Mit Lebensweisheiten und Humor

Teile diesen Artikel

Neues Buch zum Lebenswerk von Eginald Schlattner vorgestellt

Ausgabe Nr. 2882

Mit Lebensweisheiten und Humor: Eine Buchvorstellung mit dem Pfarrer und Schriftsteller Eginald Schlattner (Bildmitte) ist immer ein Erlebnis. Davon konnten sich auch die zahlreichen Anwesenden bei der Veranstaltung am Mittwoch der Vorwoche im Spiegelsaal des DFDH überzeugen. Lesen Sie dazu unseren Bericht auf Seite 5. Unser Bild: Die Klausenburger Germanistin Dr. Gabriella-Norá Tar (1. v. l.) und die Hermannstädter Germanistin Dr. Andreea Dumitru (1. r.) sprachen über das Werk von Schlattner und das neueste dazu erschienene Buch.

„Reise nach Rothberg. Eginald Schlattner: Werk und Wirken“ heißt das neue Buch, das „von, mit und über“ den bedeutenden siebenbürgisch-sächsischen Autor im Pop-Verlag erschienen ist. Zur Buchvorstellung reiste Schlattner am Mittwoch, 11. September d. J. von Rothberg nach Hermannstadt. Im Spiegelsaal des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt (DFDH) sprachen dazu der Verleger Traian Pop, HZ-Chefredakteurin Beatrice Ungar und die Germanistinnen Gabriella-Nóra Tar und Andreea Dumitru. Protagonist des Abends – mit Lebensweisheiten und Humor – war jedoch Schlattner selbst.

„Eginald Schlattner will nur ungern weg von Rothberg“, stellte Dumitru fest. Es sei deshalb eine besondere Freude, dass der Pfarrer und Autor zur Buchvorstellung nach Hermannstadt gekommen sei. Die Germanistin aus Hermannstadt, die über das Werk von Eginald Schlattner promoviert hat, lüftete gleich zu Beginn ein Geheimnis: Ein zweiter Teil des Sammelbandes über den 91-jährigen Rothberger Pfarrer sei schon in Planung. Der jetzt vorliegende Band enthält nicht nur Beiträge verschiedener Wissenschaftler, Wegbegleiter und von Schlattner selbst, sondern auch Auszüge aus jedem seiner Romane. Dabei zeige sich das weltliterarische Können Schlattners, so Dumitru. Deshalb habe er auch 2018 die Ehrendoktorwürde der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg und 2021 das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland erhalten.

Der Verleger Traian Pop aus Ludwigsburg bezeichnete Schlattner als den bedeutendsten rumäniendeutschen Autor neben Herta Müller, und das sei nicht nur seine Einschätzung, sondern auch die von Rumänen. So ehrte Pop den Autor auch als jemand, der Gott sei Dank existiert.

„Die Leute pilgern zu Schlattner nach Rothberg“, sagte HZ-Chefredakteurin Beatrice Ungar. Sie las aus einem der 45 Beiträge des neuen Buches, in dem Pop seine Eindrücke über Schlattner beschreibt. Viele Siebenbürger Sachsen besuchten ihn wohl auch deshalb, weil sie durch ihn die rumänische Heimat nicht nur literarisch wiederentdeckt haben.

Dumitru stellte das sieben Romane umfassende literarische Gesamtwerk von Eginald Schlattner kurz vor und übergab das Wort an die Germanistin Gabriella-Nóra Tar von der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg, die auf den neuesten Roman, „Brunnentore“ (2023), einging. In diesem Buch beschäftigt sich Schlattner anhand von autobiographischen Bezügen mit ungarischem Leben im Siebenbürgen. In Wlachendorf (ung. Szentegyháza, rum. Vlăhița) im Szeklerland verbrachte er einen Teil seiner Kindheit, weil sein Vater dort als Beamter arbeitete. Der Name des Romans geht auf die Fantasie von Schlattners Bruder Kurtfelix zurück: Er sah die Tore der Brunnen als Tor zu Frau Holle.

Es geht in diesem Roman um eine interethnische Kinderliebe, die durch den Zweiten Wiener Schiedsspruch 1940 ein jähes Ende findet, als die Familie des Ich-Erzählers das nun ungarische Dorf verlassen muss. Tar hob zwei Aspekte hervor: Zum einen bediene der Roman mit dem Szeklerland ein besonders in ungarischer Sprache sehr beliebtes Sujet, zum anderen zeige die Handlung eindrucksvoll, wie sich die große politische Geschichte auch in der kleinen kindlichen Wahrnehmung der Zeit wiederspiegelt.

