Von Berlin nach Rumänien in drei Stunden

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Streiflichter eines Besuches auf der ITB 2017 
Ausgabe Nr. 2522
1-ITB„ITB, juche!“ denke ich mir und mache ich am Samstagnachmittag auf den Weg zum Messegelände in Berlin. Verfehlen kann ich die größte Tourismusbörse (8.-12. März 2017) der Welt nicht. Schon aus der Ferne kommt mir ein Strom mit bunten Taschen und Stoffbeuteln behangener Menschen entgegen. Eine rüstige Rentnerin mit einem kleinen Wanderrucksack läuft schnellen Schrittes Richtung U-Bahn, ihr Gefährte kann ihr, beidseitig mit Papiertüten schwer bepackt, kaum folgen. Wohin ihre Reise wohl gehen soll? Ob die beiden überhaupt zusammen verreisen? 

Mein einziges Reiseziel auf der Messe soll Rumänien sein, aber natürlich will ich mich auf dem Weg dahin etwas umschauen. Allgemein bin ich neugierig auf mehr von Rumänien, besonders interessiere ich aber mich für eine Städtereise nach Temeswar und vielleicht „ein paar Tage Donaudelta“. Bevor es losgeht, frage ich mich, ob es auf der Messe wohl etwas zu essen gibt. Vorsorglich kaufe ich mir vor dem Eingang schnell noch eine lange Bratwurst mit viel Senf in wenig Brötchen. „Wie das wohl gehen soll?“ frage ich mich laut und sorge mich um meine Jacke. Der Verkäufer lächelt weiter selig und schaut durch mich durch in die Ferne. Auf welcher Reise er sich wohl gerade befindet?

Frisch gestärkt und sogar unbekleckert freue ich mich, dass es die erwartete Kassenschlange nicht gibt. Direkt nach dem Eingang, weiß ich gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll: Links unterhalten sich zwei beindruckend bewaffnete Polizisten, während ihre Blicke die Umgebung scannen. Personen mit Rollkoffern werden gleich an den Eingängen einer Gepäckkontrolle unterzogen. Rechts geht es nach Polen, links gibt es Zeitungen umsonst und dazwischen lockt ein Stand mit belgischen Pralinen. Eine Praline, ein Euro. Etwas unschlüssig entscheide ich mich für zwei Pralinen auf die Hand und setze mich planlos an einen der Tische. Vier Kinder wurden anscheinend hier „geparkt“: Sie sitzen zusammen gesunken um einen Tisch herum und starren auf ihre Smartphones. Jemand hat einige Seiten aus einer Zeitung liegen lassen „Wir fragen uns noch immer, wie das geschehen konnte“. Gemeint ist Donald Trump als amerikanischer Präsident. Der Aufsteller mit  kostenlosen Zeitungen erfreut sich großer Beliebtheit. Er leert sich zügig. Etwas weiter hinten steht ein älterer Herr und streckt den Vorbeikommenden eine Zeitung entgegen. Bei vielen scheint das einen Greifreflex auszulösen. Eine Familie, die Mutter voraus, steuert direkt auf ihn zu. „Meine Herrschaften, wie wär’s mit zwei Wochen kostenlos lesen?“. „Lieber nicht“ sagt sie und gibt ihm die Zeitung wieder zurück. Der nächste potentielle Abonnent nähert sich. „Wie wär’s mit 2 Wochen gratis?“ „Lieber eine umsonst!“ Schnell weg ist der Mann, die Zeitung hat er mitgenommen.

