Gespräch über die neueste Merkel-Biografie
Ausgabe Nr. 2740
Eine Ära neigt sich dem Ende zu. Nach 16 Jahren wird Angela Merkel nicht erneut für den deutschen Bundestag kandidieren. Mit seiner neuen Biografie „Die Kanzlerin und ihre Zeit“ verabschiedet der Historiker und Publizist Ralph Bollmann Deutschlands erste weibliche Regierungschefin in ihren politischen Ruhestand. Bei der Buchvorstellung am 1. September, sprach Bollmann mit Armin Laschet (Vorsitzender und Kanzlerkandidat der CDU/CSU) über die Merkel-Ära und die Zukunft.
Als der C. H. Beck Verlag während Merkels dritter Amtszeit an Ralph Bollmann herantrat, zögerte der Autor zuerst. Schließlich sei doch alles gesagt; wozu noch eine Biografie? Doch wer sie sucht, der findet sie auch, die Merkel-Momente. Diese kleinen Momente, in denen die Kanzlerin mit ihrer Art und ihrem Handeln nicht nur imponiert, sondern auch inspiriert. Bollmann fand einen dieser Momente, als „sie [im Februar 2015] in Minsk mit Putin um die Zukunft der Ukraine rang, nächtelang, und dann schlaflos am nächsten Tag nach Brüssel flog, um die Griechen im Euro zu halten.“
Wirtschafts- und Flüchtlingskrise, Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak, Brexit, Rechter Terrorismus und Pandemie – so eine Kanzlerin muss einiges aushalten. Neben vielem Neuem in der Merkel-Biografie sei Armin Laschet vor allem eine Begegnung mit Norbert Blüm (1982 bis 1998 Bundesminister für Arbeit) in Erinnerung geblieben. Es habe Laschet überrascht, dass ausgerechnet der weltoffene Blüm, die aufsteigende Ostpolitikerin unterschätzte und ein Kennenlernen Anfang der 90er ablehnte.
Obwohl die CDU/CSU in den Umfragen derzeit hinten liegt, zeigt sich Laschet weiterhin gelassen; Zweifel an seiner eigenen Kanzler-Kompetenz habe er selbst nie gehabt. Vor allem aber den Begriff des „politischen Erbes“ betrachtete er kritisch. Während der Buchvorstellung betonte der neue Parteivorsitzende erneut: „Das Kanzleramt ererbt man nicht; das muss man sich erkämpfen.“ Daher erwarte er keine persönliche Unterstützung oder explizite Fürsprache von Merkel. Es sei das wichtigste Amt in Europa und dürfe nicht von der Gunst der Vorgängerin abhängen.
Das Amt stellt dennoch hohe Erwartungen an den oder die Nachfolgerin. Kaum ein Kanzler musste sich so vielen Krisen stellen wie Angela Merkel. Ihr Erbe ist nicht bloß ihr politischer Kurs, sondern ihre souveräne Art, Politik zu machen, ohne sich dabei von ihrer Partei zu entfernen sowie ihre Fähigkeit, Ideologie und Pragmatismus zu vereinen. Nicht jedes Ziel lässt sich in Koalitionsgesprächen verhandeln, oder kann innerhalb einer Amtszeit realisiert werden, wenn plötzlich eine Pandemie dazwischen kommt.
Die erste deutsche Bundeskanzlerin selbst gilt als überzeugte Europäerin. Wie auch Merkel, so Laschet, „muss jeder deutsche Kanzler in einer Krisensituationen sofort daran denken: Wie löse ich die europäisch?“ Um die Hürden der Zukunft gemeinsam zu meistern, „brauchen wir die Polen, Ungarn und Ost- und Mitteleuropäer.“
Der Autor Ralph Bollmann merkte an, dass sich Merkels europäische Haltung allerdings erst entwickeln musste. Ein Wendepunkt sei der 80. Geburtstag Helmut Kohls gewesen, als der Altkanzler zu ihr gesagt habe: „Das mit [der Schuldenkrise in] Griechenland kann man doch nicht einfach so laufen lassen; da muss man doch was tun.“
Ein weiterer Merkel-Moment, der Bollmann zu der Biografie veranlasste, war eine Begegnung mit Angela Merkels Mutter in Templin, bei der er auch deren Einfluss auf die zukünftige Kanzlerin ergründen konnte. Zur Verabschiedung habe sie zu Bollmann gesagt: „Es sei so viel Falsches über ihre Tochter geschrieben worden, das sollte mir doch bitte nicht passieren.“ Bollmann habe sich bemüht, „nichts Falsches über sie zu schreiben.“ Es scheint geglückt, lobte doch unter anderem die Süddeutsche Zeitung die Biografie als „akribische Nacherzählung“, die „ihre eigene Aussagekraft entwickelt“.
Tobias LEISER