Filmvorführung ,,Roma Tears” im Heilbronner Arthaus-Kino
Ausgabe Nr. 2792
Transnistrien – den meisten ein Begriff als kleine abtrünnige Provinz der Republik Moldova und von Russland unterstütztes De-facto-Regime jenseits des Dnjestrs. Weniger präsent ist dabei die Tatsache, dass Rumänien während des Zweiten Weltkrieges ein rund 42.000 Quadratkilometer großes Gebiet zwischen Dnjestr und Südlichem Bug – darunter auch die Stadt Odessa – von der Sowjetunion annektierte und als Gouvernement eingliederte. Vergessen ist, was für eine Tragödie sich zwischen den Jahren 1942 und 1944 in eben diesem Landstrich abspielte. Die Vorführung des Films ,,Roma Tears“ am 22. September im Heilbronner Arthaus-Kino im Rahmen der Filmreihe „Siebenbürgen heute – eine europäische Landschaft” war ein gelungener Versuch, ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen. Die Filmreihe ist ein Projekt der Kulturreferentin für Siebenbürgen am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim a. N. in Kooperation mit dem Kinostar Theater GmbH, der Kreisgruppe Heilbronn im Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e. V. und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa, Potsdam.
Als der faschistische General Ion Antonescu im Jahre 1940 gemeinsam mit der Eisernen Garde an die Macht kam, wurden neben der Verfolgung von Juden und Andersdenkenden rasch auch Pläne zur Isolierung und Ghettoisierung der Roma entwickelt. Ab Mai 1942 begann die von Antonescu als „rassistisch-eugenische Maßnahme“ eingeleitete Deportation von 25.000 Roma aus Rumänien ins besetzte Transnistrien. Zuerst wurden sämtliche nomadische Roma in den entsprechenden Kreisvororten zusammengetrieben und deportiert, ab Herbst desselben Jahres folgten ,,unerwünschte” sesshafte Roma.
Sämtliches Hab und Gut musste zurückgelassen werden und wurde vom „Nationalen Zentrum für Rumänisierung“ zwangskonfisziert. Nach Zugfahrten oder wochenlangen Fußmärschen endlich in Transnistrien angekommen, wurden die Deportierten in lagerähnlichen ,,Zigeunerkolonien” angesiedelt, wobei in der Anfangszeit als Behausungen nichts anderes als Erdlöcher zur Verfügung standen. Die katastrophalen Lebensbedingungen, der Mangel an Nahrung, medizinischer Versorgung und die Kälte überlebte mindestens die Hälfte der insgesamt 25.000 Deportierten nicht.
Eben diese Tragödie der Deportation thematisiert die bekannte Roma-Autorin und Filmemacherin Luminița Mihai Cioabă in ihrem Dokumentarfilm „Romane Iasfa/Roma Tears”.
Luminița Mihai Cioabă wurde 1957 als Tochter des „Bulibasa“ Ion Cioaba geboren. Da ihr Vater während des Zweiten Weltkrieges im Kindesalter ebenfalls Opfer dieser Deportation wurde, verarbeitet sie in ihrem Film auch einen Teil ihrer eigenen Familiengeschichte.
Der bereits 2006 veröffentlichte, 52-minütige Film bietet exklusive Einblicke in Schicksale der Deportierten. Enthalten sind vielfältige Berichte von damals noch lebenden Zeitzeugen, welche von der Autorin über ihre Erlebnisse während eines mehrjährigen Zeitraums in 20 Roma-Siedlungen befragt wurden. Das Erzählte wird dabei durch historische schwarz-weiß Archivaufnahmen sowie nachgestellte Szenen verdeutlicht und illustriert.
In äußerst eindrucksvoller und bewegender Weise erzählen die meist hochbetagten Zeitzeugen ihre ganz persönlichen Schicksale der Transnistrien-Deportation. Die Geschichten und Situationen, welche sie beschreiben, reichen von den Überlebensstrategien im kalten Winter, den unmenschlichen Lebensbedingungen bis hin zu Tod und Verlust naher Angehörige. So starben täglich Menschen an drastischem Gewichtsverlust, Hunger, Kälte und Krankheiten wie Typhus.
