Die „Insel der Hoffnung“ in Schellenberg
Ausgabe Nr. 2580
1 Jahr, 2 Jahre, sieben, zehn, vierzehn, fünfzehn Jahre – Abstinenz, erzählen die einen. Eine andere sagt, sie peile keine Jahre an, sie zähle auch nicht die vergangenen, sondern für sie heiße es jeden einzelnen Tag: „Diesen Tag will ich abstinent überstehen.“ Es sind die Zeugnisse jener Frauen, die als gewesene Patientinnen beim Jahresfest der „Insel der Hoffnung“, einem Rehazentrum für suchtkranke Frauen, zu Besuch sind. Es sind Arbeiterinnen, Ärztinnen, Notarinnen, Richterinnen, Kellnerinnen, Bäuerinnen… Es sind kaum großjährig Gewordene, 30-, 40-, über 70-jährige… Die Sucht macht vor keinem Beruf und vor keinem Alter Halt.
In diesem Jahr fand das Fest im Rehazentrum von Schellenberg am 19. Mai statt, bei schönstem Wetter mit großer Beteiligung. Die „Ehemaligen“ kommen Jahr für Jahr aus allen Ecken des Landes, aus Zalău, Bistritz, Bukarest, Kronstadt, Constanța, Tulcea u.a. dazu, einerseits um den jetzigen Patientinnen Mut zu machen, andererseits um neue Kraft zu tanken, ihre Netzwerke zu stärken. Seit der Einrichtung des Zentrums im Jahre 1997, haben schon etwa 200 Frauen hier die 2-4 Monate dauernde Therapie gemacht. Jeder Sieg über die Alltagsdroge Alkohol oder andere Drogen wiegt schwer, gemessen am Therapiebedarf ist es jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und der Kampf gegen ein Suchtmittel, bei den meisten Alkohol, aber auch Medikamente oder harte Drogen, ist ein lebenslanger Kampf. Es gibt keine Heilung, nur Abstinenz. Das musste auch ein junger Mann erkennen, der nach acht Jahren erfolgreicher Abstinenz aus Übermut ein Glas „alkoholfreies“ Bier probierte und dann ein Glas Wein, und dann…. Es gibt nämlich seit 1993 auch ein Rehazentrum für Männer in Kleinscheuern bei Hermannstadt, beide betrieben vom rumänischen Blau-Kreuz-Verein. Seit einigen Jahren besuchen sich die Patienten samt ihren Psychologen zu den Jahresfesten gegenseitig. Es macht Mut, zu sehen, dass auch das andere Geschlecht die gleichen Probleme hat, die gleichen Kämpfe ausficht, Sieger und Verlierer aufweist. Denn leider verlieren manche den Kampf.
In diesem Jahr gab es im Anschluss an den ersten Teil der Veranstaltung mit Berichten über Ab- und Neuzugänge beim Personal und den Berichten der Patientinnen außer den üblichen Krenwürsteln auch eine riesige Torte, gespendet von vier Frauen, die 10 Jahre Abstinenz mit den anderen feiern wollten. Allerdings erzählten sie, zehn in der Therapiegruppe gewesen zu sein. Weitere zwei waren berufsmäßig verhindert zu kommen, die anderen vier – rückfällig geworden und inzwischen verstorben. Die Veteranin mit 15 Jahren Abstinenz erzählte, dass sie bei über 1 Liter Wodka pro Tag angekommen war, als sie endlich den Absprung schaffte. Doch hat sie das ihre Familie gekostet, Scheidung vor 20 Jahren, die eine Tochter will bis heute keinerlei Kontakt mit der Mutter, die andere erlaubt ihr seit einigen Jahren zumindest Anrufe. Eine der „Zehnjährigen“ wiederum erzählt glücklich, dass sie und ihr Ex-Mann wieder geheiratet haben und auch die Kinder froh sind, sie wieder bei sich zu haben, trotz der Jahre der Sucht, in denen sie ihre Familie total ignoriert hatte, weil nur der nächste Schluck Alkohol zählte.
Da die langjährige Ergotherapeutin, Frau Eva Mosoiu in Rente gegangen ist, wurde ihre Stelle im Januar des Jahres von Aurora Lupu übernommen, deren Mann schon eine Weile die gleiche Arbeit im Haus Nazareth im Männer-Rehazentrum leistet. Das Besondere daran ist, dass Herr Lupu einer der ersten Patienten des Hauses war und zusammen mit seiner Frau diese Zeit als ihrer beiden wahre Geburtsstunde betrachtet. Seit 20 Jahren bringen sich beide, wo sie können, ein, ab diesem Jahr nun auch hauptamtlich. Auch ist der Psychologe Alexandru Leșcău nach einem mehr als zweijährigen Aufenthalt in England, wo er ebenfalls in der Suchttherapie gearbeitet hat, wieder in der „Insel der Hoffnung” tätig.
An diesem Tag konzentriert sich unermesslich viel Kraft und Mut und Durchhaltevermögen und Empathie auf den paar Quadratmetern des Hauses in Schellenberg – wahrlich eine Insel der Hoffnung und eine Kraftquelle.
Man kann nur hoffen, dass die Menschen endlich begreifen, dass Alkoholabhängigkeit kein Kavaliersdelikt, sondern eine schwere Krankheit ist, die den Einzelnen langfristig physisch und psychisch zerstört, aber auch seine Familie, sein ganzes Umfeld nachhaltig negativ beeinflusst. Dass es keine Schande ist, Hilfe zu suchen, sondern ein Zeichen des Muts und der Hoffnung.
Eine der ehemaligen Patientinnen hat im vorigen Jahr einen beeindruckenden, Mut machenden offenen Brief an ihre noch leidenden Suchtgenossinnen geschrieben (http://www.depen denta.org/draga-prietena/) Geplant sind für nächstes Jahr auch Audio- und Videoaufnahmen, die dann gesendet werden sollen. Denn leider wissen immer noch viel zu wenige von der Therapiemöglichkeit in Schellenberg.
Sunhild GALTER