Kurzbericht über eine hochinteressante Fachtagung / Von Elke SABIEL
Ausgabe Nr. 2629
Vor dem Hintergrund der grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen durch die Auswanderung der deutschen Minderheit aus Rumänien fand im Rahmen der internationalen Fachtagung „Migration und Identität im rumänischen Kulturraum. Multidisziplinäre Zugänge“, die vom 23. bis 25. Mai 2019 in Hermannstadt an der Lucian Blaga-Universität (ULBS) organisiert worden ist, das von der ULBS, dem Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen, und dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München (IKGS), vorbereitete Panel „Rumäniendeutsche. Migration und kulturelles Erbe nach 1945″ statt. Dessen zentrales Thema war der Umgang mit dem kulturellen Erbe der deutschen Minderheit in Rumänien nach 1945. Die Tagung war in zwei Sektionen aufgeteilt mit jeweils 24 (!) bzw. 14 Beiträgen. Bei dieser Vielzahl lässt sich wieder einmal feststellen: Ist weniger nicht mehr?
Als Grundlage in Sektion zwei diente der einführende Vortrag des Historikers Dr. Mathias Beer, Jahrgang 1957, Geschäftsführer und stellvertretender Leiter des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen. Ein allzu bekannter Tatbestand: Die deutsche Minderheit hat sich zwischen 1930 – 2011 drastisch verringert, nämlich von 745.000 auf knapp 36.000 anlässlich der letzten Volkszählung 2011.
Den Rumäniendeutschen gelang es nicht, eine zusammengehörige Einheit zu bilden; die verschiedenen Gruppen unterscheiden sich in der Selbstwahrnehmung, da u.a. die kulturellen und wirtschaftlichen Eigenarten prägend waren und sind. Die Migration hat viele Gesichter, wie zum Beispiel 1940: ‚Heim ins Reich’, als die Bukowinadeutschen, die Dobrudschadeutschen, die Siebenbürger- und Banaterdeutschen als Arbeitskräfte angeheuert oder in die SS integriert wurden; die Binnenmigration vom Land in die Stadt, auch die Deportation 1945 der 85.000 Rumäniendeutschen zum Wiederaufbau in die ehemalige UdSSR und die Deportation 1951 in die Bărăgan-Steppe.
Bei der zunehmenden Auswanderung seit Ende der 60er Jahren waren mehrere Akteure beteiligt: die Landsmannschaften unterstützten die Aussiedlung, die Ev. Kirche war gegen den sich abzeichnenden Exodus, die katholische Kirche befürwortete ihn. Bei der Dorf- als auch bei der städtischen Bevölkerung erhöhte die Aussiedlung der Lehrer und Pfarrer den Wunsch nach Auswanderung. In diesem Kontext sollte der beginnende Freikauf der Rumäniendeutschen durch die Bundesregierung seit den 70er-, insbesondere aber seit den 80er Jahren, nicht vergessen werden.
Die zahlreichen Kirchenburgen stellen das materielle Erbe dar, für deren Erhalt sich nicht nur die Heimatsortsgemeinschaften, einsetzen, sondern ebenso die Kirchen und die Landsmannschaften als sogenannte Erbenverwalter. Zu dem immateriellen Erbe zählen die Heimatperiodika: Siebenbürgische Zeitung, Banater Post, außerdem die (noch) kontinuierlichen Besuche in der „alten Heimat”.
Hintergrundinformationen zum Freikauf der Rumäniendeutschen hörten die Teilnehmer von Ernst Meinhardt, ehemaliger Journalist der Deutschen Welle. Im Zeitraum der end-60er Jahre bis 1989 gewann die BRD durch den einsetzenden Freikauf 226.654 Neubürger hinzu, die sich relativ problemlos integrieren konnten, bedingt durch ihre guten Kenntnisse der deutschen Sprache und beruflichen Abschlüsse. 1967 nahmen die BRD und Rumänien – als erstes Land des Ostblocks – diplomatische Beziehungen auf, so dass Bundespräsident Gustav Heinemann anlässlich seines Staatsbesuchs 1967 in Rumänien u. a. auch das „Schicksal der 350.000 Deutschstämmigen im kommunistischen Rumänien“ ansprach. Bereits 1968 beauftragte die Bundesregierung den RA Heinz Günther Hüsch als Verhandlungsführer der BRD mit Rumänien. Auf rumänischer Seite hatte Hüsch im Laufe der Jahre sechs Verhandlungspartner, die alle Angehörige der Securitate waren. Rumänien forderte Ablösebeträge pro ausreisende Person nach Kategorien. 1968-1978 waren dies zwischen 1.700 und 11.000 DM für die Kategorien A, B und C. Unter Kategorie C fielen Akademiker, unter B der ausgebildete Facharbeiter, und A waren die begleitenden Partner/Kinder. Die Höhe der Zahlungen für das sogenannte Kopfgeld wird auf über 1,2 Milliarden DM geschätzt. Die Ausreisewilligen zahlten darüber hinaus Schmiergelder bei den verschiedenen rumänischen Behörden, die an dem Genehmigungsprozess beteiligt waren. Zwischen 1993-2007 gab es seitens der Zeitung Timișoara InternationalBestrebungen, diese Zahlungen aufzudecken, aber die „Schmiergeldzahler„schwiegen aus Angst, Dankbarkeit, schlechtem Gewissen, Strafverfolgung oder auch wegen Streits in der Familie. Sollten Sie als Leser an weiteren Informationen zu diesem Thema interessiert sein, empfehle ich Ihnen das Buch „Kauf von Freiheit, Dr. Heinz-Günther Hüsch im Interview mit Hannelore Baier und Ernst Meinhardt”, 2013 im Honterus Verlag erschienen.
