunahm.

Brita Falch Leutert (rechts) ließ bei der Orgelwanderung am Samstag auch die älteste Orgel in der evangelischen Stadtpfarrkirche erklingen, gebaut von Johannes Hahn im Jahr 1748, die heute auf der Empore in der Ferula steht. Ebenfalls von Johannes Hahn stammt auch die Stolzenburger Orgel von 1773.                                                                               Foto: Beatrice UNGAR

Heute zählt die Gemeinde etwa 600 Mitglieder. Dazu gehören die Gemeinden Heltau mit 30 Mitgliedern und Talmesch mit 4 Mitgliedern. Keine der beiden genannten Gemeinden hat eine eigene Kirche. In Heltau finden die Gottesdienste im Gemeindesaal der evangelischen Kirche statt, während in Talmesch die Gottesdienste in einem Familienhaus abgehalten werden.


Pfarrer Sándor Varró (am Mikrofon) präsentierte in der reformierten Kirche die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde. Foto: Werner FINK

Im Rahmen des Abends wurde die Ausstellung „Sakralität in der modernen Kunst” eröffnet, die Iulia Mesea vorstellte. Zu sehen sind Werke von Olimpia Coman-Sipeanu, Antonela Giurgiu, Constantin Ilea, Stefan Orth (Hermannstadt), Piroska Ráduly, Géza Xántusz (Szeklerburg), Ágnes Forró (Klausenburg) und András Vetró (Szekler-Neumarkt). Zum Schluss gab es eine Vorstellung der Hermannstädter und Salzburger Jugendsinggruppen.

Am Donnerstagnachmittag brachten Erika Klemm (Blockflöte, Gesang), Cosmina Barna (Orgel) und Monica Robescu (Flöte) in der Johanniskirche Barockmusik zu Gehör. In der Ursulinenkirche hatte am Montag, dem Tag der griechisch-katholischen Kirche der Allegretto-Chor konzertiert.

Werner FINK

Beatrice UNGAR

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kirche.