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Ich mache mich auf den Weg: „Toll.  Unser erstes Land gesehen. Nach zwei Stunden!“ Die Jugendliche wirkt gänzlich unbegeistert. Ihre Eltern schlendern ungerührt weiter. Mir wird warm in meiner Winterjacke, also erstmal die Garderobe finden. Uuups! 2,50 Euro für das Abgeben der Jacke, 4,50 Euro für die Tasche. Die jungen Frauen hinter dem Tresen tauschen sich über ihr Studium aus. An der Garderobe gegenüber empfiehlt ein junger Mann den anderen, nicht so oft auf die Uhr zu schauen: „Die Zeit vergeht sonst noch viel langsamer!“ Relativitätstheorie? An der Garderobe hängt ein Schild „Koffer- und Tascheninhalte sind nicht versichert“. Ich nehme meine Tasche mit. Immer mal wieder ertönt eine Durchsage: „Sehr geehrte Damen und Herren, auf Grund der Vorkommnisse in der vergangenen Zeit möchten wir sie davon in Kenntnis setzen, dass es zu stichprobenartigen Taschenkontrollen kommen kann. Wir danken für Ihr Verständnis.“ Vorkommnisse? Das Attentat auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche? Mitte März noch nicht vergessen, aber auch nicht mehr so im Bewusstsein. Die beiden Polizisten unterhalten sich immer noch, einer behält dabei die Hand auf der Waffe. Vorbei an fettig aussehenden Pizzaecken zu Flughafenpreisen und vorbei an Polen, mache ich mich auf den Weg Richtung Rumänien.

Auf der ITB zielstrebig zu sein ist schwer: Mehr als 10.000 Aussteller präsentieren an über 1.000 Ständen 184 Urlaubsregionen. Und nicht nur das: Da steht beispielsweise ein echter Porsche, in dem man eine virtuelle Runde fahren kann. Männer stehen Schlange, posieren für Fotos vor dem Wagen. Wer schnell fährt, kann ein „VIP-Paket auf dem Lausitzring“ gewinnen. Leider verursacht die virtuelle Fahrt ein ein nervtötendes Geräusch. Die Damen in blauen T-Shirts vom Stand des Autovermieters nebenan runzeln die Stirn und wirken angestrengt. Was gibt es noch zu sehen und zu hören? Werbung für barrierefreies Reisen, Werbung für Mietfahrräder, Werbung für Car Sharing, aber auch Werbung für die klassische Zugfahrt mit der Deutschen Bahn. Die Mitarbeiterin eines Reisever-
anstalter-Standes gibt ein Interview vor der Kamera: „Viele zieht es in den Süden. Gerade boomt der Gardasee“, erfahre ich im vorbei gehen. Hinter einem anderen Stand stehen eine Frau und ein Mann und unterhalten sich angeregt miteinander. Ihr üppiges Dekolleté wurde dabei quasi auf dem Stehtisch abgelegt, was mich von allem weiteren erstmal ablenkt. Geht es um Autovermietung, oder um ein Land, oder um Autovermietung in einem Land? Wirklich fasziniert kann ich kaum mehr wegschauen und frage mich, wie die männlichen Besucher die Präsentation wohl finden. Die männlichen Besucher füllen derweil eifrig ihre Fahrlizenz für den Porsche aus oder posieren vor dem sportlichen Gefährt für Handybilder und scheinen darüber hinaus nicht mehr viel mitzubekommen.

„Gastliches Görlitz“ oder lieber Naturparks, Pilgerwege, Wanderwege, Radwege, Wellness? „Natur und Freiheit“, das Reiseland Deutschland ist im Angebot und präsentiert sich mit verlockenden Fotos, auf denen immer die Sonne scheint. Mittlerweile wurde auch mir an einem Stand ein fröhlich gelber Stoffbeutel umgehängt. Von einer Berliner Reederei anscheinend und auf alle Fälle prall gefüllt, auch wenn ich gar nicht so genau sagen kann, wie es dazu kam. Während ich mich über die Berliner Bezirke informiere schaufelt mir eine nette junge Dame lächelnd Mini-Schokoladentäfelchen in den Stoffbeutel. Daneben nimmt ein großer, flauschig aussehender Berliner Bär eine fröhliche Frau im Dirndl in den Arm. Die beiden posieren für ein Foto. Um die Ecke biegt Luise Henriette von Oranien; die Kurfürstin von Brandenburg gönnt sich gerade ein Eis und erzählt mir etwas zur Gründung von Oranienburg. Ein paar Schritte weiter erfahre ich, dass es ein Deutsches Spionage-Museum gibt und finde die Werbung des Naturkundemuseums in Berlin sehr gelungen. Mein Beutel ist voll, meine Tasche wird auch zunehmend schwerer, und ich frage mich, wann ich wohl  Rumänien erreichen werde. Ich bin schon zwei Stunden hier und mein Ziel, die Halle 7.2b, ist noch weit entfernt. Ich laufe und laufe und höre schließlich rumänische Stimmung, bevor ich den ersten rumänischen Stand sehen kann. „Rumänien – Entdecke das Märchen“ lautet der Slogan des Jahres. Ein Folkoreensemble aus Bistritz  begeistert die Messebesucher mit Tanz und Folklore. Die Besucherinnen und Besucher zücken ihre Smartphones, um ein Erinnerungsfoto zu machen. Während der Darbietung ist an den Messeständen nicht viel los, da Musik und Tanz die Aufmerksamkeit binden. Ich mache natürlich auch ein Foto von den Musikern und Tänzerinnen, nutze dann aber die Zeit, um mir die Stände anzuschauen. Unglaublich, was es da alles gibt: Trekkingreisen, Rumänien mit dem Camper, Rumänien auf den Spuren von Wölfen, Bären und Wildkatzen, Rumänien mit dem Motorrad. Es gibt  die Angebote der Gastronomie zu genießen. Oder lieber kuren oder baden? Tolle Städte, schöne Landschaften, Kultur, kulinarische Köstlichkeiten, gastfreundliche Menschen und viel Sonne. Der größte Teil des Prospektmaterials ist auch in deutscher Sprache verfügbar, einiges in englischer Sprache und es gibt jede Menge Kartenmaterial kostenlos, dazu viele Tipps für die Reise, oft auch in deutscher Sprache.

