Ortinau und ,,diese Generation“

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Gedanken und Erinnerungen zum 70. Geburtstag des Banater Schriftstellers

Ausgabe Nr. 2808

Gerhard Ortinau bei dem Rundtischgespräch zum Auftakt des von dem Deutschen Kulturforum östliches Europa vom 23. bis 24. Juni 2022 in Temeswar veranstalteten Symposiums ,,Der Wille zur Veränderung – 50 Jahre Aktionsgruppe Banat“. Moderiert wurde das Rundtischgespräch, an dem außer Ortinau weitere fünf Gründungsmitglieder der Aktionsgruppe Banat teilgenommen haben – Werner Kremm, Johann Lippet, Anton Sterbling, William Totok  und Ernest Wichner – von Christel Ungar-Țopescu und Dr. Markus Bauer.                                                                                      Foto: Zoltán PÁZMANY

„Den Erzählungen meiner Eltern ist zu entnehmen, dass ich am späten Abend in einer Art schilfgedeckter Erdhütte geboren wurde. Im Zimmer befand sich das Wichtigste. Draußen hatten die Leute tagsüber Tunnels in den mannhohen Schnee geschaufelt, mittlerweile hatte sie aber der Sturm schon wieder zusammengewirbelt… Ich erblickte am 17. März des Jahres 1953 in dem Weiler Movila Gîldăului (Anmerkung des Autors: Damals ,,comuna Movila Gâldăului, raion Feteşti“, Region Constanța) das Licht des Bărăgans. Alles andere erfuhr ich aus Büchern und aus Zeitschriften …” . Dies schrieb Gerhard Ortinau in einem der frühen kurzen Prosatexte  („Kleine Geschichte“) in seiner ersten Buchveröffentlichung, die unter dem Titel ,,verteidigung des kugelblitzes“ im Klausenburger Dacia Verlag 1976 in der Redaktionsbetreuung von Franz Hodjak erschienen ist.

Aus dieser Geschichte (S. 47) im Erstling lässt sich eine kuriose Parallele herauslesen zum ungewissen Schicksal des Neugeborenen und des Debütbandes. Als die vom Vater Mathias Ortinau regelrecht im hohen Schnee und bei heftigem Sturm herbeigeschleppte Hebamme ging, dürften die Eltern ihr angesehen haben, dass sie dem Jungen keinesfalls „irgendwelche Überlebenschancen“ einräumte.

Beim genauen Lesen des schmalen Bändchens mit seinen 88 Seiten samt Vorwort von Gerhard Csejka wird eine weniger bekannte „schwere Geburt“ deutlich. Die Erscheinungschancen des Buches waren lange offen: Auf dem von Gert Fabritius gestalteten Umschlag ist das ursprünglich geplante Erscheinungsjahr 1975 gedruckt worden (Rückseite), auf der Titelinnenseite ist das Jahr 1976 angegeben. In den Handel bzw. zu den Lesern gekommen waren die 790 Exemplare zum Preis von jeweils 7 Lei erst im Herbst des Jahres 1976. Im Buch waren 13 kurze Prosatexte verblieben. Für die letztendlich erfolgreiche und nachhaltige „Entbindung“ dieses „Kugelblitzes“ hatte Dichterfreund Franz Hodjak entscheidende „Hebammenleistung“ vollbracht.

Gerhard Ortinau: verteidigung des kugelblitzes. kurze prosa, Dacia Verlag, Klausenburg, 1976, 88 Seiten.

Gerhard Ortinau kam mit seiner Familie nach den Jahren in der Deportation 1956 nach Sackelhausen/Săcălaz, in den Banater Herkunftsort seiner Eltern, die im Bărăgan geheiratet hatten. Der Vater, Jahrgang 1923, war übrigens erst kurz vor der Zwangsumsiedlung, die im Frühsommer 1951 erfolgte, nach siebenjähriger sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt.

