Wenn Ismene geredet hätte…

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Premiere mit One-Woman-Show ,,Schwester von…“ im Habitus-Kulturzentrum

Ausgabe Nr. 2805

Cristina Ragos (Ismene) zeigt anklagend auf das Portraitfoto ihres Kollegen Daniel Plier, der in der Inszenierung ,,antigone.ein requiem“ Ismenes Onkel Kreon spielt.                                                                                      Foto: TNRS

Antigone wird nicht genannt. Ismene spricht nur von ,,meine Schwester“, wie um sich zu rächen, weil sie in allen Bearbeitungen dieses Mythos, wenn überhaupt, als ,,Schwester von Antigone“ vorkommt. Eine Nebenrolle wird in dem Stück ,,Schwester von“ der niederländischen Autorin Lot Vekemans zur tragenden Rolle einer One-Woman-Show. Und in der Inszenierung ,,Soră-sa“ durch Hunor Horváth an der  rumänischen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters zieht die Schauspielerin Cristina Ragos alle Register aus der Kiste der (verletzten) Gefühle.

Diese Inszenierung hatte ebenfalls am vergangenen Wochenende Premiere, wie auch Tschechows ,,Der Kirschgarten“. Allerdings bespielte Cristina Ragos im wahrsten Sinn des Wortes die Räume des Habitus-Kulturzentrums im Gewölbekeller unter der römisch-katholischen Stadtpfarrkirche. Zuschauen durften nur 30 Personen, die auf Taburetten Platz nehmen konnten, die um mehrere als Laufsteg angeordnete Tische aufgestellt waren. Der so entstandene lange Tisch endete an einer Videowand, auf der die Schauspielerin immer wieder auftauchte und von der sie auch sofort verschwand, je nachdem, in welchem Gewölbe sie sich gerade bewegte. Nur selten setzte sie sich an eines oder das andere Ende des langen Tisches, um dann abrupt aufzuspringen und an eine Tür zu laufen, hinter der die ,,Höllenhunde“ sein sollten.

An den Wänden angebracht waren Porträtfotos aller Schauspieler und Schauspieler des Hermannstädter Radu Stanca-Nationaltheaters. Alle in weißen Blusen oder Hemden. Als Anspielung darauf, dass sich die Darstellerin und implizite auch das Publikum in der Unterwelt befinden. Die Schauspielerin zeigt immer wieder auf das eine oder andere Bild, spricht die auf den Bildern abgelichteten Personen an, oder meint sie damit das Publikum? Ein Wechselbad der Gefühle ist da im Gange in dem Jenseits, in dem die ,,Schwester von…“ alleine ist und ihre durch ihre Familie und vor allem durch die Götter erfahrenen Verletzungen, Demütigungen usw. aufzählt und befragt. Warum haben sich ihre beiden Brüder gegenseitig ermorden müssen? Warum hat man von ihr mehr erwartet als von ihrer Schwester? Warum ist sie hier im Jenseits allein und alle anderen sind wohl irgendwo zusammen und können sich dort unterhalten wie auch im Diesseits? Hin- und hergerissen zwischen der Rolle eines Opfers und einer potentiellen Rächerin, brilliert Cristina Ragos als Einzeldarstellerin.

Dieses Stück kann auch als eine Fortsetzung oder Ergänzung der Inszenierung mit ,,antigone. ein requiem“ von Thomas Köck (Regie Florin Vidamski) an der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters (TNRS) erlebt werden, wie Regisseur und Leiter dieser Abteilung, Hunor Horváth sagte. Oder auch als Vorspiel dazu, falls man die Inszenierung noch nicht gesehen hat. Wer sie verpasst hat, kann das in der Minispielzeit des TNRS nachholen, die vom 23. bis 26. Februar stattfindet. ,,antigone.ein requiem“ wird am Donnerstag, dem 23. Februar, 19 Uhr, auf der TNRS-Bühne aufgeführt.

Beatrice UNGAR

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.