Zur Anthologie „Aus der Ethnologie der Deutschen in Rumänien”
Ausgabe Nr. 2573
Der zweisprachige Band „Aus der Ethnologie der Deutschen in Rumänien” (Honterus Verlag, 2017) ist von seinen Herausgebern – dem Ethnologen und Hochschulprofessor Ilie Moise und seiner jungen Kollegin Andreea Buzaș – Professor Dr. Paul Niedermaier, korrespondierendes Mitglied der Rumänischen Akademie und Leiter des Forschungsinstitutes für Geisteswissenschaften in Hermannstadt, zum 80. Geburtstag gewidmet. Die 554 Seiten des Buches umfassen Beiträge zur volkstümlichen Kultur der Siebenbürger Sachsen und Landler von insgesamt 29 Forschern und Museologen. Alle Texte liegen in einer einwandfreien Übersetzung vor, hauptsächlich wird der vollständige deutsche Beitrag mit rumänischer Übersetzung oder mit einer Kurzfassung in rumänischer Sprache veröffentlicht. Dadurch wird das Buch einem großen Leserkreis zugänglich. Das angebotene komplette und sogleich komplexe Bild dieser Ethnologieforschung wurde auch durch den qualitativen Druck des Honterusverlags, sowie durch die finanzielle Unterstützung des Departements für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Rumänischen Regierung durch das Demokratische Forum der Deutschen möglich gemacht.
Im Vorwort hebt Professor Ilie Moise hervor, dass alle Ethnologen, die in der Anthologie vetreten sind, Mitarbeiter des Periodikums Studii și comunicări de etnologie(Ethnologische Studien und Mitteilungen) sind oder waren. Das Periodikum der Rumänischen Akademie, herausgegeben von dem Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften Hermannstadt, veröffentlichte vor knapp vier Jahrzehnten seinen ersten Band. Seither hat sich die Zahl der Mitarbeiter der Sektion „Aus der Ethnologie der Deutschen in Rumänien“ vervielfacht, so dass Ihre Zahl fast der Anzahl der bisher gedruckten Ausgaben entspricht.
Die Kurzpräsentationen der Autoren bestätigen deren Angehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen: die ältesten von ihnen sind im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts oder Anfang des 20. Jahrhunderts geboren (Erhard Antoni, Trude Schullerus, Karl Wilhelm Fisi, Roswith Capesius) und die jüngsten in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts (Andreea Buzaș, Andrea Bargan oder Simona Maria Malearov). Darunter sind bekannte Vertreter der deutschen Kultur (Roswith Capesius, Herbert Hoffmann, Horst Klusch, Michael Orend, Paul Niedermaier) oder Spitzenforscher des Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften in Hermannstadt (Anca Goția, Sigrid Haldenwang, Gudrun-Liane Ittu und Ilie Moise). Einige der Autorinnen und Autoren sind den Hermannstädtern durch ihr Wirken in anderen Bereichen bekannt. Es ist der Fall des Historikers Vasile Ciobanu und der Lehrer an der Brukenthalschule, Martin Bottesch und Inge Sommer. Es ist auch zu bemerken, dass sowohl die deutschen Traditionen, als auch die rumänische Folklore nicht nur von Forschern aus dem Inland erforscht worden sind, sondern auch von solchen, die dadurch im Ausland berühmt wurden, wie die Ethnologen Ion Taloș, Irmgard Sedler und Helga Stein.
Die Auslese der Texte erfolgte auf Grund der wissenschaftlichen Qualität der Beiträge und berücksichtigt die repräsentativen Bereiche der traditionellen Kultur der Deutschen in Rumänien: volkstümliche Architektur, volkstümliches Kunsthandwerk, Beschäftigungen, immaterielles Kulturerbe. Keiner der Texte wiederholt sich in der Thematik oder in der Betrachtungsweise, da die Beiträge von der Volkstracht und der traditionellen Keramik bis hin zu spezifischen Bräuchen der Siebenbürger Sachsen in Südsiebenbürgen reichen, wie z. B. das Gansabreiten, das Kronenfest, der Katharinenball oder der Blumentag. Die einzelnen Beiträge bergen kostbare volkstümliche Schätze, wie das Ritual des Todaustragens oder Todaustreibens in den Dörfern in Südsiebenbürgen, aus dem sogenannten „Krautwinkel” (in Tarteln, Braller, Gürteln und Martinsberg, S. 14), die Wetterzauberei aus der rumänischen Folklore (erklärt von Julius Teutsch, S. 27) oder die praktischen Hinweise zur siebenbürgischen Möbelmalerei (S. 121).
Es gibt Berichte über Hochzeitsbräuche und Weihnachtsbräuche, über sprachliche Besonderheiten in rechtlichen Vereinbarungen, über Sprichwörter und Redensarten, als auch über Sagen, Glaubensfragen oder über Volkstheater. Die Aufzählung lässt auch einen für die volkstümliche Kultur spezifischen Synkretismus erkennen, da in den lyrischen, epischen oder dramatischen Volkstexten sowohl biblische Gestalten wie Herodes, Gott, Maria und Josef (S. 357), als auch dämonische Gestalten wie der Prikulitsch (S. 517) auftreten.
