„Eine aufschlussreiche Lektüre”

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Aufzeichnungen siebenbürgisch-sächsischer Pfarrer aus der Zeit des Ersten Weltkrieges

Ausgabe Nr. 2604

Bei der Buchvorstellung im Spiegelsaal (v. l. n. r.) kamen die Verlagsleiterin Monica Hriscu, der Historiker Vasile Ciobanu, die Archivistin Liliana Popa, Pfarrer Wolfgang Rehner und Martin Bottesch, der Vorsitzende des Siebenbürgenforums zu Wort.                                
Foto: Beatrice UNGAR

Die Vorstellung des Buches „Neue Zeiten brechen an. Aufzeichnungen siebenbürgisch-sächsischer Pfarrer aus der Zeit des Ersten Weltkriegs“, das Aufzeichnungen aus den Gedenkbüchern von 17 südsiebenbürgischen evangelischen Gemeinden wiedergibt, fand am 24. November, im Spiegelsaal des Hermannstädter Forums statt. Über das im Klausenburger Curs-Verlag veröffentlichte Buch sprachen der Vorsitzende des Siebenbürgenforums, Martin Bottesch, Pfarrer i. R. Wolfgang Rehner und der Historiker Vasile Ciobanu. Die Veranstaltung fand in rumänischer Sprache statt, da zugleich auch die rumänische Fassung des Buches vorgestellt wurde.  Im Folgenden können Sie die von  Pfarrer i. R. Wolfgang Rehner verfasste Vorstellung des Buches lesen.

 

Ein neues Buch ist erschienen, das uns Einblicke in die Geschichte sächsischer Landgemeinden gewährt. Frau Liliana Popa, Archivistin im Staatsarchiv und später im Teutsch-Haus, fand in Gedenkbüchern der Evangelischen Kirche A. B. bemerkenswerte Abschnitte, die sie veröffentlichte. Diese Gedenkbücher wurden von Ortspfarrern zum Gebrauch ihrer Nachfolger im Amt geschrieben und enthalten Nachrichten über wichtige Ereignisse, die das Leben der Gemeinde betreffen, angefangen von Spenden und Stiftungen, über Witterungsverhältnisse und Naturereignisse, Epidemien und Kriegsereignisse bis hin zum Stand der Sittlichkeit und zu Zwistigkeiten innerhalb der Gemeinde. Die Pfarrer wurden angehalten, offen zu sein. Deshalb wurden die Gedenkbücher unter Verschluss gehalten, weil eben auch Dinge darin stehen konnten, die nicht in der Öffentlichkeit besprochen werden sollten. Erst in zweiter Reihe waren diese Bücher auch als chronistische Nachrichten für spätere Generationen gedacht.

Frau Liliana Popa entdeckte, dass in diesen Gedenkbüchern zum Teil wichtige Nachrichten aus der Zeit des Ersten Weltkrieges enthalten sind. Es handelt sich um chronistische Aufzeichnungen, die weniger die diplomatischen und militärischen Aktionen im Blickfeld haben, als das Leben, Denken und Urteilen der Bevölkerung zur Kriegszeit. Der Krieg bringt einerseits edle Regungen hervor, wie Treue zum Vaterland oder Einsatz für Notleidende, andererseits fördert er aber noch viel mehr niedrige Gefühle wie Egoismus, Menschenverachtung und Grausamkeit. Sind die vorliegenden Berichte der Pfarrer auch unterschiedlich durch die persönlichen Vorraussetzungen ihrer Verfasser und durch manche Besonderheiten in der betreffenden Gemeinde, so sind sie doch untereinander ähnlich und es werden einander ähnliche Ereignisse berichtet, die der Leser als Wiederholungen wahrnehmen könnte. Wir haben es aber nicht mit einem Roman zu tun, sondern mit Geschichtsdokumenten, und die Anhäufung ähnlicher Ereignisse beweist, dass diese besser belegt und somit typisch sind. Dennoch können die vorliegenden Texte auch fließend gelesen werden, weil sie gut ausgewählt und zusammengestellt sind und sich streng an die Thematik halten.