Ein recht pessimistisches Bild zu dem Thema „Was bleibt von der banatdeutschen materiellen Kultur?” vermittelte uns der Historiker Josef Wolf, Jahrgang 1952, mit seinem Beitrag. Die Auswanderungswelle Anfang der 90er Jahre habe den Niedergang der rumäniendeutschen Kultur rasant beschleunigt: den Kirchen fehlen zunehmend die Gläubigen, in zahlreichen Dörfern des Banats leben keine Rumäniendeutschen mehr, die Friedhofskultur gibt es nur noch in größeren Städten des Banats, wie z. B. in Temeswar. Ein Lichtblick stelle die Sanierung, der bedeutenden römisch-katholischen Basilika Maria Radna der Diözese Temeswar dar. Bereits in der sozialistischen Zeit war die Basilika baufällig, so dass im März 2012 ein Vertrag zur Finanzierung des Projekts „Entwicklung des kulturellen Tourismus in der Region West durch die Restaurierung von Kirche und Kloster Maria Radna und deren touristischen Erschließung” unterzeichnet werden konnte. Das 10 Millionen Euro schwere Sanierungsprojekt sah großangelegte Arbeiten vor. Im August 2015 fand die feierliche Segnung der Renovierungsarbeiten statt und gleichzeitig die Eröffnung, die der damalige katholische Bischof Martin Roos vornahm.
Ein weiteres Schwerpunktthema behandelte das „Deutsch nach der Wende in Rumänien” bzw. „Siebenbürgisches Schuldeutsch im Jahr 2019 am Beispiel des Samuel von – Brukenthal -Gymnasiums”.
Dr. Doris Sava, Jahrgang 1971, machte keinen Hehl daraus, dass durch den Massenexodus der Rumäniendeutschen ein „langsamer Abstieg der Germanistik„begonnen habe! Das „Variantenwörterbuch des Deutschen”, erstmals 2004 erschienen, wurde von Sprachwissen- schaftlern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erarbeitet. Die zweite Auflage von 2016 bezieht erstmals Wörter des Rumäniendeutschen ein, so z. B. das „Märzchen„oder „Vinete„. Die Germanistik mit ihren Brüchen, aber auch Kontinuität, habe nach wie vor einen guten Ruf, sollte sich aber öffnen, zumal die Abwanderung der Muttersprachler einen enormen Verlust darstelle – insbesondere mit Blick auf das Lehrerkollegium. Es offenbare sich ein eklatanter Lehrermangel, der unbedingt behoben werden sollte, möglicherweise durch Kompromisslösungen: Germanisten in die Wirtschaft, in die Tourismusbranche.
Andreea Dumitru, die am Brukenthal-Gymnasium die Klassen 7-10 unterrichtet, ergänzte die Ausführungen von Sava mit einem engagierten Beitrag aus dem alltäglichen Unterrichtswesen. Die Sprache am Brukenthal mit seinen 65 Lehrern sei keine Muttersprache mehr.
Die Pausensprache sei rumänisch, und das „Schuldeutsch„wird rumänisch gedacht! Genitiv existiert nicht mehr am Brukenthal!
Roman Hutter (Wien) arbeitet an dem Forschungsprojekt „Oskar Pastior –’Unterschiedenes ist gut‘ – Bausteine einer Biographie“. Daraus trug er einige Schwerpunkte in seinem Beitrag vor. Der Lyriker Oskar Pastior, geb. 1927, verbrachte aufgrund der Deportation vom Januar 1945 bis 1949, harte Arbeitsjahre in der ehem. UdSSR. Nach Rückkehr und Studium, war er von 1960-1968 beim Rumänischen Rundfunk tätig. Im März 1968 erhielt er eine Einladung zur Lesung in Wien, wobei die FORD-Foundation, New York, die Reisekosten übernahm. Zur gleichen Zeit war auch INTERNATIONES, Bonn, an einer Einladung Pastiors zu Leseveranstaltungen in Deutschland interessiert. Es war die Securitate, die Pastior motivierte, die Reise in beide Länder anzutreten! Von dieser Reise kehrte Pastior nicht mehr nach Rumänien zurück und blieb in Deutschland.
In beiden Sektionen waren alle Beiträge ein Gewinn für die Teilnehmer, wobei es den Rahmen dieses Kurzberichtes sprengen würde, alle Vorträge zu beleuchten!
Denn insbesondere die Beiträge der Historikerin Prof. Mariana Hausleitner, Jahrgang 1950, und Dr. Alois Kommer (Neumarkt/Târgu Mureș), erfordern einen gesonderter Bericht, da beide hochinteressante Themen beleuchteten: „Lücken der Geschichtsschreibung. Landsmannschaften und NS-Geschichte der Rumäniendeutschen” bzw. „Die landsmannschaftliche Presse als identitätsstifendes Medium der ausgewanderten Rumäniendeutschen”.
Eine Fortsetzung der Thematik wurde von allen Teilnehmern gewünscht!