Eine Kostprobe diesen Romans las der Protagonist vor dem Publikum. Schlattner begann davor mit den Worten: „Ich werde 91, ich bin halb blind, dreiviertel taub, aber noch nicht deppert. Noch verstehe ich es, mich mit der Choreographie der Logik zu artikulieren.“ Ingenieur, Pfarrer, Autor: So erzählte er kurz seine Biographie voller Brüche. Er sei nach dem Kronstädter Schriftstellerprozess 1959 von vielen Seiten in die Schusslinie von Verteuflung geraten. Erst seit er sich 1978 in Rothberg niedergelassen habe, sei es ruhiger für ihn geworden. Deshalb äußerte er auch den Wunsch: „Ich möchte auch in Rothberg beerdigt werden. Und zwar auf dem alten Friedhof, nicht auf dem neuen. Dann müssen die Besucher, die das Grab besuchen wollen, nicht so weit gehen.“

Nach der Lesung gab Schlattner einige Hintergründe zu „Brunnentore“ bekannt. Der Titel sei deshalb so bedeutend, weil der Fantasiename für seinen Bruder fast tödlich ausgegangen wäre: „Er wollte durchs Brunnentor Frau Holle besuchen. Wir mussten ihn dann wieder rausziehen.“ Bis auf „Nu știu românește“ („Ich kann kein Rumänisch“) habe Schlattner mit neun Jahren noch keine Kenntnisse dieser Sprache gehabt, im Gegensatz zu Ungarisch, da er nur mit deutschen oder ungarischen Kindern spielte. Im Umgang mit verschiedenen Ethnien dränge sich ihm daher der Satz auf: „Wir sind verantwortlich für das Antlitz des anderen.“

Gewohnt anekdotisch und humorvoll antwortete Schlattner in der anschließenden Fragerunde. Warum es in seinen Büchern keine derbe Erotik gebe, wurde er gefragt: „Um Gottes Willen! Nicht dass es sie nicht gibt oder geben darf, aber es gibt Dinge, über die man nicht spricht.“ Nach Ratschlägen für junge Leute in Siebenbürgen gefragt, blieb der Rothberger bei allgemeinen Lebensweisheiten. Auch ein Ratschlag sei ein Schlag – und er wolle keine Schläge austeilen.

Schlattner freute sich sehr über zwei japanische Gäste, die Germanistin Dr. Kyoko Fujita und ihr Mann, der Ornithologe Dr. Susuki die schon zum dritten Mal nach Siebenbürgen gekommen waren, um Feinheiten für die japanische Übersetzung seines Erstlings, „Der geköpfte Hahn”, zu klären. Von diesen Gästen kam auch die Frage, wie es um die multikulturelle Gesellschaft und deren Zukunft in Rumänien bestellt sei.

Zu den Siebenbürger Sachsen meinte der Autor, selbst Sachse: „Es gibt uns nicht mehr, aber wir sind immer noch da.“ Seine Rothberger Gemeinde bestehe noch aus zwei Seelen – er und eine Frau, ebenfalls 91 Jahre alt. Aber man könne die Zukunft nicht vorhersehen: „Wir haben es mit einem Gott der Überraschungen zu tun. Seine Fantasie übersteigt unsere Vorstellungskraft.“ Ebenso wie auf die Situation der Sachsen trifft diese Aussage auch auf Schlattners persönliches Leben zu. Eigentlich hätte, bevor er Pfarrer geworden sei, alles dafür gesprochen, in die Bundesrepublik umzusiedeln. Er habe zwar nie genau gewusst, was Gott von ihm wollte – nur, was er nicht von ihm wollte. Wegen dieser Intuition sei er geblieben. Und dieser eigentlich logisch negativen Entscheidung verdanke er all den Erfolg, den er nun als Pfarrer und Autor erleben dürfe. „Da zeigt sich mal wieder, wie sich die Weltpolitik bis in den Kochtopf hinein auswirkt“, schloss Schlattner die Fragerunde.

Wer eine persönliche Widmung des Autors bekommen wollte, konnte dafür die im Pop-Verlag erschienenen Romane und den druckfrischen neuen Sammelband vor Ort kaufen. Wer noch ein paar Worte mit Schlattner wechseln wollte, konnte dies ebenfalls tun. Die Zuhörer nahmen diese Möglichkeit gerne wahr. Denn der unterhaltsame Pfarrer und Autor war das Sahnehäubchen des ohnehin vielfältigen Abends: Buchvorstellung eines Sammelbandes, Lesung und Besprechung eines Romans, Begegnung und Unterhaltung.

Am 13. September d. J. feierte Pfarrer und Autor Eginald Schlattner seinen 91. Geburtstag. Trotz seines hohen Alters schreibt er weiter: Im November soll im Pop-Verlag sein neuester Roman, „Die dritte Nacht“, erscheinen. Ein breites Publikum in Siebenbürgen und der Welt darf sich auf das neue Buch dieses bedeutenden Autors freuen. Der Besucherstrom zum sonntäglichen Gottesdienst nach Rothberg wird so schnell wohl nicht abreißen. Der neue Sammelband dokumentiert diese Erfolgsgeschichte.

Andreas SIENZ

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.