40 Jahre seit dem Tod von Mitzi (Maria) Klein-Hintz
Ausgabe Nr. 2674
Am 14. Mai 1980 versammelte sich eine stattliche Trauergemeinde in der Kapelle des Hermannstädter Waldfriedhofs, um von Mitzi Klein-Hintz, einer bedeutenden siebenbürgischen Künstlerin Abschied zu nehmen. Zwei Tage vorher war die 88-Jährige den Folgen eines Schlaganfalls und chirurgischen Eingriffs erlegen. „Landesbischof Albert Klein hielt die Trauerrede, der Bachchor sang und die Philharmonie spielte“, berichtet der Sänger Ernst Herbert Groh, der zu den treuen und langjährigen Lebensgefährten der Verstobenen zählte. 40 Jahre nach ihrem Ableben sollte nun an diese Künstlerin erinnert werden, die „ein ruhmreiches Kapitel Siebenbürgischer Kunstgeschichte geschrieben hat“, so der damalige Berichterstatter.
Geboren wurde Maria Hintz am 24. Oktober 1891 in Kronstadt. Die Mutter, Maria Müller-Hintz, ist Pianistin und die Tochter von Bischof Friedrich Müller d. Ä., der Vater Ernst Hintz ein bekannter Sänger. Die Schreibweise differiert. Mal heißt es „Hintz“ (Lexikon der Siebenbürger Sachsen), mal „Hientz“ (Peter Szaunig, Hermannstädter Zeitung, 1970), und auch „Hienz“ (Musikverein Hermania). Von ihr selber gibt es eine erhaltene Buchsignatur aus Jugendjahren (aus dem Archiv von Konrad Klein), in dem sie mit „Mitzi Hintz“ unterschreibt.
Früh schon erhält sie Klavierunterricht bei Helene Lassel, der Schwester des Komponisten Rudolf Lassel, und Leontine Hesshaimer. 1904 siedelt die Familie nach Hermannstadt um, wo die inzwischen Dreizehnjährige nun Unterricht bei Viktor von Heldenberg und bei Stadtkantor Leopold Bella erhält.
1910 kann sie ein Studium an der Wiener Akademie für Musik aufnehmen, damals für ein Mädchen eine Seltenheit. Namhafte Lehrer prägen die eifrige Studentin: der Klavierpädagoge Ernst Ludwig, der Komponist Franz Schmidt aber auch Dr. Richard Stöhr, in Musiktheorie, Dr. Eusebius Mandicevsky und Emil Sauer, einer der letzten Liszt-Schüler. Nach vier Jahren absolviert die junge Pianistin als Meisterschülerin neben dem späteren Meisterdirigenten Clemens Krauss und der ebenso berühmten Sopranistin Maria Ivogün.
1914 kehrt die junge Absolventin pflichtbewusst nach Hermannstadt zurück und beginnt eine äußerst erfolgreiche Karriere als Musikpädagogin und Konzertpianistin. Generationen von Klavierschülern sind durch ihre formenden Hände gegangen, darunter namhafte Pianistinnen und Pianisten des In- und Auslands, etwa Kurt Mild, Meta May-Holmboe, Eva Plattner-Klamfoth, Graziella Georgia, oder auch Gerda Türk.
Ihre eigene Kunstfertigkeit erweitert sie zielstrebig in etlichen Meisterkursen bei Berühmtheiten wie Josef Pembauer und Siegfried Grundeis in München oder bei Luise Gmeiner und Franz Mittler in Berlin. So entwickelt sich die junge Künstlerin zu einer in weiten Kreisen Siebenbürgens anerkannten Solopianistin. Mit Werken der Klassik und Romantik – Mozart, Beethoven, Mendelssohn oder Weber – brillierte sie bei philharmonischen Konzerten in Hermannstadt, Kronstadt oder Schäßburg.
Noch intensiver aber beschäftigte sie sich mit der Pflege der Kammermusik. Zusammen mit Dr. Ranko Burmaz begründet sie die Hermannstädter Kammermusikabende, die sie zu hohem Ansehen führen. Dabei erweist sich Mitzi Klein-Hintz als eine begnadete Klavier-Begleiterin, die man – so die Stimmen jener Zeit – neben die Koryphäen dieses Faches, ein Carl Lafite, Franz Mittler oder Michael Raucheisen, ja sogar Gerald Moore stellen darf. Viele Größen des internationalen Musiklebens hat sie mit sensiblem Begleitpart betreut, so die Geiger Gerhard Taschner, Jean Proşteanu, Ella Kasteliz, Sandu Albu. Sogar dem großen Enescu ist sie begleitend zur Seite gestanden, ein wahrhaft musikalischer Ritterschlag.
Aber auch einheimische Künstler durften sich von ihrem gediegenen Begleitspiel getragen fühlen: die Geigerinnen Olga Coulin und Elsa Kreuzer, der Geiger Alfred Salmen, der Cellist George Iarosevici, die Starsänger Gheorghe Folescu, Alexandru Lupescu, Jean Athanasiu, Petre Ştefănescu-Goangă, Lya Hubic, das Künstlerpaar Lissmann-Jekelius wie auch die Hermannstädter Sänger Wilhelm Ohrend, Hilde Kolbe, Deli Simonis, Fritz Hientz-Fabritius, Ernst Herbert Groh. Auch im Klavierduo mit Elena Gherman war sie oft zu hören.