Doch auch durch gewaltsame Handlungen der rumänischen Sicherheitskräfte kamen Tausende um. Bei Fluchtversuchen wurden heftige Strafen verhängt; auf Mundraub oder sonstige Diebstähle stand der sichere Tod. Eindrücklich schildern die befragten Zeitzeugen, dass nicht einmal das Grundlegendste zum Leben vorhanden war – alles musste in der Heimat zurückgelassen werden oder wurde konfisziert. Vor allem der Verlust ihrer Wägen, Grundlage der nomadischen Lebensweise, war von tragischer Bedeutung für sie. In diesen Wägen befand sich ihr gesamtes Hab und Gut sowie der Familienschatz in Form von Goldmünzen, sondern er bildete auch ihren Lebensmittelpunkt. Mit der Sesshaftigkeit waren die nomadischen Roma nicht vertraut, ihre gewohnte Lebensgrundlage wurde Ihnen entrissen, wodurch eine Selbstversorgung nahezu unmöglich war.
Chronologisch fährt Cioabas Film weiter fort und vermittelt mit eindrucksvollen Originalaufzeichnungen dem Zuschauer ein Bild des besonders strengen Winters 1942/43, dessen Kälte gerade für Kinder, Kranke und Alte den sicheren Tod brachte. Pferde, Hunde und auch Menschen, berichtet ein Zeitzeuge und hat dabei Tränen in den Augen, waren in diesem regelrechten Kampf ums Überleben oft das einzige, was vor lauter Verzweiflung als Nahrung zur Verfügung stand. Trotz der vielen Tränen und des großen Leides der Roma war auch ihre Widerstandsfähigkeit bemerkenswert. Mindestens bis Mitte 1943 war die Lage der Deportierten äußerst dramatisch. Doch die Folgen des Kältewinters 1942/43 brachten den Roma schließlich einige Verbesserungen der Lebensbedingungen. Aus den Lagern wurden die Deportierten auf umliegende Dörfer verteilt, wobei die Behörden ab Sommer 1943 versuchten, den Roma eine (zumindest geringfügig) bezahlte Arbeit zu ermöglichen. Auch wenn die Arbeit in der Landwirtschaft oder dem Straßenbau schwer war und in keiner Relation zur Bezahlung stand, boten sich dadurch den Roma gleich zwei positive Veränderungen. Zum einen hatten sie nun eine Möglichkeit, sich notdürftig selbst zu versorgen und dadurch weniger stark auf die ungenügende Versorgung durch die Besatzer angewiesen zu sein. Zum anderen kam man in den Dörfern in Kontakt mit den ansässigen Ukrainern. Wie im Film deutlich wird, war das Verhältnis zu diesen zwar zumeist distanziert, da die Neulinge als Bedrohung und Konkurrenz angesehen wurden. Einige Roma schafften es jedoch, sich mit den Dorfbewohnern zu arrangieren, im Kleinen Handel zu treiben und dadurch das eigene Überleben zu sichern.
Die Aussagen der Zeitzeugen beweisen jedoch: Einheitlich war die Situation der Roma und der Umgang mit Ihnen keineswegs. Stark unterschied sie sich von Dorf zu Dorf, von Wachmann zu Wachmann. Mit der gegen Westen vorrückenden Front 1944 wurden die Überlebenden, gemeinsam mit dem rumänischen Militär, über den Pruth nach Rumänien evakuiert und wurden „repatriiert“. Doch gerade für die nomadischen Roma stellte sich die Rückkehr zur Normalität ohne ihre Wagen, Pferde und Werkzeuge in einem völlig veränderten Lebensumfeld als sehr schwierig heraus.
Ab dem Regimewechsel im August 1944 und in den kommunistischen Jahrzehnten wurde die Thematik der Deportation der Roma nicht länger thematisiert und regelrecht totgeschwiegen; wichtige Dokumente oder Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit aus den Staatsarchiven gelöscht. Erst 2003 wurden im Rahmen der Gründung einer internationalen Kommission für den rumänischen Holocaust auch die Gräueltaten an den Roma anerkannt und erstmalig in der öffentlichen politischen Diskussion aufgearbeitet – ganze 60 Jahre später.
Entschädigungszahlungen stehen den Betroffenen zwar bereits seit 1999 zu, werden jedoch aus Unwissen kaum in Anspruch genommen oder wegen “mangelnder Beweise” abgelehnt.
Während der Holocaust und die Judenverfolgung als öffentlich diskutiertes Thema verhältnismäßig gut aufgearbeitet wurde, ist der „Porajmos“, wie der Völkermord an den Roma bezeichnet wird, nahezu in Vergessenheit geraten. Auch in den Nachkriegsprozessen gegen Antonescu 1946 war die Ermordung tausender rumänischer Roma lediglich ein Randthema. Doch das geringere Ausmaß im Vergleich zum Völkermord an den europäischen Juden rechtfertigt keineswegs, dieses Thema derartig totzuschweigen.