Viele der Studien erweisen sich, zumindest für Laien, als Besonderheiten, zum Beispiel der Text von Simona Malearov über „Die Almerei – ein wenig bekanntes Möbelstück der Siebenbürger Sachsen”(S. 342) oder der über den Natterbaum (S. 316). Aus diesem Beitrag über Volksglauben und Aberglauben von Horst Klusch, geht hervor, dass der Natterbaum, der auch im Kunsthistorischen Museum aus Wien ausgestellt ist und im Mittelalter eine Schutzfunktion hatte, da er vor allem vor giftigen Getränken oder Speisen schützen sollte, nicht nur auf Malta, sondern auch bei Hermannstadt (Turnu Roșu-Porcești) aus Haifischzähnen hergestellt wurde. Mit dem Unterschied, dass hier die Haifischzähne 40 Millionen Jahre alt waren und zu den erhaltenen Alttertiärformationen gehörten. Die versteinerten Haifischzähne aus dem Naturschutzgebiet von Turnu Roșu sind so gut erhalten, dass sie den Eindruck erwecken, als ob sie aus unserer Zeit stammen (S. 322).
Andere Beiträge umfassen weitere wichtige Angaben zur kulturellen und geschichtlichen Entwicklung der Region. So hält eine dem Gedenkbuch der evangelischen Kirchengemeinde von Großpold entnommene Statistik fest, dass im Jahre 1942 hier 1825 Deutsche, 433 Rumänen und 604 Zigeuner lebten, eine Situation, die in Anbetracht der stark sinkenden Zahlen der Deutschen nach der Wende heute kaum nachzuvollziehen ist (siehe Martin Bottesch: „Zur Landwirtschaft in Großpold zwischen den beiden Weltkriegen“).
Die ausgewählten Texte geben auch den früheren Glanz vieler Dörfer wieder, wie Deutschweißkirch, Tarteln, Scholten, Petersdorf oder der Ortschaften aus dem Harbachtal. Diese Blütezeit kann man aber auch heute noch aus den hinterlassenen Spuren ablesen. So lernt der Leser von einem Architekten, und zwar von Paul Niedermaier, wie sich der Weinbau in der Architektur widerspiegelt. In den Regionen, in denen der Wein besser und teurer war, konnte man auch schönere Gebäude bauen, so wie in Birthälm. Im Allgemeinen ermöglichte der Weinbau die Errichtung der wertvollsten gotischen Kirchen im ländlichen Raum (Paul Niedermaier: „Widerspiegelung des Weinbaues in der Architektur”, S. 422).
Einige Beiträge sind hiesigen Ethnologen gewidmet. Erwähnenswert ist der ausführliche Bericht von Rolf Brednich und Ion Taloș, aus dem der Leser erfährt, dass eine der ersten rumänischen Märchensammlung in Siebenbürgen von Pauline Schullerus veröffentlicht wurde. Pauline Schullerus, geboren im Jahre 1858, hatte eine besondere Vorliebe für Naturkunde und Botanik, sprach fließend Lateinisch und Griechisch und hatte den Wunsch, das Abitur zu erlangen. Auch wenn sie in jener Zeit, die Genehmigung, diese Prüfung abzulegen, offenbar nicht erhalten hat, gelang es ihr jedoch, unter anderem, 12 Werke zur Volksbotanik zu veröffentlichen.
Unter einer diakronischen Betrachtung sind die Beschäftigungen der Wissenschaftler von früher mit denen von heute zu vergleichen und scheinen sie sogar in manchen Hinsichten zu übertreffen. Ein solches Beispiel ist in den überlieferten Informationen von Vasile Ciobanu zu finden hinsichtlich des Hermannstädter Ferienhochschulkurses für deutsche Volkskunde aus dem Jahre 1926 (S. 140). Ähnlich wie die heute so modernen Sommerschulen oder Sommerakademien wurde 1926 ein Ferienhochschulkurs in Hermannstadt vom Kulturamt der Deutschen in Rumänien mit einem reichlichen Veranstaltungsprogramm organisiert, da viele renommierte Wissenschaftler aus dem Ausland der Einladung nach Hermannstadt gefolgt waren.
Eine der gründlichsten Untersuchungen zu den Zünften in Siebenbürgen im europäischen Umfeld bietet die Studie von Herbert Hoffmann mit dem Titel „Von der Steinmetzbruderschaft zum Freimaurerbund – eine kaum bekannte Seite siebenbürgischen Zunftbrauchtums”(S. 264). Dieser Artikel, wie auch die Forschungen, die über die bis heute erhaltenen Bräuche berichten, sind Beweise der Bindung Siebenbürgens an Europa durch ähnliche Traditionen. Dazu gehören die Forschungsbeiträge zum Urzelnlauf in Agnetheln (S. 307) und zum Exodus Hamelensis(S. 326), wobei der letztgenannte Text in einem Mischton zwischen Geschichte und Sage berichtet.
Andere Traditionen aus Siebenbürgen, wie z. B. die Nachbarschaften sind, im Gegenteil, einzigartig in Europa. Nach Karla Roșca sind die Nachbarschaften der Siebenbürger Sachsen die einzigen „relativ reinen, ab 1498 belegten, bis in die Neuzeit hinein lebendigen Formen lokaler Gruppen in Europa, die nie feudalisiert waren” (siehe: Karla Roșca/Horst Klusch: „Zunft- und Nachbarschaftskannen aus Siebenbürgen”, S. 451).
Es lässt sich sagen, dass die ausgewählten Texte des Bandes „Aus der Ethnologie der Deutschen in Rumänien“ nicht nur über Beschäftigungen, Bräuche und Traditionen von früher erzählen, sondern auch das Verstehen dieses reichen Kulturerbes vermitteln, so dass die Leser des Buches die Häuser, die Trachten und sogar die Bewohner aus den sächsischen Dörfern aus Siebenbürgen mit anderen Augen betrachten werden.
Ioana-Narcisa CREȚU