Liliana Popa: Neue Zeiten brechen an. Aufzeichnungen siebenbürgisch-sächsischer Pfarrer aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Mit einer Einleitung von Martin Bottesch.Curs-Verlag, Klausenburg 2018. 310 Seiten. ISBN 978-606-94084-8-3

Das Buch enthält kürzere und längere Abschnitte aus den Gedenkbüchern von 17 Landgemeinden im südlichen Siebenbürgen zwischen Rumes bei Broos und Rothbach bei Kronstadt. Jeder Abschnitt kann selbstständig gelesen werden. Wer aber alle liest, gewinnt ein komplexeres und sichereres Bild der Lage in den sächsischen Gemeinden jener Zeit. In allen Ortschaften, denen die Berichte entstammen, war die Bevölkerung gemischt. In einigen hatten die Sachsen die zahlenmäßige Mehrheit, in anderen die Rumänen. Rein rumänische Gemeinden kommen nicht vor, weil sie keine evangelischen Pfarrämter hatten.

Die Problematik, welche die Berichte spiegeln, betrifft in erster Reihe das Leben in der Kriegszeit überhaupt. Daneben erheben sich aber zwei Fragen:

  1. Wie war das Zusammenleben der Sachsen und Rumänen zur Kriegszeit?
  2. Mit welchen Gefühlen erlebten die Sachsen den Übergang vom ungarischen zum rumänischen Staat?

Auf die erste Frage können wir antworten, dass zu Beginn des Krieges die Rumänen wie die Sachsen sich als loyale Bürger Österreich-Ungarns zeigten. Obwohl im Januar und Februar 1914 im Budapester  Parlament sich eine nationalistische Gruppe durchgesetzt hatte, die den Rumänen verschärfte Schwierigkeiten bereiteten, wovon sich auch Sächsische Parlamentarier als mitbetroffen erklärten, folgten Rumänen wie Sachsen ohne Widerspruch dem Ruf zur Mobilmachung, letztere sogar mit sichtbarer Begeisterung. Im August 1916, nach dem Eintritt Rumäniens in den Krieg, änderte sich die Lage verständlicherweise.  Die Rumänen hofften auf die Verwirklichung ihrer Träume vom Anschluss Siebenbürgens an das rumänische Königreich, die Sachsen blieben Österreich-Ungarn treu. Es ist jedoch bemerkenswert, dass es aus diesem Grund auf lokaler Ebene nirgends zu feindlichen Auseinandersetzungen kam. Die Dorfbewohner kannten einander und respektierten sich gegenseitig, auch wenn sie gegensätzlichen Meinungen anhingen.

