Ein Wort aus Neppendorf zum Wochenspruch
Ausgabe Nr. 2677

Die ursprüngliche in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts auf einer Anhöhe in der Dorfmitte erbaute gotische Saalkirche in Hamlesch war dem Heiligen Michael geweiht und ist 1631 niedergebrannt und wieder aufgebaut worden. 1875 wurde sie wegen Einsturzgefahr behördlich gesperrt und abgetragen. In dem Zeitraum 1897-1898 wird eine neue evangelische Kirche im neuromanischen Stil erbaut, die 1899 durch Bischof Friedrich Müller I. eingeweiht worden ist. Unser Bild: Der neuromanische Altar von 1898 hat als Mittelpunkt ein Kruzifix aus Metall und an den Seitentafeln sind die in der Andacht oben erwähnten Bibelsprüche in goldfarbenen Buchstaben aufgemahlt. Foto: Stefan BICHLER
„Christus spricht: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“(Matthäus 11, 28)
Wie ein Gebirgsbach auf einer Wanderung
Was ist das eigentlich für ein eigentümliches Wort: erquicken? Selten bis nie ist es im Alltag zu hören und ich wüsste nicht, dass ich es – außer beim Zitieren dieses Wochenspruches – jemals verwendet habe. „Ich will euch erquicken“, sagt Jesus, der Christus, der Gesalbte: „Ich will euch erfrischen, stärken, an mir könnt ihr euch laben, ich will euch gütlich tun.“ Oder auch: „Ich will euch ausruhen lassen.“
Wir haben zwar Jesu Worte nicht im Original, wie er sie auf Aramäisch gesprochen hat, überliefert, doch steht in der ältesten, der griechischen Übersetzung ein interessanter Hinweis. In erquicken steckt das Wort Pause drin, anapauso: „Ich gebe euch eine Pause.“ Und diese Pause ist das, was erfrischt, erhebt und belebt. Wie ein Gebirgsbach auf einer Wanderung, in den ich meine Unterarme lege oder die Schuhe ausziehe und mit den Füßen darin wate.
„Auch die Pause ist Musik.“
„Auch die Pause gehört zur Musik“, hat Stefan Zweig einmal gesagt und unter Musikerinnen und Musikern ist es ein geflügeltes Wort: „Auch die Pause ist Musik.“ Wenn die Instrumente einen halben Takt, einen ganzen Takt oder länger in einem Stück schweigen, dann gehört auch das zur Musik und macht den Klang des Ganzen aus. So, wie der Sonntag als Ruhetag zur Woche gehört oder der Sabbat als Ruhetag am Samstag, wie es in Jesu Umfeld üblich war. Der siebte Tag der Woche, der daran erinnert, dass Gott selbst nach allem Schöpfen ausgeruht hat bzw. dass das Ruhen und Feiern dessen, was da ist, die eigentliche Krone der Schöpfung ist.
Gott gibt dem, was drückt, Raum
Zum Feiern ist allerdings gerade nicht vielen zumute, in dieser Zeit der Mehrfachbelastungen mit Homeschooling, wirtschaftlichen Unsicherheiten und sozialen Fragen, vor die uns die Pandemie stellt. Die Leichtigkeit des Sommers lässt auf sich warten. Gott weiß das. Was müde und erschöpft macht, was die Sorgen wachsen lässt und belastet. Gott sieht das und spricht es aus, gibt dem, was drückt, einen Raum. Und allein dadurch, dass es gesehen wird und dass es ausgesprochen wird, wird es ein wenig leichter:„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid“. Und dann: Findet Ruhe. Ruhe für eure Seelen, für eure Körper, Ruhe für eure Familien und für die, die euch lieb sind. Ein Sonntag für die Seele, eine Pause, die aufatmen lässt, erfrischt und erquickt. Ein Sonntag für die Seele in diesem verregneten Sommer und da können die Worte Jesu uns zum Gebet werden: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“
In Hamlesch ist dieser Satz Jesu in der evangelischen Kirche in goldfarbenen Buchstaben auf der linken Seite des Altars zu lesen, golden auf lindgrünem Grund. Und auf der rechten Seite steht: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben.“ (Johannes 5, 24). Das ist die Verheißung, in dieser ockerfarbenen neugotischen Kirche mit ihrem Kirchenraum, der schlicht ist und weit und atmen lässt und erquickt. Mit dem, was da zu lesen ist und dem, dem wir vertrauen können.
Vikarin Angelika BEER