Gespräch mit der US-amerikanischen Regisseurin und Autorin Sarah Brown
Ausgabe Nr. 2778
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Sarah Brown. Foto: Carla HONOLD
„A Secret About Joy“ (zu deutsch: Ein Geheimnis über die Freude) von der amerikanischen Schauspielerin, Professorin und Autorin Sarah Brown war Teil des diesjährigen Internationalen Theaterfestivals (FITS). Das Theaterstück spielt in der jüdischen Gemeinde Hermannstadts im Jahr 1927. Mit 27 Darstellenden und der Synagoge als Bühne wollte Brown die Gemeinschaft für ihr Publikum wieder zum Leben erwecken. Im Gespräch mit HZ-Praktikantin Carla H o n o l d gab die Künstlerin ihre persönliche Verbindung zur Thematik, den Moment, der sie zum Verfassen des Stücks bewog, und ihre Wünsche für die Zukunft des Projekts preis.
Wie kam es zu ihrem Projekt in Rumänien und ausgerechnet Hermannstadt?
Ich habe ein Fulbright-Stipendium, in dessen Rahmen ich unterrichten und das Projekt entwickeln konnte, erhalten. Das ist eine seltene Ehre, besonders weil es mein zweites Stipendium dieser Art ist – 2010 und 2011 war ich dank Fulbright in Israel. Ich habe Rumänien wegen meiner Familiengeschichte gewählt; meine Großeltern väterlicherseits, Rose und Benjamin Bronstein, waren rumänische Juden aus Bessarabien. Sie emigrierten Anfang des 20. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten. Obwohl ich den jüdischen Glauben nicht praktiziere, bin ich wegen meiner Vorfahren stark mit der jüdischen und der osteuropäischen Kultur verbunden. Wenn man sich für ein Stipendium bewirbt, muss man auch Einladungen von Universitäten, wo man als Professorin oder Professor tätig sein kann, vorweisen. Ich habe verschiedenste Angebote erhalten, Hermannstadt ist aber herausgestochen. Der Grund dafür war die Möglichkeit, Darbietungen für den neuen NATO-Kommandoposten hier auf die Beine zu stellen. Nach weiteren Recherchen habe ich herausgefunden, dass Hermannstadt eine Destination für die darstellenden Künste sowie ein kultureller Dreh- und Angelpunkt in Rumänien und Osteuropa ist. Das schließt das Theaterfestival mit ein. Es war also schicksalshaft.
Wie ist dieses Stipendium mit Ihrem letzten verbunden?
Die beiden ergänzen sich sehr gut. Israel ist ein Ort des Zurückkommens für Jüdinnen und Juden, während Rumänien die Diaspora repräsentiert. Die jüdische Gemeinschaft in Hermannstadt zählte früher ca. 2000 Mitglieder. Heute sind es noch 20. Gottesdienste werden nicht mehr hier in der Synagoge gefeiert. Die jüdische Bevölkerung sank in ganz Rumänien von über einer Million zu ein paar Tausend. Viele Jüdinnen und Juden sind nach Amerika ausgewandert, auch nach New York. Dort traten sie auf und waren an der Entstehung des „Broadway“ beteiligt – ein Zentrum für Musicals. Die jüdischen Emigrierten kannten die Zutaten für eine Show: eine gute Geschichte, Romantik, ein Kuss, ein Tanz und viele Lieder. Ihre Stücke stellten Jüdinnen und Juden ganz offen in den Mittelpunkt. Das ist auf die Tradition des jüdischen Theaters in Rumänien zurückzuführen. 1876 wurde das erste jiddische Theater in Jassy gegründet. Ich kam hierher, um zu sehen, wer geblieben ist. Gleichsam wollte ich in meinem Stück die verlorene Gemeinschaft in den Fokus rücken. Oft frage ich mich, was passiert wäre, wenn nicht so viele Jüdinnen und Juden das Land verlassen hätten. Ich nehme an, dass sie der Kultur eine weitere Schicht beigetragen hätten. Ich persönlich fühle mich hier jüdischer als in Israel.
Wie war Ihr erster Besuch in der Synagoge?
Es war interessant. Man bekommt das Gefühl einer Geisterstadt. Es hatte auch etwas Trauriges. Man sieht all die Liebe, die in das Gebäude gesteckt wurde und die Träume, dass es die Gemeinschaft auf ewig behüten würde. Gebaut wurde die Synagoge 1899 mit Elementen im Stil byzantinischer, maurischer und ungarischer Architektur. Sie ist wunderschön. Wenn man die Synagoge betritt, ist es wie ein Lied. Die Synagoge singt für ihre Besuchenden. Es macht mich emotional. Auf den Bänken und auf gestifteten Objekten sind Namen von Familien zu lesen. Ich würde gerne wissen, wer sie waren.
Wie kam die Idee für das Stück zustande?
