Mit dem Evangelischen Gesangbuch durchs Jahr 2024 /Von Elfriede Dörr
Ausgabe Nr. 2869
Ich mag es, Gesangbuchlieder zu Hause zu singen. Es ist eine Weise, mich mit meiner Mutter zu verbinden, sie lebte mit den Liedern im Alltag, wie auch ihre Mutter, meine Großmutter, auch sie.
Eines der Lieder aus meinem Alltag ist: „Die güldene Sonne bringt Leben und Wonne”.
Philipp von Zesen hat das Gedicht 1641 veröffentlicht. 40 Jahre später hat es Johann Georg Ahle als Morgenlied vertont. Es steht in unserem Gesangbuch auf Nr. 410. Zesens Mission, so lese ich, war die deutsche Sprache. Er wollte „Deutsch“ kulturell zum Durchbruch verhelfen, weil nur als gebildet galt, wer seine Texte griechisch und lateinisch anreichern konnte. Von diesem ‚Sitz im Leben‘, und dem feurigen Sendungsbewusstsein eines jungen Schriftstellers zu erfahren, finde ich interessant. Mich berühren seine Worte jedoch anders. „… / die Finsternis weicht. / Der Morgen sich zeiget,/ Die Röte aufsteiget, der Monde verbleicht.//Nun sollen wir loben den Höchsten dort oben,/daß er uns die Nacht /hat wollen behüten: vor Schrecken und Wüten/der höllischen Macht.”
Die ganze Ambivalenz meines Lebens ist aufgehoben in diesen Bildern, sie wird eingebettet in mein Loben. Singend nehme ich mir eine Wachpause, ich werde aufmerksam für den Tag, ich stelle mich in einen größeren Zusammenhang, ich beziehe mich auf Gott, dem ich mein Leben verdanke. Das ist was mir an diesem Lied gefällt: es richtet mich aus.
Viel zu schnell bestimmen Sorgen meinen Tag, wer kennt das nicht? „Hab tränenverschwommen kein Licht wahrgenommen,/ doch die Sonne stand da. / Gott ließ aus den Pfützen die Strahlen aufblitzen/ und war mir ganz nah.” So schreibt Gerhard Schöne seinen eigenen Reim auf die gleiche Melodie.
Im Nebenzimmer ist meine Tochter, das Bakkalaureat steht ihr bevor. Ich spüre ihre Anspannung, den Wechsel von Zweifel und Zuversicht. Ich stimme leise an und singe die Worte, die mich durch ähnliche Zeiten begleiteten:
„Es sei Gott gegeben mein Leben und Streben, /mein Gehen und Stehn. / Er gebe mir Gaben zu meinem Vorhaben, / laß richtig mich gehn. // In meinem Studieren / wird er mich wohl führen / und bleiben bei mir, / wird schärfen die Sinnen / zu meinem Beginnen / und öffnen die Tür”.
Elfriede DÖRR