Den Cognac-Streich werde ich nie vergessen

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Ein Leben auf der Bühne: Renate Müller-Nica im Gespräch
Ausgabe Nr. 2564

 

Renate Müller-Nica bei sich zu Hause, in der Friedenfelsgasse.
Foto: Cynthia PINTER

Sie ist die Grande Dame des Hermannstädter „Radu Stanca“-Theaters. Renate Müller-Nica wurde am 1. September 1953 in Hermannstadt geboren und arbeitet seit 1982 am Theater, was sie zur Dienstältesten macht. Sie war Gründungsmitglied und Geschäftsführerin der Deutsch-Rumänischen Kulturstiftung und Leiterin der Deutschen Abteilung des „Radu Stanca“-Theaters. Die meisten Hermannstädter kennen sie allerdings als die Seele des deutschsprachigen Theaters in Hermannstadt. Ihre Leidenschaft gab sie an ihren Sohn Radu-Alexandru Nica weiter, der als Regisseur erfolgreich tätig ist. Sie steht immer noch gerne auf der Bühne und wird Anfang März im Theaterstück „R.U.R.“ von Karel Čapek zu sehen sein.

Was Theater und die Schauspielkunst für sie bedeuten, darüber sprach Renate Müller-Nica mit der HZ-Redakteurin Cynthia P i n t e r.  

 

Mit Wolfgang Ernst in Fernando Arrabals „Picknick im Felde“ (1999).

Welche sind Ihre ersten Erinnerungen vom Theater?

Die ersten Erinnerungen sind eigentlich vom Gong-Theater, denn damals hat es zum Hermannstädter Staatstheater gehört. Ich war 6 Jahre alt und zu Besuch bei Olga Muțiu, einer sehr begabten Bühnenbildnerin. Als Kind hab ich ihr zugesehen, wie Max und Moritz als Marionetten entstanden sind. Das war für mich faszinierend. Aber meine allererste Erinnerung war, dass mich mein Papa in den jetzigen Thaliasaal, damals Clubul Independența, zu einer Opernaufführung von „La Bohème“ geführt hat. Da war ich etwa 5 Jahre alt. Alle Freunde meines Vaters sagten: „Müller, du bist verrückt. Was soll ein so kleines Kind davon verstehen“. Er antwortete nur: „Eben, das will ich ja sehen“. Nach der Aufführung fragte ich meinen Papa: „Wie kann die Tante so gut singen, wenn sie doch todkrank ist?“ Ich hatte also verstanden, worum es ging und mein Papa war sehr stolz auf mich. Auch sonst war ich sehr oft im großen Theater, weil mein Vater Verwaltungsdirektor war und ich meine Nachmittage nach der Schule hier verbrachte. Meinem Vater habe ich alles zu verdanken, er hat kulturell meinen Horizont erweitert. Er war übrigens auch der erste, der das Staatstheater „Radu Stanca“ nennen wollte, konnte es aber leider während seiner Amtszeit im kommunistischen Rumänien nicht durchsetzen.

Wollten Sie schon immer Schauspielerin werden? Seit wann sind Sie am Radu Stanca-Theater tätig?

Ich bin seit 1982 am Theater angestellt. Schauspielerin wollte ich schon seit der Kindheit werden. Wir haben auch schon als Kinder auf der Straße Theater gespielt. Kein Erwachsener hat uns dabei geholfen. Der Teppichklopfer hat zwei Decken bekommen, das war dann der Vorhang. Wir stellten Stühle auf. Wir probten die Stücke vorher auch. Einer sang, der andere tanzte, jeder bekam eine Rolle zugeteilt. Wir haben sogar Geld für den Eintritt verlangt: 15 Bani die Kinder und 25 Bani die Erwachsenen. Von dem Geld haben wir Lebensmittel gekauft, gekocht und gemeinsam gegessen. Wir hatten eine wunderschöne Kindheit. Schon damals wusste ich, dass ich Schauspielerin werden will.

Welche Eigenschaften sollte ein guter Schauspieler haben?

Diszipliniert müsste er sein. Das gehört zum Beruf. Er müsste viel oder mehr lesen, je nachdem. Sehr flexibel sollte ein Schauspieler auch sein, denn man weiß nie, wie sich das Programm ändert und wie verschiedenartig die Rollen sind. Und an erster Stelle steht natürlich die Kreativität. Sonst kann man nicht Schauspieler werden.

Kann man den Schauspielerberuf erlernen, oder ist angeborenes Talent ein Muss?

Angeborenes Talent ist wichtig, aber ohne Fleiß geht es nicht. Es gibt sehr begabte Schauspieler mit großartigen Voraussetzungen, die es nicht zu Ruhm bringen, weil sie zu schnell mit sich zufrieden sind und nicht mehr weiter an sich arbeiten.

 

Portrait aus dem Theaterstück „Herbstschnee“ von Yukio Mishima (1996).

Haben Sie nach so vielen Jahren auf der Bühne immer noch Lampenfieber?

Oh ja! Und was für eines! Vor meinen Auftritten, aber noch mehr, wenn ich zu den Stücken meines Sohnes gehe. Ich weiß dann nie, was mir bevorsteht. Alle glauben, ich wüsste Bescheid. Ich hab keine Ahnung. Sogar wenn ich in die Schulen gehe, um den Kindern Märchen und Fabeln vorzulesen, habe ich Lampenfieber. Es dauert, bis man das Publikum spürt, ob es interessiert ist und sich nicht langweilt. Es ist sehr wichtig, ob dich das Publikum mag und ob die Atmosphäre angenehm ist. Vor meinen Auftritten praktiziere ich Qigong, das ist das sogenannte chinesische Yoga. In der Jugend habe ich Yoga praktiziert, jetzt geht das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. Ich bete auch immer ein Vaterunser vor jedem Auftritt, auch wenn ich nur eine kleine Rolle im zweiten Akt besetze.