Die Aura ihres Künstlertums und ihr sympathisches Wesen zog viele Künstler an. Ernst Herberth Groh berichtet: „Schon früh hatte sich eine musikalische Tafelrunde um ihre Person gebildet, deren Exponenten der Pianist Arnold Kieltsch, der Geiger [Dirigent und Bildhauer] Demetros Anastasatos, der Theaterkorrepetitor Franz Richter und freilich auch der Schauspieler und Sänger E. Herbert Groh waren, die ihr liebevoll über manche Wirrnisse des Lebens hinüberhalfen“.
Woher der Doppelname? 1917 heiratet sie den Hermannstädter Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Klein. Er, der musikbegeisterte Ehemann, war es, der die Initiative zur Gründung der Hermannstädter Kammermusikvereinigung hatte. Nach 20 Jahren wird die Ehe kinderlos geschieden. Den Doppelnamen Klein-Hintz aber hat die Pianistin mit der vorgesetzten „Mitzi“ als Künstlersigné beibehalten.
Fortan widmete sie sich mit vollem Einsatz dem Unterricht und ihrer konzertanten Tätigkeit. Bekannt und beliebt waren die Kammerkonzerte, die sie im Brukenthalpalais, oder später vor einem auserwählten Publikum in den Räumlichkeiten der eigenen Wohnung in der Hermannstädter Saggasse abhielt. Ihr Repertoire – vom Barock bis zur Gegenwartsmusik – war enorm und noch als betagte Dame hielt sie an täglich-diszipliniertem Üben fest und überzeugte bei öffentlichen Auftritten mit ihrer geistigen Frische.
Vieles änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wird zur Pianistin der neugegründeten Staatsphilharmonie und Mitbegründerin des Hermannstädter Konservatoriums „Timotei Popovici“, aus dem sich später die „Volkskunstschule“ (Școala populară de artă) entwickelte.
Hier an der Volkskunstschule lerne ich sie 1956 als ihr Schüler kennen. Noch darf sie, wohl aus Respekt vor ihrer Lebensleistung und ihrem Alter, in ihrer Privatwohnung unterrichten. Das wird der 70-Jährigen bald verboten werden. Welche Schmach für eine Künstlerin, die ein volles Musikerleben in den Dienst dieser Stadt gestellt hat.
Ich sehe mich mit klopfendem Herzen den großen Torbogen an der Sagstiege durchschreiten, die steilen Steinstiegen im Innenhof hochsteigen, klingeln, im Wartezimmer Platz nehmen. Dann darf ich das große Zimmer betreten, in dem ein großbürgerliches Mobiliar zusammengerückt ist, um zwei Konzertflügeln Platz zu geben, denn ein Teil des Raumes ist mit einer Flucht von Schränken abgetrennt, als Durchgangspassage für den requirierten Wohnungsteil. Freundlich und gespannt begrüßt mich die Klavierlehrerin. Es kann passieren, dass die alte Dame bei meinen technischen Einspielübungen – Tonleitern, Akkordbrechungen usw. – übermüdet dahindämmert. Mit einem gewaltigen Akkord hole ich sie in die Gegenwart zurück. Nun ist sie hellwach, beobachtet mich und mein Spiel mit ihren grauen Augen durch die kleine Nickelbrille und analysiert es anschließend genauestens. Da muss alles stimmen: rhythmische Perfektion, Textgenauigkeit, technische Sauberkeit, ein sensibler Anschlag, stilistische Details. Die Kritik ist immer konstruktiv. Vielen gilt sie als streng. Mir kommt ihre penible Genauigkeit entgegen. Als ich nach dem Abitur an das Klausenburger Konservatorium gehe, bin ich so gut vorbereitet, dass mich Gheorghe Singer, der spätere Berliner Klavierprofessor Georg Sava in seiner Klavier-Hauptfachklasse haben will. Aber selbst noch in meinen hohen Studienjahren gehe ich in den Semesterferien zu meiner verehrten Klavierlehrerin und hole mir bei ihr wertvollen Rat, Kritik und Zustimmung. Sie hat eben das Handwerkszeug der großen Wiener Pianistenschule und die Erfahrung eines erfüllten Künstlerlebens und ich darf mich durch sie, die Emil Sauer-Schülerin, als einen Urenkelschüler von Franz Liszt betrachten.
Am 14. Mai 1980 wurde sie zu Grabe getragen. Die große Trauergemeinde bezeugte, welch hohes Ansehen sie als „Grande Dame des Klavierspiels“ weithin genoss. Eine offizielle Ehrung aber durch die Stadt ist ihr nie widerfahren. Mein Aufsatz möge an das großartige Wirken dieser stets bescheidenen Künstlerin erinnern, der ein Ehrenplatz im Musikleben (nicht nur) dieser Stadt gebührt.
Prof. Heinz ACKER