„Unruhe und Stress kann man nicht brauchen“

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Die Schweizer Heilpädagogin Johanna Reber und ihre Tätigkeit in Rothberg

Ausgabe Nr. 2768

Johanna Reber bei einem Besuch in der Redaktion der Hermannstädter Zeitung. Foto: Cynthia PINTER

Seit acht Jahren ist Johanna Reber an der Waldorfschule in Rothberg/Roșia tätig. Dort ist die 61-Jährige als Förder- sowie Instrumentallehrerin und Musiktherapeutin für die Schülerschaft im Einsatz, die aus 123 Kindern und Jugendlichen aus dem Dorf sowie dem Nachbarort Neudorf/Nou und Hermannstadt besteht, die meisten mit Roma-Hintergrund. Getragen wird die Schule vom Kindergarten bis zur 8. Klasse vom Verein Pro Arte Roșia (APAR) als Teil seines Engagements.

Johanna Reber erscheint zum Gespräch um 18 Uhr mit einem vollen Rucksack im Schlepptau direkt von der Bushaltestelle. „Meistens bin ich die letzte, die die Schule verlässt“, meint die gebürtige Schweizerin lachend. Unter der Woche fährt die Heilpädagogin täglich von ihrem Wohnort Hermannstadt zur „Hans Spallinger“ Waldorfschule in Rothberg. Reber erzählt: „Mich hat schon während meiner Kindheit in der Schweiz und danach in meiner ganzen beruflichen Laufbahn immer das interessiert, was nicht ganz geradlinig ist.“ Dies hat sie nach der Ausbildung zur Kindergärtnerin dazu bewogen, schulische Heilpädagogik zu studieren. Berufsbegleitend absolvierte Reber, die Cello spielt, die Schulung zur Musiklehrperson auf Grundschulniveau.

Auf dem Pausenhof der Waldorfschule in Rothberg geht es gemütlich zu.Foto: Johanna REBER

In Kontakt mit der Waldorfpädagogik kam Reber während eines Praktikums in der Schweiz. „Es ging mir darum, die gängige Heilpädagogik mit dem Anthroposophischen zu verbinden“, betont sie. Überzeugt habe sie an der Anthroposophie die Art und Weise Menschen anzuschauen, mit ihnen zusammen zu sein und zu arbeiten. Reber meint: „Für mich war es etwas Freilassendes.“ In der Waldorfpädagogik gehe es nicht in erster Linie darum, das Wissen auf einem kognitiven Weg zu vermitteln, sondern mit praktischen Erfahrungswerten und Erlebnissen.

Seit acht Jahren ist Johanna Reber an der Rothberger Waldorfschule tätig. Die 61-Jährige erzählt, was sie von der Schweiz nach Rumänien gezogen hat: „Ich wollte an einem Ort arbeiten, wo das Anderssein nicht einfach ist.“ Reber ist meist in kleineren Gruppen oder mit einzelnen Schülerinnen und Schülern aller Schulstufen im Förder- sowie Instrumentalunterricht und in der Musiktherapie tätig. „Durch die Waldorfpädagogik begegnet man den Kindern mit Interesse und ohne Vorurteile.“ Der Fokus werde darauf gelegt, die vorhandenen Fähigkeiten zu festigen und zu entwickeln. „Es spielt keine Rolle, ob das Kind in der dritten oder fünften Klasse ist oder ob es schon Lesen und Schreiben kann.“ Die Heilpädagogin fährt fort: „Ich bin zudem oft im Sozialkontext im Dorf tätig.“ Sie unterstützt die Roma-Familien bei verschiedensten Anliegen von finanziellen Engpässen über medizinischen Fragen zu Rennovationen.

