Poesie, Pathos, Witz und Feuer

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Das 26. Hermannstädter Internationale Theaterfestival verzeichnete neue Rekorde

Ausgabe Nr. 2630

Die französische Straßentheatergruppe „Plasticiens volants“ verwandelte an zwei Abenden den Großen Ring in eine Bühne für mit Helium gefüllte aufblasbare Gestalten aller Art. Unser Bild: Einige Figuren wie diese aus der Vorstellung „New World“ konnte man auch tagsüber bewundern.
Foto: Fred NUSS

Das Internationale Theaterfestival Hermannstadt hat dieses Jahr den Rekord der Zuschauer gebrochen. 123.000 Menschen sollen den insgesamt 540 Events der 26. Auflage beigewohnt haben. Das größte Theaterfestival des Landes, das am 14. Juni begonnen hatte, endete am Sonntag, dem 23. Juni, zehn Minuten vor Mitternacht mit dem traditionellen Feuerwerk. Damit endete das spektakulärste Event des Jahres in Hermannstadt.

Sechs neue Sterne auf der Ruhmesmeile an der Oberen Promenade wurden im Rahmen einer Feierlichkeit am vorletzten Festivaltag vergeben (v. l. n. r.): Konsul Hans Erich Tischler, der das Diplom für Regisseur Michael Thalheimer vom Berliner Ensemble übernahm, Festivaldirektor Constantin Chiriac, Regisseur Emmanuel Demarcy-Mota (Frankreich), die Schauspielerin Maia Morgenstern, Schauspieler und Regisseur Pippo Delbono (Italien), Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui (Belgien), Dramatiker und Regisseur Stan Lai (China) und der Theaterkritiker George Banu.
Foto: Sebastian MARCOVICI

„Das ist eine besondere Art von Theater. Entweder man liebt es oder man hasst es.“ Diese Aussage einer Zuschauerin nach dem Theaterstück „La gioia“ (Die Freude) konnte wahrer nicht sein. Dieses Stück rührte viele Frauen im Publikum zu Tränen, andere ließ es kalt. „La gioia“ war das meist erwartete Event des diesjährigen Theaterfestivals, das an zwei Tagen gezeigt wurde und jedes Mal ausverkauft war. Geschrieben ist das experimentelle Stück von dem Italiener Pippo Delbono, der dafür bekannt ist, die Regeln der Theaterwelt zu brechen. Auf seiner Bühne vereinen sich Tanz, Musik, der Pathos des gesprochenen Wortes und der Film. Auf seiner Bühne steht er selber zusammen mit scheinbar normalen, teils von der Gesellschaft benachteiligten Menschen, wie der am Down-Syndrom leidende Gianluca Ballarè und einigen Schauspielern. „Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen“, sagt Pippo Delbono, der das Mikrofon in die Hand nimmt und über sich und seinen Weg in einer Welt erzählt, die sowohl fasziniert als auch ängstigt. Er ist ausschweifend, grundehrlich und löst im Publikum Stürme der Sensibilität aus. Er entführt seine Zuschauer in eine skurrile Welt, die mit allen Sinnen spielt. Wie es zu dem Titel „Die Freude“ kam, erklärte Pippo Delbono in einem Interview, das in der Zeitschrift Capital Culturalabgedruckt wurde: „’Die Freude‘ ist ein Stück, das aus Schmerz entstanden ist. Zu Beginn des Stückes sage ich, dass es genauso gut ‚Ein Weg zur Freude‘ hätte heißen können. Es geht nicht um ‚Freude‘ (…) sondern um die Suche möglicher Freude im Tumult des Lebens.“

Zirkus gab es auch: Der „Fliegende Holländer“ jonglierte u. a. auf dem Habermann-Markt mit brennenden Fackeln.                
Foto: Paul BĂILĂ

Autobiografie ist ein wesentlicher Bestandteil von Pippo Delbonos Theateraufführungen und die Geschichte von Bobó, dem taubstummen und mikrozephalen Freund und Künstler, der im Frühjahr gestorben ist und dessen Stimme aus den Lautsprechern zu hören war, rührte die Zuschauer zu Tränen. Was wie ein Stück Dokumentartheater beginnt, entwickelt sich zu einer opulenten Schau voller Poesie und Pathos, zu einer Mixtur aus Sprech- und Tanztheater, Kabarett und Burleske.

