Rumänische Premiere mit Arthur Millers „Ein Blick von der Brücke“ am RST Ausgabe Nr. 2574
Flucht, Migration und Integration sind immer aktuelle Themen. So auch im neuesten Theaterstück am Radu Stanca-Nationaltheater, einer Adaption des Zweiakters von Arthur Miller „Ein Blick von der Brücke“ (Originaltitel: A View from the Bridge, 1955), das in der rumänischer Fassung „Vedere de pe pod“ heißt. Die Vorpremiere fand am Freitag, dem 13. April, die Premiere einen Tag später, am 14. April, statt. Regie führte der in Frankreich lebende Temeswarer Eugen Jebeleanu, der für Hermannstädter Theatergänger kein unbekannter Regisseur ist. 2016 inszenierte er am Gong-Theater für Kinder und Jugendliche „Alice“ von Lewis Carroll in der Adaption von Yann Verburgh und 2017 am Radu Stanca-Nationaltheater sein eigenes Stück, „Familii“.
Mit Arthur Millers Theaterstück gelingt Eugen Jebeleanu die vierte erfolgreiche Kollaboration mit einem Hermannstädter Theater. In Millers Werk reist der Leser 60 Jahre zurück, zur Zeit der Einwanderung sizilianischer Migranten nach Amerika. Eddie Carbone hat sich mit seiner Frau Beatrice und seiner Nichte Catherine im Schatten der Brooklyn Bridge niedergelassen. Als zwei sizilianische Cousins seiner Frau auftauchen, die illegal nach New York gekommen sind, um in Amerika Geld für die hungernde Familie in Italien zu verdienen, gewährt er den beiden Unterschlupf. Als Catherine sich in einen der jungen Immigranten verliebt und ihn heiraten will, bricht Eddies Welt zusammen. Auch er hat Catherine gegenüber mehr als nur väterliche Gefühle. Von Eifersucht und Verzweiflung getrieben, denunziert er die beiden illegal eingewanderten Brüder bei der Einwanderungsbehörde und bricht damit das ungeschriebene Gesetz des Viertels. Rodolpho darf zwar wegen seiner beabsichtigten Hochzeit bleiben, aber Marco muss zurück. Als er auf Kaution freigelassen wird, beschuldigt er Eddie öffentlich des Verrats. Eddie zieht ein Messer und es kommt zum Kampf, an dessen Ende er mit seinem eigenen Messer in der Brust stirbt.
Miller verknüpft geschickt eine hochdramatische Eifersuchtsgeschichte mit dem Schicksal zweier junger Einwanderer, die mit großen Erwartungen den Weg über den Atlantik angetreten haben und die bittere Erfahrung machen, dass sie als Illegale nicht nur die Behörden fürchten müssen, sondern dass im Grunde schon kleine private Konflikte ausreichen, um ihre fragile Existenz zu zerstören.
So ganz anders als im Buch, in dem die düstere Atmosphäre der New Yorker Docks beschrieben wird, zeigt sich das Bühnenbild von Velica Panduru eher hell und freundlich. Ciprian Scurtea steht als Eddie fast immer im Mittelpunkt des Geschehens. Er hat das letzte Wort, wenn es um Familienentscheidungen, wie die Anstellung seiner Nichte als Sekretärin, geht. Das alles ändert sich mit der Ankunft von Rodolpho und Marco. Der junge Rodolpho wird von dem talentierten Schauspielstudenten Andrei Gîlcescu gespielt, der schon in anderen Theaterstücken wie „Papierflugzeuge“ von Elise Wilk, das Publikum begeistern konnte. Ihm gelingt auch diesmal eine Meisterleistung, man wird sicher in Zukunft noch vieles von ihm sehen. Etwas blass und unscheinbar hingegen erscheint die junge Catherine, gespielt von Simona Negrilă. Viel überzeugender kommt Raluca Iani als Beatrice herüber. Doch alle schauspielerische Leistung wird von der Performance von Ciprian Scurtea als Eddie überschattet. Er mag oft als übertrieben laut und aggressiv scheinen und zum Schluss auch ekelhaft, als er vor Wut wie ein Hund Schaum vor dem Mund hat. Er steigert sich in seiner Eifersucht und Verzweiflung in einen Nervenzusammenbruch. Eddie wird vom edlen Retter zum Verräter. Das Publikum war von seiner Interpretation begeistert und klatschte lauter Applaus als bei den anderen Schauspielern.
In der vorangehenden Pressekonferenz kündigte Regisseur Eugen Jebeleanu eine Migrationsgeschichte an. Hauptthemen waren allerdings die Leidenschaft, die zum Verrat und zur Verrücktheit führt. Die Geschichte der verbotenen Liebe des Onkels für seine Nichte. Das Hauptaugenmerk des Zuschauers konzentriert sich auf die menschlichen Beziehungen und weniger auf die sozialen Belange und Integrationsschwierigkeiten der sizilianischen Migranten. „Vedere de pe pod“ ist eine Tragödie mit grotesken Zügen, die zwar schwer zu verdauen ist, aber schon wegen der hervorragenden schauspielerischen Leistung von Ciprian Scurtea sehenswert ist.
Cynthia PINTER