Vortrag und Podiumsdiskussion in der Diplomatischen Akademie Wien
Ausgabe Nr. 2815

Die Diskutanten Emil Brix, Márton Méhes, Ágnes Tóth, Regina Hellwig-Schmid und Biljana Kovac (v. l. n. r.). Foto: Ingeborg SZÖLLÖSI
Als die Einladung in die Diplomatische Akademie Wien in mein elektronisches Postfach flattert bin ich etwas erstaunt. Das im selben Gebäudekomplex residierende Elitegymnasium Theresianum ist einer waschechten Wiener Pädagogin selbstverständlich ein Begriff – ich konnte ja schon vor Jahren die unermesslichen Möglichkeiten, die diese Schule sowohl ihren Schülern als auch Lehrern bietet kennenlernen – doch in die „heiligen Hallen“ der Diplomatischen Akademie Wien eindringen zu dürfen, ist somit auch für mich ein erhebender Moment. Interessiert studiere ich das Thema der Veranstaltung, nämlich „Die Donau – ein europäischer Erinnerungsort“: Vortrag und Podiumsdiskussion mit Emil Brix, Ágnes Tóth, Biljana Kovac, Regina Hellwig-Schmid, Márton Méhes und Andrea Vándor.
Das Deutsche Kulturforum östliches Europa mit Sitz in Potsdam hätte keine bessere Location im Herzen Wiens wählen können: Ist doch die geschichtliche Dimension der Donau in der Kaderschmiede für angehende Diplomaten omnipräsent und Dr. Emil Brix als erfahrener österreichischer Diplomat, Historiker und seit sechs Jahren Direktor der Diplomatischen Akademie Wien der ideale Gastgeber. Überdies ist Brix Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa. Er gilt als Vertrauter und Weggefährte des verstorbenen Politikers Dr. Erhard Busek, den Brix als „besten Außenminister, den Österreich nie hatte“ bezeichnet. Als Wissenschaftsminister und Vizekanzler der Republik Österreich stand Busek für Weltoffenheit in seiner Partei, für Liberalismus in der katholischen Kirche und last but not least kämpfte er bis zu seinem Tod für ein weltoffenes Österreich in einem friedlich vereintem Europa. Man nannte Busek auch einen „bunten Vogel“, der eine ganze Generation junger Menschen motivieren konnte, sich für Österreich und Europa zu engagieren.
Aber zurück zu unserer Veranstaltung, die ein Teil des Jahresthemas 2023 des Deutschen Kulturforums östliches Europa ausmacht. Als „Die Donau: 3000 Kilometer Europa“ wurde das Motto formuliert und bezeichnet die Außergewöhnlichkeit dieses Flusses. Kein anderes Gewässer Europas verbindet so viele Länder, Sprachen, Konfessionen und Kulturen. Kaum ein Fluss strahlt so weit in sein Umland aus und prägt diesem seinen Namen auf. Schon vorgeschichtliche Zivilisationen werden nach der Donau benannt, ferner ein europäisches Großreich, aber auch einzelne Sprachgruppen. Somit setzt das Deutsche Kulturforum östliches Europa seine Arbeitsschwerpunkte auf zahlreiche Regionen an der Donau: Westungarn und dem Pressburger Umland über das Ofener Bergland, die Schwäbische Türkei, Slawonien, die Batschka, die Wojwodina, das Banat und das Banater Bergland bis hin zur Dobrudscha und Bessarabien, aber auch entferntere Gegenden wie die Zips, Sathmar und Siebenbürgen zählt man dazu. Ja, und weil die europäischen Kulturhauptstädte Temeswar und das ungarische Wesprim/Veszprém ihre Nähe zur Donau stolz bekunden, hat man sich seitens des Deutschen Kulturforums östliches Europa entschlossen, den Jahresschwerpunkt 2023 diesem bedeutenden Fluss zu widmen.
Interessiert lausche ich dem Impulsreferat des Gastgebers, der die Donau als Botschafterin eines grenzenlosen Europas bezeichnet. Er verweist auf den Fluss als Kulturraum, der aber auch als Objekt nationaler Erinnerungspolitik dient. Außerdem stellt er provokant die oftmals noch manifestierte Sichtweise der Österreicher von ihrer „eigenen“ Donau in den Raum. Einer Wiener und zivilisierten Donau, die angeblich immer blau ist und – überspitzt formuliert – an der die Wiener Walzer tanzen können, sowie einer fremden balkanischen Donau, die man wegen der vielen kriegerischen Auseinandersetzungen geflissentlich aus dem eigenen Wahrnehmungsspektrum entfernt.
Die anschließende Podiumsdiskussion lässt historische und kulturgeschichtliche Aspekte der jeweiligen Diskutanten zu ihrem speziellen Teil der Donau aufpoppen und es wird die immense Bedeutung des Flusses zur Region und den Menschen eindrucksvoll in den Fokus gerückt. Von der deutschen Besiedelung der balkanischen Donau nach dem Frieden von Karlowitz im Jahre 1699 durch die Donauschwaben, die in ihren „Ulmer Schachteln“ flussabwärts fuhren, sich niederließen und schlussendlich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder vertrieben wurden. Ferner erinnern einige Mahnmale an der Donau beispielsweise an schreckliche Gräueltaten. Sehr berührend sind die Schuhe am Donauufer in Budapest, die an die Massenerschießungen von ungarischen Juden im Jahre 1944/45 hinweisen.
In der jüngeren Vergangenheit hat der Jugoslawienkrieg seine Spuren an der Donau hinterlassen – zerbombte Brücken in Neusatz/Novi Sad waren die Folge, doch sie sind wieder aufgebaut worden und am Ufer der Donau ist Frieden eingekehrt.
Zusammenfassend könnte man die Donau wohl als den spannendsten Fluss Europas bezeichnen, der gemeinhin nicht nur als wichtiges Ökosystem betrachtet werden darf, sondern für uns Europäer die einmalige Chance von Aufbruch, Austausch, Vielfalt und Verbindung impliziert.
Ingrid WEISS