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Am Stand der Stadt Hermannstadt gibt es natürlich auch jede Menge schöner Prospekte und Broschüren, aber auch rumänischen Honig zum Probieren und Kaufen. Die Honig-Aktion scheint gut anzukommen. Und es grüßt mich eine alte Bekannte: die Hermannstädter Zeitung. Ich nehme neben der HZ auch noch eine frisch und fröhlich wirkende Broschüre mit: „Sibiu – Hermannstadt. Jung seit 1191“. Das Teil ist ein bisschen schwer, aber die Neugier siegt. Das Titelbild mit den über die Wasserfontänen auf dem Großen Ring hüpfenden Menschen erinnert mich an viele schöne Sonnenstunden an genau dieser Stelle in Hermannstadt. Vielleicht mal wieder nach Hermannstadt und selbst über die Fontänen springen?

Silvia Benedict, die Abteilungsleiterin von INVITATION ROMANIA Travel frage ich, was denn die Messebesucher am meisten anspricht. Rundreisen seien sehr beliebt, erzählt sie, außerdem Kultur. Die Städte Hermannstadt, Kronstadt und Schäßburg müssten immer dabei sein, vor allem wenn Deutsche eine Siebenbürgen-Rundreise planen. Stimmt, diese Rundreise habe ich innerhalb von zwei Jahren schon zweimal gemacht, weil es so schön war. Natur und Kultur seien ebenfalls gefragt und  würden auch viel beworben, so Silvia Benedict: „ Die Leute sollen das auch erfahren, dass es in Rumänien viel Kultur gibt.“

Ein paar Meter weiter werde ich fündig: viel Material mit Fotos von Vögeln in wunderbarer Natur. Das Donau-Delta lockt. Allerdings habe ich angesichts der zahlreichen Angebote (kleine Boote, große Boote, volle Schiffe) den Eindruck, dass die Region touristisch stark frequentiert sein könnte. Ausprobieren, oder nie genau wissen: vielleicht mal 3-4 Tage Kreuzfahrt im Biosphären-Reservat Donaudelta, kombiniert mit ein paar Tagen Badeurlaub am schwarzen Meer? In meinem Kopf entsteht unweigerlich eine Reiseroute.

Ein Prospekt lockt mit „Entdecke die Seele Siebenbürgens“. Wer sollte das nicht wollen? Schöne Fotos zeigen ein Gästehaus im ruhigen „Ort Wolkendorf/Vulcan am Fuße des Königssteingebirges im Herzen des Burzenlandes mitten im Karpatenbogen“, die Kirchenburg Tartlau/Prejmer (UNESCO-Weltkulturerbe) und wandernde Menschen. Wandern könnte mir auch gefallen. Mal abgesehen, von den zähnefletschenden Hirtenhunden, die ich auch in Erinnerung habe, wenn ich an Natur und Rumänien denke. Ihretwegen habe ich mich auf meiner letzten Reise öfter nicht getraut, den Mietwagen zu verlassen.