Wie hat sich das Publikum der deutschen Abteilung nach 1990 verändert?

Es ist natürlich weniger Publikum da. Zu uns kommen viele Leute, die in den verschiedenen deutschen Unternehmen arbeiten.

Mir ist aufgefallen, dass es zwei Sorten von Theatergängern gibt. Es gibt ein Premierenpublikum, das ist etwas sachlicher und ernster. Und es gibt den Rest des Publikums, das können Schüler oder Studenten sein, die man auch von der Bühne aus hört. Sie sind viel lockerer und das ist auch richtig so. Was mich befremdet, ist, dass sehr viele Hermannstädter nicht wissen, dass sie zu den deutschen Aufführungen kommen können, weil alles untertitelt oder via Kopfhörer ins Rumänische übersetzt wird. Es steht zwar auf allen Plakaten, die meisten wissen das aber trotzdem nicht.

Was sich sonst noch verändert hat, ist die Häufigkeit der Auftritte in der Umgebung von Hermannstadt. Vor 1990 hatten wir während der Woche immer die naheliegenden Städte bespielt: Mediasch, Heltau, Schäßburg und Agnetheln. Am Wochenende auch die umliegenden Dörfer. Das wird jetzt alles nicht mehr gemacht.

Wie fühlt es sich an, applaudiert zu werden?

Das ist unbezahlbar. Das ist auch der Grund, weswegen ich im Theater geblieben bin. Das ist der Dank des Publikums. Was ich aber nicht korrekt finde, sind die Standing Ovations für alles. Ich gebe Stehapplaus wirklich nur, wenn mir das Stück außerordentlich gut gefallen hat. In Deutschland zum Beispiel hält man sich auch daran. Hierzulande weiß man als Schauspieler nie, ob es dem Publikum wirklich gefallen hat, weil alle immer aufstehen. Es ist ja keine Schande, wenn es dem Zuschauer nicht gefällt. Aber man merkt es schon, ob die Menschen spontan aufspringen, oder weil der Nachbar links und rechts aufgestanden ist.

Welche war DIE Rolle Ihres Lebens?

Die Rolle der Claire Zachanassian in dem Stück „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt. Leider war das Stück mit sehr viel Pech verbunden. Drei meiner Kollegen hatten einen Autounfall, und wir haben das Stück nachher nicht mehr gespielt. Ich wollte das den Schauspielkollegen nicht antun, dass man sie einfach ersetzt. Es war eine schlimme, traurige Sache.

 

Der Besuch der alten Dame: In der Rolle der Claire Zachanassian (links) feierte Renate Müller-Nica zusammen mit den Kollegen Georg Potzolli und Monika Dandlinger im Jahr 2004 einen großen Erfolg.

Können Sie sich an eine Panne erinnern, die Ihnen auf der Bühne passiert ist?

Es waren mehrere. Eine traurige Panne hatte ich als Titania in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Wir standen ziemlich nahe am Publikum und ich glaube an die Übertragung von Energien. Auf einmal spürte ich einen Schmerz, wie ein Messerstich in der Magengegend. Ich musste mich plötzlich bücken. Ich kann nicht erklären, warum. Und das mitten in meiner Tirade. Aber dann hab ich eine große Geste mit dem Arm gemacht, so dass ich wieder in die aufrechte Position gelangte. Das war schlimm. Eine Sekunde fühlte sich damals wie Stunden an.

Eine lustige Panne ereignete sich bei einem Auftritt mit dem Stück „Verrückte Ferien in New York“, in der Regie von Wolfgang Ernst, im Jahr 1990. Damals gehörte es zu meiner Rolle, dass ich Cognac trinken musste. Normalerweise wird Alkohol im Theater immer mit Tee ersetzt. Jenes Mal haben mir aber die Kollegen einen Streich gespielt und mir heimlich echten Cognac eingeschenkt. Ich dachte, die Augen fallen mir raus.

In welchem Theaterstück würden Sie gerne eine Rolle besetzen?

Die Autoren sind mir wichtig. In einem Stück von Henrik Ibsen würde ich auf jeden Fall spielen. Aber eigentlich würde ich fast alles spielen. Ich bin kein Mensch, der zu Hause hocken will. Ich möchte so oft es geht, auf der Bühne stehen. Tennessee Williams würde mir auch sehr gut gefallen. Allgemein haben die amerikanischen Autoren der 1930er Rollen geschrieben, die bühnenmäßig etwas bieten.

Wer sind Ihre Lieblingsschauspieler?

Aus der Filmwelt definitiv Meryl Streep, sowie Jeremy Irons und Al Pacino. Aus der Theaterwelt wird keiner wie Richard Burton sein. Es sind so viele gute Schauspieler, aber nur wenige haben eine Chance.

Was sind Ihre Lieblingsbeschäftigungen in der Freizeit?

Jazz, Lesen, Qigong und ich würde viel mehr reisen wollen, kann es aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so oft tun.

Was ist Ihr Lebensmotto?

Carpe diem. Nachdem ich zwei Mal dem Tod entkommen bin, lernte ich das Leben anders zu schätzen. Renate Nica (mit k, also Nika) heißt ja übersetzt aus dem Lateinischen die Wiedergeburt siegt“. Ich finde, das passt sehr gut zu mir.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.