,,Eine poetische Widmung“

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Dumitru Chioaru veröffentlicht zweisprachigen Gedichtband im Armanis-Verlag

Ausgabe Nr. 2724

Dumitru Chioaru: Scene din orașul vitraliu/Szenen aus der Kirchenfenster-Stadt. Gedichte. Deutsche Fassung und Fotos: Beatrice Ungar. Armanis Verlag Hermannstadt, 2021, 106 Seiten, ISBN 978-606-069-033-7

Unter dem Titel ,,Scene din orașul vitraliu/Szenen aus der Kirchenfenster-Stadt“ hat der Schriftsteller Dumitru Chioaru, Chefredakteur der Zeitschrift Euphorion und Professor für Vergleichende Literatur an der Fakultät für Sprachwissenschaften und Bühnenkünste der Lucian Blaga-Universität in Hermannstadt einen der Stadt Hermannstadt gewidmeten Gedichtband in dem Armanis-Verlag der Hermannstädter Astrabibliothek veröffentlicht.

Ein Fragment des in deutscher und in rumänischer Sprache von dem Schriftsteller Joachim Wittstock verfassten Geleitwort können Sie im Folgenden lesen.

 Zur Deutung von Gedichten, wie sie in diesem Band vereint sind, zum Verständnis von poetischen Widmungen, die einer Ortschaft gelten, bietet sich am ehesten der lokalhistorische und landeskundliche Zugang an. Wir wollen ihn nicht beschreiten, denn wir sind uns dessen bewusst, dass damit mehr nur das Stofflich-Thematische und weniger die künstlerische Qualität der Texte anvisiert wird. Um das literarische Spezifikum der Verse zu ergründen, müssen andere Wege begangen werden. Die Gedichte sind nämlich nicht feuilletonistische Abbilder von städtischen Motiven, in unserem Fall von Hermannstädter Ansichten, und sie setzen sich auch nicht zum Ziel, kulturgeschichtliche Informationen über wichtige Baulichkeiten der Ortschaft zu liefern, sondern sind Ausdruck subjektiver Wahrnehmung und ganz persönlicher Erfahrung des Autors.

Dumitru Chioaru (geb. 1957) kam als Jugendlicher nach Hermannstadt. Wegen der Zwangskollektivierung hatte sein Vater das Landleben mit dem städtischen Dasein vertauscht. Das lesen wir in einer Selbstauskunft des Dichters, im Band „Developări în perspectivă“ erschienen (Perspektivische Aufhellungen. Bucureşti: Cartea Românească 2004, S. 202). Die Eltern verließen ihren Wohnsitz in Sîngătin, einer Ortschaft der Großpolder Senke (Depresiunea Apoldului) beziehungsweise des „Unterwalds“ in der Nähe von Mühlbach/Sebeş. Als aufnahmewilliger Lyzeaner wuchs Dumitru in die Gegebenheiten einer Siedlung mittlerer Größe hinein, angezogen (und mitunter auch abgestoßen) von ihren altertümlichen Baulichkeiten und traditionellen Einrichtungen, hineingestellt in ein pulsierendes Ambiente, das weder große Aufschwünge noch allzu bedrohliche Abstürze kannte. Nach dem Philologiestudium in Klausenburg/Cluj-Napoca, nach Lehramtsjahren in Piatra Neamţ, Agnetheln/Agnita und Heltau/Cisnădie kehrte er nach Hermannstadt zurück, wo er seither mit seiner Familie verblieb.

Die im Lauf der Jahre entstandenen Hermannstadt-Gedichte der vorliegenden Sammlung wurden dem Band „Viaţa şi opiniile profesorului Mouse“ entnommen (Leben und Ansichten des Professors Mouse. Cluj-Napoca: Editura Limes 2004). Die Übersetzerin der Texte ins Deutsche, Beatrice Ungar, berücksichtigte die dortige Anordnung der Gedichte und hielt sich bei der Übertragung der Verse möglichst genau an den Wortlaut des Originals.