Yousef Al-Hashash (Bildmitte) begeisterte in der Gogol-Inszenierung „Das Tagebuch eines Wahnsinnigen“ aus Kuweit. Foto: Maria ȘTEFĂNESCU

Zu Tränen rührte das Publikum durch minutenlangen Stehapplaus und Ovationen die aus Kuweit angereisten Gäste, die eine dynamische und einfallsreiche, von Situationskomik regelrecht getragene Gogol-Inszenierung darboten. Zur Erinnerung für die Hermannstädter Theaterliebhaber: Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ feierte am 15. März 2011 Premiere an der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Theaters mit Wolfgang Kandler in der Hauptrolle und  in der Regie von Daniel Plier. „Chapeau, Wolfgang! Chapeau, Daniel!“ konnte man in der Ausgabe Nr. 2224 der Hermannstädter Zeitunglesen. Das gleiche kann man den Darstellern aus Kuweit von der Theatergruppe Shaabi, zurufen, die unter der Spielleitung von Yousef Al-Hashash gleich zwei Vorstellungen am Freitag, den 21. Juni, 18 und 20 Uhr, im Gong-Theater für Kinder und Jugendliche auf die Bühne brachten. Unter dem Titel „Das Tagebuch, das in den Wahnsinn geführt hat“. Der Regisseur war auch Hauptdarsteller (Him), hatte Tränen in den Augen  und sagte dem Publikum, er freue sich, dass die Inszenierung gut angenommen worden sei, trotz der Sprachbarriere. Wer Gogols Stück kannte, hatte bei der ausdrucksstarken Spielweise der Kuweiter überhaupt keine Schwierigkeiten, der Aktion zu folgen. Sehr interessant war die Idee, die Darsteller jeweils von zwei in Schwarz gekleideten Personen, die unsichtbar bleiben, mit kleinen Scheinwerfern beleuchten zu lassen. Für die Darsteller war es gar nicht so einfach, sich nicht ständig auf der Bühne anzurempeln.

Das Theatre de Suresnes führte die Performance „Finding Now“ in der Choreographie von Andrew Skeels auf. Foto: Adrian BULBOACA

Tanz gab es auch diesmal zur Genüge im Programm des Theaterfestivals. Besonders schön anzusehen waren die Franzosen vom Théatre de Suresnes mit ihrer Performance „Finding Now“ in der Choreografie von Andrew Skeels. Auf der Bühne der Redal Expo Halle konnte man am Samstag, dem 22. Juni, den fünf Tänzern, zwei Damen und drei Herren, zusehen, wie sie eine Mischung aus modernem Tanz, Ballett und Hip Hop zu barocker Musik zum Besten gaben. Mit dieser Tanzshow gewann der kanadische Choreograph Andrew Skeels 2018 den Großen Preis in der Kategorie „Beste Show des Jahres“ beim „Grand Prix de la Critique“ in Paris. Die flüssigen Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer beeindruckten die Zuschauer und ließen keinen Moment Langeweile hochkommen.

Auch für Studententheater wurde Platz im Rahmen des Theaterfestivals eingeräumt: Jeden Abend fand ab 23 Uhr ein Stück im „Cavas“-Saal in der Sprachenfakultät statt.

Junge Schauspieler aus den USA von Pace University brachten am Donnerstag Abend das Stück „How I Learned to Drive“ der US-Schriftstellerin Paula Vogel auf die Bühne, Regie Borna Barzin, und der Saal war trotz der späten Stunde voll. Fünf junge Künstler – Caitlin Charles, Michael B. Anderson, Tamar Rubin, Ryan Cortelyou und Augusta Fitzgerald – erzählten die Geschichte einer jungen Frau, Li’l Bit, die von ihrem Onkel Uncle Peck das Autofahren lernt. Neben den eigentlichen Fahrstunden kommt allerdings die wahre Geschichte der Familie zum Vorschein, denn Uncle Peck ist ein Pädophile und in der Familie werden Inzest und sexuelle Übergriffe toleriert und mehr oder weniger versteckt. Zum Beispiel ist die Größe der Brüste von Li’l Bit ein normales Thema beim Abendessen mit den Großeltern. Die Szenen wechseln sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart ab – erst die Fahrstunde und eine Episode aus der Gegenwart, dann ein Schritt zurück in die Vergangenheit, bis ein vollständiges Bild vor den Augen der Zuschauer entsteht. Die Tante der Hauptdarstellerin freut sich, dass ihre Nichte endlich auszieht, um weiter zu studieren, damit ihr Ehemann endlich zu ihr zurück kehrt. Der Onkel – ein Alkoholiker, der seit seiner Beziehung mit seiner Nichte aufs Trinken verzichtet -, hat im Keller des Hauses seine Höhle, wo er Nacktfotos von seiner Nichte macht und einmal im Jahr in sein Elternhaus zurück kehrt, wo er wieder ein Opfer findet. Li’l Bit hat Probleme  mit gleichaltrigen Jungen Beziehungen zu beginnen, wegen ihres dunklen Geheimnisses. Sie greift zum Alkohol, um ihre Vergangenheit zu vergessen, denn bei ihrer Alkoholiker-Mutter findet sie ebenfalls keine Hilfe. Bei der letzten Reise in die Vergangenheit erfahren die Zuschauer die ganze traurige Wahrheit: Li’l Bit ist 11 und streitet mit ihrer Mutter, weil sie mit ihrem Uncle Peck wegfahren will. Ihre Mutter, die genau weiß, dass der Mann ein Pädophile ist, lässt sie letztendlich fahren und erklärt ihr, dass es allein ihre Schuld sein werde, falls etwas passieren sollte. Tatsächlich wird das Mädchen zum ersten Mal im Auto ihres Onkels sexuell belästigt und muss bis in die Gegenwart – als sie alt genug ist, selber Auto zu fahren – alleine damit klar kommen. Die Autorin des Stückes hat 1998 für dieses Stück den Pulitzer-Preis für Drama erhalten.

