Die evangelische Kirche als Ort sozialen, kulturellen und religiösen Lebens
Ausgabe Nr. 2534
Wer in Hermannstadt über die Ringe schlendert, die Kirchenburg in Birthälm besucht oder in Schäßburg und Mediasch die Kirchen besichtigt, könnte meinen, alles sei so, wie es immer war, als die Siebenbürger Sachsen noch in der Mehrzahl hier lebten. Aber dem ist nicht so. Wie die Evangelische Kirche A.B. versucht, mit den neuen Gegebenheiten in der Diaspora fertig zu werden, konnten 42 Besucher aus Deutschland erfahren, die im Mai an einer sechstägigen Begegnungstagung teilnahmen. Eingeladen hatte der Frauenverband im Bund der Vertriebenen.
Frauenverbands-Präsidentin Dr. Maria Werthan und Verbands-Schatzmeisterin Rosemarie Schuran veranstalten jährlich solch eine Tagung in den Vertreibungs- und Siedlungsgebieten deutscher Volksgruppen in Südosteuropa. Die Evangelische Akademie Siebenbürgen in Neppendorf/Hermannstadt als Tagungs- und Konferenzzentrum war ein hervorragender Ort für eine derartige Veranstaltung und Akademieleiter Roger Parvu ein unübertrefflicher Organisator und Begleiter.
Das dichtgedrängte Programm führte am ersten Tag zu einer Stadtbesichtigung in Hermannstadt, wo die Investitionen in die Kulturhauptstadt 2008 ein gepflegtes Stadtbild hinterließen, das sich auch international sehen lassen kann. Es folgte ein Empfang im Bürgermeisteramt, zu dem Bürgermeisterin Astrid Fodor eingeladen hatte, die jedoch verhindert war. Ihre Stellvertreterin Corina Bokor sprach über die wirtschaftliche Entwicklung Hermannstadts seit dem Beitritt in die EU. Sie zeigte sich stolz, dass nach der Wahl von Klaus Johannis zum Präsidenten Rumäniens eine Deutsche Bürgermeisterin wurde, dass sie selbst als Deutsche stellvertretende Bürgermeisterin und dass im Stadtrat mehr als die Hälfte deutsche Vertreter sitzen, ein Beweis des Vertrauens der Gesamtbevölkerung.
Architekt Hermann Fabini sprach über Erfolge und Hindernisse bei den Denkmalschutzarbeiten in Hermannstadt. Die Vorsitzende der Frauenarbeit der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, Dr. Sunhild Galter, gleichzeitig Lehrbeauftragte an der Universität Hermannstadt, gab einen Einblick in die Arbeit ihres Verbandes. Nach anfänglichen pessimistischen Vorhersagen zum Bestand der evangelischen Gemeinschaft versuchten die Frauen, die Arbeit fortzuführen, und bezogen alle evangelischen Gemeinden, auch die aus Bukarest, dem Banat und anderen Regionen Rumäniens in ihren Kreis ein. Eine recht erfolgreiche Arbeit im sozialen, kulturellen und religiösen Bereich ist das Resultat ihrer Bestrebungen.
Mit seinem Vortrag über die 800-jährige Geschichte der Siebenbürger Sachsen im Karpatenbogen konnte Dr. Hermann Pitters, Dekan a. D. und Kirchenhistoriker, am zweiten Tag die Zuhörer begeistern. Um eine Einschätzung für die Zukunft befragt, wies er darauf hin, wie oft im Laufe der Jahrhunderte diese Gemeinschaft schon totgesagt wurde, und doch überlebte. In der einen oder anderen Weise werde das wahrscheinlich auch in Zukunft so sein.
Über die Pressearbeit der deutschen Minderheit in der Gegenwart informierte Beatrice Ungar, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung, einer politisch unabhängigen Wochenschrift, deren Herausgeber die Stiftung Hermannstädter Zeitung ist und die durch die Vermittlung des Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien vom Departement für interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung bezuschußt wird. Redakteure dieser Zeitung müssten viel Enthusiasmus und Idealismus aufbringen, um sie am Leben zu erhalten.
Als einen Hort des Glaubens, der Bildung und Identitätsbewahrung vorgestellt hat Gerhild Rudolf, die Leiterin des Friedrich-Teutsch-Begegnungs- und Kulturzentrums, die protestantische Kirche in Siebenbürgen. Sie hat ihre jahrhundertealte Funktion beibehalten.
Kontrovers diskutiert wurde der Vortrag von Dr. Iuliana Govoreanu über die Rolle der Frau in der orthodoxen Kirche. Die deutschen Teilnehmerinnen empfanden diese als absolut untergeordnet und dienend.
Pfarrerin Hildegard Servatius-Deppner berichtete im neu erbauten Gemeindehaus der Margarethenkirche in Mediasch über die viertgrößte evangelische Kirchengemeinde in Rumänien. Zwei Pfarrerinnen und drei Pfarrer, die in Mediasch wohnen und wirken, betreuen auch das gesamte Dekanat mit etwa 40 Gemeinden als ein Team-Pfarramt. Geistliches Leben, aber auch soziale Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bilden die Pfeiler dieser Arbeit.
Auf dem Pfarrhof in Birthälm wurde ein landestypisches Mittagessen aufgetischt, bevor es zur Besichtigung der renovierten Kirchenburg ging. Die Bedeutung dieser Wehrburgen für das Weiterbestehen sächsischen Lebens in Siebenbürgen wurde deutlich, auch die strengen Gesetze des Zusammenlebens in Nachbarschaften und Gemeinden.
Eine Stadtführung in Schäßburg mit seiner bekannten Bergkirche und das Treffen mit Pfarrer Bruno Fröhlich, der über die Bestrebungen und Herausforderungen der Ökumene in Rumänien sprach, rundete den Reisetag ab.
Der Besuch der Kirche in Mühlbach, eine der größten Kirchen Siebenbürgens, und der Vortrag von Pfarrer Alfred Dahinten über den Bevölkerungswandel in Siebenbürgen und die Herausforderungen, die sich daraus für die örtliche evangelische Kirche ergeben, was die Betreuung der oft alten Gläubigen und die Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen vor Ort betrifft, eröffneten den letzten Tag. In Karlsburg/Weißenburg/Alba Iulia sprach Pfarrer Gerhard Wagner über die Sozialarbeit in Rumänien. Die kleine Gemeinschaft von Gläubigen, die nach der Ausreisewelle noch zu betreuen ist, brachte ihn dazu, nach weiteren sozialen Aufgaben Ausschau zu halten. Der Zustand behinderter Kinder in Rumänien, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die halbe Welt beschäftigte, brachte ihn dazu, sich dieses Problems anzunehmen. Die Zustände hätten sich inzwischen in ganz Rumänien geändert, aber es bleibe noch genug zu tun. Im Sozialwerk der evangelischen Gemeinde Karlsburg werden behinderte Kinder und Jugendliche nach westlichen Standards betreut.
Der Besuch der Festung von Karlsburg und der Krönungskirche der rumänischen Hohenzollern-Könige war ein Erlebnis.
Mit einem Wortgottesdienst mit Pfarrer Dietrich Galter in der Neppendorfer Kirche ist die Begegnungsreise ausgeklungen.
Waltraud STEINER
Blick in den Festsaal der EAS beim Vortrag über die 800jährige Geschichte der Siebenbürger Sachsen im Karpatenbogen von Dr. Hermann Pitters.
Foto: Beatrice UNGAR