Betreffend die zweite Frage – Mit welchen Gefühlen erlebten die Sachsen den Übergang vom ungarischen zum rumänischen Staat? – wurde eine gewisse Zurückhaltung in den vorliegenden Texten festgestellt. Es ist bekannt, dass die sächsische Intellektualität, innerhalb derer die Pfarrer weithin führend waren, zu den ersten Vertretern einer Minderheit im neuen Staat gehörten, welche die Entschließung von Karlsburg annahmen. Wenn nun gerade in dieser Frage eine gewisse Zurückhaltung in den von Pfarrern geführten Gedenkbüchern festgestellt wird, so ist sie durch die innersächsische Opposition erklärbar, welche vor allem  von heimgekehrten Kriegsteilnehmern ausging und die Pfarrer beschuldigte, die Sachsen „verkauft“ zu haben. Dieser Anwurf bezog sich auf die Erklärung zur Annahme der Entschließung von Karlsburg durch die sächsische „Nationalversammlung“ in Mediasch am 8. Januar 1919. Die Gefühle der Sachsen in dieser heiklen Frage waren gemischt und auseinanderstrebend. Der Schritt von einem Vaterland zum andern fiel der Generation meiner Großeltern nicht leicht, doch fügte man sich den Beschlüssen von Mediasch und anerkannte das neue Großrumänien als Vaterland. Als Kostprobe für diese Zeit des Überganges folgen hier einige Sätze aus dem Gedenkbuch von Stolzenburg, Eintragung des Pfarrers Julius Hann von Hannenheim: „Sonntag 8. Dezember [1918] ½ 10 Uhr vormittags wurde der Pfarrer durch den Kommandanten der hiesigen romänischen Garde, Fähnrich Ghişoiu … in einem höflichen, deutsch geschriebenen Briefe aufgefordert, um 10 Uhr an der Feier der Erklärung des Anschlusses auch unserer Gemeinde an Groß-Rumänien teilzunehmen … die Abhaltung des Gottesdienstes konnte dem ordinierten Lehrer übergeben werden. Gegen 11 Uhr rückte die romänische Garde, gefolgt von vielem Volke, unter Führung ihrer Pfarrer vor das Gemeindehaus. Hier wurde gleich nach der sächsischen Nationalfahne gefragt, und da keine solche vorhanden war, wurde eine mit blauroten Bändern geschmückte Kirchenfahne herbeigeholt und im Beisein der Pfarrer der beiden Nationen und einiger Gardisten durch die eine Dachluke des Gemeindehauses heraus gesteckt, während die romänische Fahne durch die andere gehisst wurde.“ Nachdem die rumänische und die sächsische Garde zusammen drei Ehrensalven abgefeuert hatten, hielt der orthodoxe Pfarrer eine feurige Ansprache. Ihm folgte der evangelische Pfarrer, der deutsch sprach und unter anderem ausführte: „Man hat uns die Freiheit von Kirche und Schule, von Glauben und Sprache in Sitte und öffentlichem Leben zugesagt. So wollen wir denn freudig in die uns dargebotene Bruderhand einschlagen und … ausrufen: Und um alle deine Söhne schlinge sich der Eintracht Band.“ Zuletzt sprach der griechisch-katholische Pfarrer, der wie auch der evangelische Pfarrer im Ornat erschienen war. „Die Reden wurden durch schöne Gesänge der Romänen und Sachsen umrahmt. Die letzteren sangen: Siebenbürgen, Land des Segens und: Ich bin ein Sachs, ich sag’s mit Stolz. Damit ging alles würdig und in Eintracht nach Hause.“

Im Gedenkbuch von Rumes findet sich die Eintragung von Pfarrer Dr. Albert Amlacher, in der es unter anderem heißt: „In der Stimmung des sächsischen Volkes vollzieht sich allmählich ein Umschwung; man sieht den Tatsachen ins Auge und handelt danach. Am 8. Januar [1919] tritt die sächsische Nationalversammlung in Mediasch zusammen und spricht, nach eingehender Erwägung, den Beschluss aus, dass das siebenbürgisch-sächsische Volk sich an das Königreich Großrumänien anschließe. Es ist dies eine Entscheidung von geschichtlicher Tragweite, wie sie seit den Tagen der Einwanderung nicht gefasst wurde. Wir trennen uns ohne Hass vom zertrümmerten Ungarn und werden in Treue unsere Pflicht in den neuen Verhältnissen erfüllen.“

Liliana Popa: Sașii la răscruce de vremi. Însemnări ale unor preoți sași din Transilvania din vremea Primului Război Mondial. Einleitende Studie von Ioan-Niculae Popa, rumänische Fassung: Liliana Popa und Monica Hriscu Curs-Verlag, Klausenburg 2018. 314 Seiten. ISBN 978-606-94084-9-0

Zuletzt sei auch hier ein Dank an Frau Liliana Popa ausgesprochen, welche die schwierige Arbeit nicht gescheut hat, die gotischen Handschriften zu entziffern und umzuschreiben, dazu die entsprechenden Abschnitte fachmännisch auszuwählen und zusammenzustellen. Der Dank gilt auch Herrn Martin Bottesch, der ihre Arbeit begleitet und eine vorzügliche Einleitung zu dem Band geschrieben hat, in der er die wesentlichen Inhalte der vorgelegten Texte zusammenfasst. Er sorgte auch dafür, dass die Namen von Personen, die nicht im besten Licht erscheinen, unkenntlich gemacht wurden. Um eine breitere Leserschaft zu erreichen, erschien das Buch auch in rumänischer Sprache, was eine zusätzliche, nicht zu unterschätzende Arbeit bedeutete. Die Einleitung zur rumänischen Fassung schrieb Herr Ioan-Niculae Popa.

Das neu erschienene Buch ist für Forscher eine herausragende Quellensammlung, zugleich aber auch für jeden, den Siebenbürgens Vergangenheit interessiert, eine aufschlussreiche Lektüre!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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