Schwierig wurde es manchmal für das Publikum mit den Volontären. Auch wenn viele von ihnen bemüht waren, zu helfen, packte so mancher die Gelegenheit am Schopf, sich so richtig überheblich zu fühlen und endlich mal Chef zu spielen gegenüber den Zuschauern und auch den anderen Volontären. Die Angestellten des Hermannstädter Theaters waren allerdings immer vor Ort und schafften es, alles in den Griff zu bekommen und besser mit dem Publikum zu kommunizieren.

Unzufrieden mit so manchen Programmpunkten des Theaterfestivals war auch Sabin Luca, der Direktor des Brukenthalmuseums. Die Eingänge zum Blauen Stadthaus und ins Brukenthalmuseums waren nämlich erst durch große Luftballons und dann auch durch Ess-Buden blockiert, obwohl das Museum Partner des Festivals ist und sogar eine Ausstellung im Rahmen des Festivals beherbergt hat. Das Museum habe während dieser Zeit rund 30.000 Lei weniger Einnahmen gehabt im Vergleich zu anderen Wochenenden.

Horațiu Mălăele brachte mit seiner Ein-Mann-Show „Sunt un orb“ das Publikum zum Lachen.
Foto: Paul BĂILĂ

Eines der letzten Stücke, die am Sonntag Abend zu sehen waren, war „Sunt un orb“ (Ich bin ein Blinder), mit Horațiu Mălăele in der Hauptrolle. Der bekannte rumänische Schauspieler stand allein auf der Bühne, in einfachen schwarzer Bekleidung, mit einer Melone und einem Mikrofon. Das Improvisationsstück begann mit einer Reihe von Witzen, die das Publikum im Saal zum Lachen brachte, auch wenn viele Witze bekannt waren. Ein überraschender Moment des Stücks war, als sein Sohn, Bogdan Mălăele, erst zusammen mit seinem Vater einen kleinen Dialog auf der Bühne hatte, um danach alleine einen etwa 15-minütigen Stand-Up-Moment zu bieten. Sein Vater kam zurück auf die Bühne und rezitierte einige Gedichte – es ging dabei um Liebe – bekannter rumänischer Autoren, zum Teil seine Freunde. Nach dem melancholisch-traurigen Moment beendete Horațiu Mălăele sein Stück mit einer Reihe von Witzen, bei denen es hauptsächlich um Ehefrauen und Ehemänner ging; die Zuschauer lachten abwechselnd. Der Schauspieler lud am Ende das Publikum ein, auch seine anderen Theaterstücke zu besuchen, sein Karikaturenbuch „HoARTiu Mălăele“ zu kaufen, aber auch seinen neusten Film zu sehen, „Moromeții 2“, nach Marin Preda, Regie Stere Gulea, in dem er die Rolle des Familienvaters Ilie Moromete spielt.

Das Feuerwerk zum Abschluss des Festivals wurde auf dem Parkplatz neben dem Radu Stanca-Theater gezündet.                          
Foto: Fred NUSS

Eines ist jetzt schon klar: Ab heute  gerechnet, beginnt in genau 50 Wochen die 27. Auflage des Hermannstädter Internationalen Theaterfestivals. Wie heißt es so schön? Nach dem Festival ist vor dem Festival!

Cynthia PINTER

Ruxandra STĂNESCU

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.