„Irgendwas mit Dracula“ liegt auch herum an einem Messestand, aber darum mache ich, genau wie bei meiner Rumänienreise, einen großen Bogen.

Als ich mich dem Stand der Stadt Temeswar nähere, hat mich die aufmerksame Lucia Solomon vom Info-Center bereits registriert. Geduldig beantwortet sie meine Fragen und jede Menge Tipps zu meinem Sommerreiseziel hat sie auch noch auf Lager. Auch Lucia Solomon frage ich, was die Besucherinnen und Besucher am Stand am meisten mitnehmen: „Die meisten möchten nichts Schweres. Leicht soll es sein, aber mit vielen Informationen. Auch Kartenmaterial wird gern mitgenommen.“ Das könnte auch mein Motto sein, denn mittlerweile schmerzt meine Schulter von all dem bunten Holz zum Blättern. Die letzten – wirklich verlockend aufgemachten –  Hochglanzbroschüren ließ ich schon links liegen: Viel zu schwer! Aber einen Stadtplan von Temeswar und die stimmungsvollen Timişoara-Lesezeichen passen noch in meinen Stoffbeutel. Für Thermalwasserquellen würden sich auch viele Besucherinnen und Besucher interessieren, das sei auch zu empfehlen, aber  nicht für die Hochsaison, weiß Frau Solomon. Timişoara wird 2021 Europäische Kulturhauptstadt, erfahre ich. Und dass der Fluss Bega einst die Stadt mit dem Umland verbunden habe, wie die Kultur die Menschen verbinden könne. Von Projekten, einem Jazz-Fest, Weltmusik und Street Art erzählt Frau Salomon. Kultur solle die Menschen bewegen und sie zusammen bringen; im Jahr 2021 werde es dann sogar noch mehr Kultur in Timişoara geben und auch dazu hat Frau Solomon schon eine Idee: „Jeder Mensch soll bis 2021 durch seine Energie als Individuum etwas tun, um die Menschen zusammen zu bringen.“ Das klingt alles weltoffen und urban und tatsächlich reicht mir Frau Salomon passend zu meinem Eindruck einen Stadtplan. Erstellt von jungen Einheimischen für junge Reisende (oder von genialen Werbestrategen?). Die Zielgruppe bin ich eher nicht mehr, der Stadtplan gefällt mir trotzdem. Unter dem Motto „Act Like a Local“ gibt es alles, was ich wissen will: allgemeine Informationen für Touristen, persönliche Tipps von Einheimischen, die Geschichte der Stadt kurz und knapp, Festivals, „Eat Like a Lokal“ und natürlich die Karte für die Orientierung.  Das Beste an diesem Format: quadratisch, praktisch, gut. Mir schwant, dass meine fünf Tage in Temeswar zu kurz sein werden, um die Stadt kennenzulernen. Eine für meine Reisepläne wichtige Information bekomme ich noch mit auf den Weg: Neuerdings gibt es zweimal wöchentlich Billigflüge zwischen Berlin und Temeswar. Die neue Direktverbindung würde sich bereits auswirken, junge Leute kämen vermehrt nach Timisoara. Dem Beispiel werde ich gleich im Sommer folgen, genug Informationen habe ich ja nun. „Und wenn Sie da sind, kommen Sie vorbei, dann gebe ich Ihnen noch mehr Tipps“ ruft mir Frau Solomon hinterher. Das mache ich doch gern!

Astrid STAUDINGER

Alexandru Ujupan (links) vom Carpathian Travel Center aus Hermannstadt beim Siebenbürgen-Stand im Rumänien-Pavillon studiert in einer ruhigen Minute Prospekte anderer Tourismus-Agenturen. Hinten rechts (mit Brille) ist Stefan Bichler zu sehen, der die Stiftung Kirchenburg vertreten hat.  1-ITB

Am Stand der Stadt Hermannstadt gab es jede Menge schöner Prospekte und Broschüren, aber auch rumänischen Honig zum Probieren und Kaufen. 

Eine junge Tänzerin des Folkloreensembles aus Bistritz/Bistriţa-Năsăud, posiert freundlich am Rumänien-Stand.

Fotos: die Verfasserin

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gesellschaft, Tourismus.