Im Kurs mit meinen Master-Studierenden von der Lucian Blaga-Universität hatten wir viele ortsspezifische Übungen in der Stadt gemacht, als ich die Erlaubnis bekam, die Synagoge zu nutzen. Ortsspezifisch heißt, dass man die Umgebung ehrt und in der Darstellung in den Mittelpunkt rückt. In der Synagoge habe ich mit den Studentinnen und Studenten – darunter war niemand jüdisch – über die Religion gesprochen. Sie haben mir zugehört und gelernt. Auf die Synagoge haben sie alle sehr unterschiedlich reagiert. Wir hatten sogar die Chance, die Torah – die Heilige Schrift im Judentum – anzuschauen. Für die Studierenden war sie sehr fremd, sie dachten, es sei ein Buch über Zaubertränke oder so (lacht). Und das obwohl sie alle Geschichten von Adam und Eva zu Noahs Arche – das erste Testament der Bibel – kennen. Nach diesem Tag wusste ich, dass ich ein ortsspezifisches Stück in der Synagoge aufführen wollte. Ich wollte simple Geschichten über die jüdische Gemeinschaft schreiben. Ich habe sogar einige Ausschnitte aus den improvisierten Darbietungen der Studierenden an diesem Tag eingebaut, weil sie zutiefst menschlich waren.
Was bedeutet Ihr Titel „A Secret About Joy“?
Das Stück fungiert als Reservoir der Freude. Es soll die Leute antreiben, darüber nachzudenken, wie freigiebig die Freude ist und wie wir sie bis ins Endlose auslösen können. Auch in schweren Zeiten empfinden wir Freude. Sie kann aber nicht alleine entfacht werden, wir brauchen uns dafür gegenseitig. Um es anders zu sagen: Das Geheimnis über die Freude ist, dass wir zusammenkommen, um sie zu entflammen. Umgekehrt ist die Essenz von Einsamkeit, dass niemand da ist, um das Feuer zu entzünden. Deshalb macht das Zusammenkommen ein Teil der Anziehungskraft der Kirchen aus. Das ist auch eine Gemeinsamkeit mit dem Theater, es ist wie in die Kirche oder die Synagoge zu gehen, weil es ein geteiltes Erlebnis ist. Man fühlt sich weniger einsam und ist motiviert, weil man weiß, dass wir alle zusammen sind. In einer Gemeinschaft wie der jüdischen Kongregation werden auch Trauer und Kummer auf einem Fundament der Freude gespürt. Das ist das besondere an ihr. Das Judentum hatte viele harte Zeiten und nun leben Juden und Jüdinnen dafür, die Freude zurückzubringen. Sie halten auch mehr an der Freude fest, weil sie sich meist in der Rolle einer Minderheit finden.
Wie waren die Aufführungen bisher?
Ich finde, dass die Auftritte mit jedem Mal, wenn die Schauspielenden die Show vor einem weiteren Publikum präsentieren können, besser und besser werden. Ich sehe auch Stellen, wo ich das Skript anpassen muss. Alle wünschen sich zudem mehr Musik im Stück, was in Betracht meines Glücks einen unglaublichen 10-Frauen-Chor, der wunderschön singt, zu finden, sehr verständlich ist. Musik findet immer einen direkten Weg zum Herzen. Ich glaube, dass das Stück in vielerlei Hinsicht, das schafft, was ich mir erhofft habe: die Zuschauenden mit dem Herz und der Seele der verlorenen jüdischen Gemeinschaft – eine, die viele sonst nicht kennengelernt hätten – vertraut zu machen. Zudem hoffe ich, dass das Stück auf Rumänisch übersetzt werden kann und es weiterhin in der Synagoge aufgeführt wird.
Was sind ihre Pläne für das Stück und Ihr Stipendium?
Ich hoffe, dass das Stück nach den drei Vorführungen im Theaterfestival weiterhin aufgeführt wird. Constantin Chiriac, der Direktor des Radu Stanca Nationaltheaters, möchte es ebenfalls ins Repertoire außerhalb des Festivals aufnehmen. Auch wäre ich gerne in die Adaption für eine nicht ortsspezifische Bühne sowie die Übersetzung vom Englischen ins Rumänische involviert. Als ich Chiriac zum ersten Mal von meiner Idee für das Stück in der Synagoge erzählt habe, hat er mich prompt nach einem weiteren Vorschlag gefragt. Glücklicherweise hatte ich noch eine Idee (lacht). Ich will eine Geschichte über die Siebenbürger Sachsen erzählen. Es wird eine wunderschöne erfundene Legende über ihre Zünfte sein. Nach dem Festival beginne ich mit dem Schreiben. Das heißt auch, dass ich länger als die ursprünglichen neun Monate meines Stipendiums hier bleiben werde. Damit dies möglich ist, habe ich mich für eine Erneuerung bei Fulbright beworben. Erneuerungen werden sehr selten gewährt, aber ich habe eine erhalten. Also werde ich für ein weiteres Jahr hierbleiben, weiterhin unterrichten und mehrere Projekte in Angriff nehmen.
Danke für das Gespräch.