Eine freundliche Stadtvision wird in dem Gedicht „Der Hundsrücken“ entworfen, die Verse eröffnen am Schluss gar eine kosmische Perspektive. „Das Brukenthalmuseum“ wiederum zeigt, dass der Autor sich von der gehobenen Stimmung und dem kreativen Elan anstecken ließ, die in dem Palais und seinen Exponaten unwillkürlich aufkommen. Auch das Gedicht mit dem programmatischen Titel „Hermannstadt“ dürfen wir hier eingliedern, diese subjektive Mixtur von Momenten aus Gegenwart und Vergangenheit.

In „Der Fingerlingsplatz“ und „Die Fingerlingsstiege“ vermischen sich Erinnerungsspuren und Vorstellungsbilder, wie die mittelalterliche Szene sie dem Dichter eingibt, und ähnliche Assoziationen von sinnlicher Wahrnehmung und belebten Eindrücken aus vergangenen Tagen oder von gedachten Begebnissen prägen auch die Gedichttexte „Die Lügenbrücke“, „Das Goldene Fass“, „Die Astrabibliothek“ und „Der Thalia-Saal“.

Das Geschichtsbewusstsein regt sich im Autor, wenn er über „Die Kirche im Graben“ oder über „Das Dorfmuseum“ nachsinnt und dabei Ureigenes aufspürt. Zu den für einen Lyriker wichtigen kulturgeschichtlichen Bezugspunkten gehört der „Hermannstädter Literaturkreis“, und daher haben die Rückblicke auf Leben und Treiben seiner Mitglieder hier ihren Platz: „Die Ballade des Literaturkreises“ und „Das Restaurant Eule“. Auch „Die Augen der Stadt“ nötigen Chioaru zur geschichtlichen Rückschau, nicht nur auf bunte Episodik vergangener Epochen, sondern auch auf zeitnähere Ereignisse wie die Opfer-fordernde Dezemberrevolution des Jahres 1989. Die Ausflugsziele „Sibiel“ und „Michelsberg“ führen die Hermannstädter und ihre Gäste desgleichen in historische Zusammenhänge ein, durch altüberkommene Bauanlagen und Zeugnisse der Volkskultur (Ikonen).

In Dumitru Chioaru kommt melancholische Stimmung auf, wenn er ihm lange schon bekannte Wege erneut abschreitet und sich an einstige Begegnungen erinnert („Die Schwimmschule“, „Das Goldtal“). Oder wenn er bei Wanderungen dazu gebracht wird, einen meditativen Blick auf die menschliche Existenz zu werfen („Der Erlenpark“) oder Künftiges zu erwägen, nämlich Tod und Bestattung („Die Junger-Wald-Straße“, die zum Städtischen Friedhof führt, gibt ihm solche Gedanken ein). Unterwegs ist er auch in dem „Philosophengang“, sichtlich in Erwartung einer Entscheidung, und in der ihn nachdenklich stimmenden „Lohmühlgasse“.

Und her gehört wohl auch der selbstbiographisch aufschlussreiche Text „19. Oktober 1957, Sîngătin“, der die nicht unproblematischen Anfänge seines Stadtdaseins beleuchtet.

Joachim WITTSTOCK

 

 

Hermannstadt

Kirchenfenster-Stadt –

der Platz ist noch leer neben dem Turm

der evangelischen Stadtpfarrkirche unter den Arkaden

die an der Pempflingerstiege den Himmel stützen

begleitet von einer Geige (sie spielt Mozart) kommen

vom Brukenthalmuseum schweigend eine dicke Sächsin

und ein scharlachroter Mann

mit zwei Blumenkörben

Trauer dämpft mein Staunen

vor dem verfallenen Töpferturm –

jenseits der Stadtmauern lärmt es

scheinbar sind es Reiter ich sehe

sie in den Rüstungen der Auto-

busse vor einem Lyzeum SALVE

steht über dem Eingang mein Herz schlägt schneller

an einem Frühlingstag aus der Schulbank hinaus blickend

sah ich wie das Licht zur Lügenbrücke hin

heller wird und meine Herzschläge beschleunigt Sie

ging vorbei und Ich blieb dazwischen stehen unentschlossen

wie auch jetzt auf dem wogenden Platz

Dumitru CHIOARU

Deutsche Fassung: Beatrice Ungar

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.