Ritzi & Peter Jacobi stellen gemeinsam in der Jecza Gallery in Temeswar aus
Ausgabe Nr. 2805
Mit der Ausstellung „Textur der Erinnerung. Ritzi & Peter Jacobi – Werke aus fünf Jahrzehnten“ stellt die Jecza Gallery in Temeswar erstmals seit langer Zeit das Schaffen von Ritzi und Peter Jacobi in einer gemeinsamen Präsentation vor. Neben den in den 1960er bis 1980er Jahren zusammen erarbeiteten Werken bezieht die Ausstellung auch spätere Exponate ein, die getrennt entstanden sind. Eröffnet wurde die Werkschau am 15. Februar, am Vortag der offiziellen Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres in Temeswar.
Ritzi und Peter Jacobi wurden ab Mitte der 1960er Jahre international bekannt mit teils gemeinschaftlich, teils getrennt geschaffenen Objekten und Wandarbeiten, die aus textilem Gewebe, teils in Verbindung mit Holz und Metall bestehen. Im rumänischen Pavillon der Biennale Venedig 1970 zeigten sie ein phantastisch aus sich heraus mit Tentakeln und Wülsten wucherndes Environment aus mehreren Objekten, das die Traditionen des Volkstums und der handwerklichen Weberei mit Aspekten der zeitgenössischen Avantgarde verband. Noch in diesem Jahr wechselte das Künstlerpaar nach Deutschland über, bezog in seiner Arbeit aber auch weiterhin Motive der Geschichte, Landschaft und Vegetation ihrer Heimat ein. Zu den stilistischen Aspekten, die auch künftig in die Werke beider Künstler einfließen, gehören die lebhafte, gestisch abstrakte Oberfläche, die tonale Differenziertheit von Schwarz und Weiß, das Elementare, das auf Vegetation und ein Leben im Einklang mit der Natur weist, und das skulpturale Bewusstsein, das an taktiler Plastizität interessiert ist und den menschlichen Körper als Akteur und Gegenüber einbezieht.
Die Ausstellung in der Jecza Gallery stellt Beispiele dieser teils monumentalen, abstrakten Textilreliefs besonders aus Ziegenhaargarn, Pferdehaar und Baumwolle vor, die den Betrachter geradezu umfangen, auratisch vereinnahmen und vielerlei Assoziationen auslösen und sich doch auch als rein abstraktes, unruhig bewegtes Formgebilde begreifen lassen, das in dichter Materialität von der Fläche in den Raum drängt. Damit tragen Ritzi und Peter Jacobi neben Künstlerinnen wie Jagoda Buić und Magdalena Abakanowicz ganz entscheidend zur Etablierung der Tapisserie in der zeitgenössischen Kunst bei. Ein weiteres Material, in dem die beiden eine herausragende Rolle einnehmen, ist das Papier in der dichten Schichtung und versetzten Anordnung einzelner Flächen und Partikel. Dazu gehört die Werkgruppe der „Softzeichnungen“, bei denen mehrere, teils mit Graphit versehene, teils zusammengeraffte Lagen von Reispapier hintereinander hängen.
Schon in den 1970er Jahren arbeiten Ritzi und Peter zunehmend getrennt und setzen die bisherigen künstlerischen Recherchen in ihren Ausdruckssprachen jeweils medial offen und gleichermaßen originär und originell fort. Während Ritzi Jacobi (1941-2022) zunächst weiter mit Papier und mit großen, massiv wirkenden Kartonagen im Raum, ab den späten 1990er Jahren außerdem mit Metallrohren und Aluminiumblechen arbeitet, das Schwergewicht und Energiezentren auslotet und über die Materialerkundungen zu Fragen des Körperlichen und der psychischen Fragilität gelangt und parallel dazu abstrakte Zeichnungen erstellt, wendet sich Peter Jacobi vorrangig bildhauerisch widerständigen, „harten“ Materialien und der Fotografie überwiegend in Schwarz-Weiß zu. Seine Werke thematisieren individuelle Erinnerung, Vergänglichkeit und Zeitgeschichte, im besonderen die Verluste und Schäden, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat, und das Schicksal der siebenbürgischen Bevölkerung, die ab 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt wurden. Berühmtheit erlangt er mit seinen öffentlichen Denkmälern, im besonderen der Edelstahl-Plastik im Yuzi Sculpture Park im chinesischen Guilin sowie dem Holocaust Memorial in Bukarest (2009). Seine autonomen Reliefs bevorzugt aus Marmor setzen in ihrem Neben- und Zueinander langgestreckter Formen, die an Körperfragmente erinnern, die vitale Struktur der Textilreliefs konsequent fort. Weiterhin entstehen mehrteilige Bodenskulpturen vor allem aus Granit und Marmor, bei denen die geschnittenen Blöcke rechtwinklig in- und umeinander gelegt sind und damit einerseits zur internationalen Minimal Art beitragen, andererseits, zu Füßen des Betrachters, auf Gedenksteine und architektonische Reste verweisen und dabei mit Perspektive, Körperlichkeit, Maß und Proportion agieren. Sie sind in der Ausstellung ebenso vertreten wie seine Säulen aus seriell gestaffelten Modulen und die Stelen aus Gips oder Metall, die rundum taktil modelliert sind. Die sensible Auseinandersetzung mit materieller Substanz, die regelrecht unter die Haut geht, kehrt noch in der umfangreichen fotografischen Serie zu den verbliebenen Spuren des „Westwalls“ wieder, die die einstige westliche Verteidigungslinie des Deutschen Reiches ab 1938 in überschauenden Aufnahmen abschreiten. Sie verdeutlichen die konzeptuelle Rolle von Geologie und Archäologie als Suche nach Verschüttetem und als Erinnerungsarbeit im gesamten Werk von Peter Jacobi.
Eine wichtige Werkgruppe von Ritzi Jacobi bilden die „Non-Folder“, die Mitte der 1990er Jahre entstanden sind. Dabei handelt es sich um großformatige mehrteilige ungegenständliche Wandarbeiten überwiegend aus festen, genormt wirkenden Industriekartons, die flächig miteinander verbunden sind und jeweils von einem Farbton, aufgetragen mit Lackfarbe, bestimmt sind. Die Farbe ist in wechselndem Duktus dicht aufgetragen. In Fetzen und changierender Deutlichkeit scheint der Ton des Bildträgers durch. Die „Non-Folder“ greifen die Fragestellungen zu Struktur und Schichtung, Masse und Leichtigkeit und das Verhältnis der Einzelteile zum Gesamten erneut auf. Zugleich hat Ritzi bis in die 2010er-Jahre ihre Arbeit an den Textilreliefs fortgeführt. Ein herausragendes Werk in ihrem Schaffen ist die Tapisserie „Edge of Darkness“, die nun erstmals in Rumänien gezeigt wird. Ein weiteres Mal lässt sich erkennen, wie sehr jeder der beiden Künstler auf dem gemeinsamen Frühwerk aufbaut und dessen existenziellen Themen verbunden bleibt: der Erinnerung zwischen Autobiographie und kollektiver Geschichte, den elementaren Formen des Lebens, der Auseinandersetzung mit archetypischen Bildern und der Balance zwischen physischer und geistiger Empfindung, noch in Anbindung der Intuition an die konkrete Wirklichkeit.
Thomas HIRSCH
Ritzi Jacobi & Peter Jacobi: The Fabrics of Memory. Works from five decades – Kurator Thomas Hirsch, 15. Februar – 5. Mai 2023, Mo. – Fri. 12 – 18 Uhr. Jecza Gallery, Calea Martirilor 1989 Nr. 51/52.