Luminița Mihai Cioabă hat sich mit der Veröffentlichung ihres Films zum Ziel gesetzt, dieses Vergessen – ob gewollt oder nicht- zu verhindern und das bisher schier unbekannte Thema stärker in die öffentliche Diskussion einzubringen.
Die Filmvorführung am 22. September im Heilbronner Arthaus-Kino (Deutschland) im Rahmen der Filmreihe „Siebenbürgen heute” lässt sich als allgemeine Anerkennung des Schicksals der Roma, sowie als Würdigung der Bemühungen Cioabăs, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken, verstehen.
Auch Dr. Heinke Fabritius, welche als Kulturreferentin am Siebenbürgischen Museum Gundelsheim den Kinoabend moderierte, betonte ebendiese Zielsetzung.
Im Anschluss an die Filmvorführung gab es die Möglichkeit, in einem ebenfalls von Frau Fabritius moderierten Gespräch, der via Skype zugeschalteten Beatrice Ungar, offene Fragen zu stellen und über die Thematik zu diskutieren. Frau Ungar, welche nicht nur freundschaftlich mit der Regisseurin verbunden, sondern auch für die Übersetzung des Filmes ins Deutsche verantwortlich ist, gelang es, persönliche Fragen des interessierten Publikums tiefgründig zu beantworten und dadurch ebenfalls einen Beitrag für mehr Aufmerksamkeit dieses tragischen Schicksals zu leisten.
Freilich, Luminița Mihai Cioabăs Film entscheidet nicht allein über das Vergessen oder die Aufarbeitung der Roma-Deportation nach Transnistrien. Dennoch leistet er einen wichtigen Beitrag, um diese so unbekannte Tragödie bekannter und vermehrt Teil der öffentlichen Diskussion werden zu lassen. Heute wie damals sind die Roma als gesellschaftliche Randgruppe Inakzeptanz und Ausgrenzung ausgesetzt. Doch in einer Studie aus dem Jahre 2007 sahen nur zwei Prozent der Rumänen die Roma als Opfer des Holocausts.
Doch um eben diesem entgegenzuwirken und an das Leid der Roma im Zweiten Weltkrieg zu erinnern, ist der Film „Zigeunertränen/Roma Tears” ein Schritt von größter Wichtigkeit. Ein Schritt gegen das Vergessen.
Fabian LUTSCH
Das „Virtuelle Holocaust-Museum der Roma” wurde am 9. Oktober, – an diesem Tag wird seit 2004 der Gedenktag des Holocaust in Rumänien begangen -, im Nationalmuseum für die Geschichte Rumäniens in Bukarest (Muzeul Național de Istorie a României) im Lapidarium-Saal vorgestellt. Mehr als 50 Gäste waren bei der Eröffnung dabei, die mit der Ausstellung „Unbekannter Holocaust” ergänzt wurde. Beendet wurde die Eröffnung vom Roma-Musiker Emy Drăgoi. Partner waren das Nationalmuseum für die Geschichte Rumäniens, der Roma-Verband Pro Europa, die Universitätsbibliothek „Lucian Blaga“ Klausenburg, das Holocaust-Museum Nordsiebenbürgens, das Nationale Rumänische Zentrum für Filmkunst und der Verein Romani Glinda aus Schweden. Das Museum ist das Ergebnis eines Projektes der sozio-kulturellen „Ion Cioabă”-Stiftung der Roma aus Hermannstadt und wurde aus Mitteln der Verwaltung des Nationalen Kulturfonds (Administrația Fondului Cultural Național) finanziert. 1942 ordnete Ion Antonescu die Deportation von 24.617 Roma aus Rumänien nach Transnistrien an, von denen nur die Hälfte überlebte und nach Rumänien zurückkehren konnte. Das Museum ist unter https://muzeuholocaust-ion-cioabă.ro zu finden. Das Museum ist der Deportation der Roma nach Transnistrien unter dem Antonescu-Regime gewidmet und ist zweisprachig (rumänisch-englisch). Das Museum beherbergt Dauer- und Wechselausstellungen, Dokumentationen (Videos), Zeugnisse über und mit Überlebenden (gefilmte Interviews), Fotos von Objekten, die aus der Deportation gerettet wurden und von den Überlebenden zurückgebracht wurden. Unser Bild: Luminița Mihai Cioabă, die Vorsitzende der Stiftung, bei der Eröffnung, links und rechts sind Fotos von ihren Eltern zu sehen. Foto: Stiftung „Ion Cioabă”