Ihren Arbeitsalltag beschreibt Reber als abwechslungsreich und unberechenbar. „Eigentlich habe ich einen Stundenplan. Nach dem kann ich aber nie arbeiten.“ Grund dafür ist, wie die Heilpädagogin erklärt, dass sie nie weiß, welche Kinder zur Schule kommen können. Die Verfassung jener, die vor Ort sind, hängt zudem laut Reber von den Geschehnissen im Dorf ab. Dabei richtig reagieren zu können, sei wichtig. Das Unvorhersehbare mache auch den Reiz aus. „Die Vielfältigkeit der Arbeit mit allen Ecken und Kanten hat mich hier gehalten.“ Reber erklärt, dass sie auch schon kurz vor dem Aufhören war. „Ich habe gelernt, wie viel auf mich und meinen Zustand ankommt.“ Sie weiß: „Unruhe, Stress und innere Spannung kann man nicht brauchen.“

Als größte Herausforderung nennt Reber die Verbindung der täglichen Arbeit mit dem Schulgeschehen und dem Projekt als Ganzes. Das führt sie auch auf ihre Herkunft aus der Schweiz zurück: „Ich habe durch meine Erziehung und meinen Weg eine andere Umgangsform.“ Die schönsten Momente seien die kleinen Entwicklungsschritte ihrer Schülerinnen und Schüler. Sie pflegt, zu sagen: „Ich arbeite in einem Mikrokosmos, nicht einem Makrokosmos.“ Zu beobachten, wie sie in den Kindern etwas ins Rollen bringen kann, sei ein großartiges Erlebnis.

In den acht Jahren, die sie an der Schule tätig ist, habe sich einiges verändert. Neben dem Wachstum des Projekts über die Schule hinaus, freut sich Reber über das Aufkommen von Eigeninitiative seitens des Kollegiums und der Schülerschaft. Mit Besorgnis begegnet sie der technologischen Entwicklung. „Fast alle Schülerinnen und Schüler haben ein eigenes Handy, schon ab der 3. oder 5. Klasse“, berichtet die Pädagogin. Die Mütter würden bemerken, wie ihnen die Kinder entgleiten. „Da sie durch die Telefone in die Außenwelt kommen – was an sich schön ist – gelangen sie mitunter auch in fragwürdige Richtungen.“ In den letzten Jahren, beobachtet Reber, heiraten die Mädchen wieder früher und werden bald Mütter. Durch das Engagement der Schülerinnen aus der 7. und 8. Klasse sei vor kurzem ein wöchentlicher Mädchentreff, der unter anderem die sozialen Medien zum Thema hat, entstanden.

Zurzeit befindet sich der Verein APAR, der 1991 gegründet und 2019 zur Dachorganisation verschiedener Abteilungen wurde, in einer Reorganisation. „Das Projekt kann nicht mehr von den wenigen Personen getragen werden“, so Reber. Grund dafür sei das Wachstum in verschiedene Bereiche neben der Schule. APAR betreibt eine Metallwerkstatt, eine Pension in Hermannstadt und leistet Sozialhilfe im Dorf. Zusätzlich hat der Verein vor einem Monat ein Tagestrukturangebot unter dem Namen „Haus 197“ ins Leben gerufen. Im dafür renovierten Haus in Rothberg sollen alle, die es benötigen, Betreuung und eine sinnvolle Tagesbeschäftigung erhalten. Auch in diesen Aspekt der Vereinstätigkeit ist Reber involviert. Sie freut sich, dass das Haus 197 gut angelaufen ist und erwartet weiteres Wachstum.

Zukünftig hofft die Heilpädagogin, dass die Eltern ihrer Schülerschaft mehr eingebunden werden können. Dies sei während der Pandemie schwieriger geworden. „Mein größter Wunsch ist ein Schulsystem für Rumänien, welches die Lebenswelten der Kinder von heute berücksichtigt.“ Gerade für die Rothberger Schülerschaft brauche es mehr Flexibilität in der Unterrichtsgestaltung. „Auch erhoffe ich mir, dass die Schülerinnen und Schüler ein gewisses Selbstvertrauen gewinnen und sie wissen, was sie aus ihrem Leben machen können.“ Dies sei nur in vielen kleinen Teilschritten erreichbar. Reber ist sich nicht sicher, ob sie das Erreichen dieses weitgesetzten Ziels noch erleben werde. Klar ist, dass sie sich samt Rucksack am nächsten Schultag um 7 Uhr wieder auf den Weg nach Rothberg macht.

Der Verein APAR ist für Weiterführung und den Ausbau des Projekts auf Spenden angewiesen. Finanzielle Unterstützung kann mittels der IBAN-Nummer RO77 RZBR 0000 0600 0314 7724 oder dem SWIFT-Code RZBR ROBU überwiesen werden.

Carla HONOLD

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.