Aus der schwäbischen Gemeinde aus besuchte Gerhard Ortinau später das Temeswarer Lenau-Lyzeum und veröffentlichte mit 17 seinen ersten literarischen Versuch in der Neuen Banater Zeitung. Anschließend studierte er, wie seine ein Jahr  jüngere Schwester Hilde, an der Universität der Stadt. Das Studium der Germanistik führte Ortinau mit den Studierenden zusammen, die später als Banater Autorengruppe bekannt wurden in einer Zeit ab 1970, als im Temeswarer Kulturleben sich ein Umbruch andeutete, bis heute unvergessen im Bereich der Musik. Er gehörte zu den Studenten, die am Anfangs-Pressegespräch der Gruppe 1972 bei der Neuen Banater Zeitung mit Kulturredakteur Eduard Schneider dabei waren. Im vom Kollegen und Freund Richard Wagner geleiteten deutschsprachigen Literaturkreis „Universitas“ im Temeswarer Studentenkulturhaus – es gab dort gleichzeitig zwei deutschsprachige Literaturkreise – war der sprachbegabte Gerhard Ortinau Sekretär. In diesem Kulturhaus wurden auch Theaterstücke aufgeführt und es wirkten in beiden auch Studentinnen mit, während der kleine Kreis der „Aktionsgruppe“ bis zur späteren Aufnahme von Herta Müller dank Richard Wagner eine geschlossene Männergruppe blieb. Ortinau gehörte von Anfang an zum engsten und aufmüpfigsten Kern bis zu seiner Ausreise nach Deutschland (Berlin) 1980.

Lyrik und Prosa von Ortinau erschienen in der Banater Schaffenszeit vor allem in der rumäniendeutschen Presse und in allen Anthologien junger rumäniendeutscher Autoren, besonders die hier erwähnte erste Buchveröffentlichung fand große Beachtung. Literaturkritiker zählten und zählen ihn heute noch zu den sprachbegabtesten sowie talentiertesten Schriftstellern jener Jahre und einstimmig zu den jungen, sehr selbstbewussten und gesellschaftskritischen Autoren, zu der Generation, die einen frischen Wind in den rumäniendeutschen Literaturbetrieb und eine Annäherung an die Moderne im deutschen Sprachraum brachten.

Die subtilen Texte führten dazu, dass Ortinau zu den Autoren gehörte, die über Jahre vom Geheimdienst überwacht und dessen Veröffentlichungen als gefährlich eingestuft wurden. Die Schikane, seine Verhaftung 1975 mit einer Gruppe Autorenfreunde unter dem Vorwand der beabsichtigten Landesflucht, die Verhöre und das darauf folgende Veröffentlichungsverbot führten dazu, dass er den Ausreiseantrag stellte.

Die unsichere und aussichtslose Wartezeit bedeutete einen Bruch im Leben und Schaffen des Autors. In Deutschland begegnete ihm auch nicht die fördernde medienpolitische Welle, wie sie später Richard Wagner und Herta Müller erfahren sollten.

Sein bisheriges Werk ist deshalb auch in der Bundesrepublik, wie in Rumänien, ein verhältnismäßig schmales und zu Unrecht weniger bekanntes geblieben. Ein Werkverzeichnis finden Interessenten im Internet, u. a. auf Wikipedia mit dem falschen Geburtsort Borcea, weil es den seinerzeit neu gegründeten Ort seit der Abstiftung der Deportierten nicht mehr gibt, das Gelände liegt auf dem Weichbild der heutigen Gemeinde Borcea (früher Cocargeaua). Diese Umbenennung des Geburtsortes führte wohl zu einer anderen Falschinformation. Bei den biographischen Daten zu Ortinau wird bei den Online-Karteidaten der Deutschen Nationalbibliothek als Ortinaus Geburtsland Russland angeführt!

Wir wünschen dem Autor weiterhin viel Schaffenskraft und beste Gesundheit.

Luzian GEIER

Anmerkung der Redaktion: Die HZ-Redaktion schließt sich den Gratulationen gerne an!

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.