Neue Premiere am Radu Stanca-Nationaltheater in Hermannstadt
Ausgabe Nr. 2518
„Sehr verehrte Kunden! Zu allererst möchte ich Sie dazu beglückwünschen, dass Sie sich dazu entscheiden haben, einen Vertrag mit unserer Vermittlungsfirma zu unterzeichnen. Im Namen des gesamten Unternehmens möchte ich Ihnen versichern, dass wir Ihnen und den lieben Senioren jederzeit zur Seite stehen werden.“ So wirbt man in Rumänien für Altenpflegerinnen, die in Deutschland arbeiten sollen. Theater und Realität scheinen im neuesten Theaterstück des Radu Stanca Theaters Hermannstadt miteinander zu verschmelzen. Unter dem Titel „Sprechen Sie Schweigen?“ von Gianina Cărbunariu fanden am Samstag und Sonntag Vorpremiere und Premiere des dokumentarischen Theaterstücks im vollen Saal statt. Auf der Bühne standen sowohl Schauspieler/innen der rumänischen als auch der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters.
Jedes von Gianina Cărbunarius Theaterstücke greift ein hochaktuelles Thema auf. In „Sprechen Sie Schweigen?“ geht es um die Arbeitsmigration. Genauer um rumänische Staatsbürger, die in Deutschland in der Altenpflege, im Baugewerbe oder in Metzgereien arbeiten.
Ein wichtiger Teil dieses Theaterstückes war die vorangegangene Recherche. Gianina Cărbunariu sprach z.B. mit rumänischen Bauarbeitern der „Mall of Berlin“ (inzwischen als „Mall of Shame“ bekannt), die vor drei Jahren beim Bau des Shoppingcenters um ihren Lohn geprellt wurden und deshalb eine dreiwöchige Protestaktion gestartet hatten. Nach zahlreichen Interviews setzte sich die Regisseurin mit den Schauspielern zusammen und entwickelte das Konzept für das entstandene Theaterstück. Es spielen von der deutschen Abteilung: Emőke Boldizsár, Daniel Bucher und Valentin Späth und von der rumänischen Abteilung: Ofelia Popii und Marius Turdeanu. Dementsprechend ist das Theaterstück zweisprachig, manchmal auch dreisprachig, dank der ungarisch stämmigen Schauspielerin Emőke Boldizsár. „Wir haben uns trotz unterschiedlicher Muttersprachen ganz gut verstanden. Die Sprache des Theaters und die Sprache des Schweigens waren ausschlaggebend,“ erklärte Ofelia Popii bei der Pressekonferenz, die die Vorpremiere einleitete. Das Theaterstück wurde zweisprachig, deutsch und rumänisch, übertitelt. Die Schauspieler/innen übernahmen abwechselnd die Rollen der Arbeitgeber und Arbeiter. Ratlosigkeit, Arbeit unter schlimmen Bedingungen, schlechte Bezahlung, Ausbeutung, Arbeitsunfälle. Die Dramatik der Situationen wird durch die Dialoge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dargestellt. Meistens ist ein Mittler dazwischen, der beide Sprachen spricht. Der Schwerpunkt liegt aber auf die Art des Schweigens, zu der es auch eine Anleitung im Stück gibt. „Wir sprechen über Menschen, die irgendwie unsichtbar sind. Unsichtbar sowohl für das Herkunftsland, als auch für das Zielland, in diesem Fall Deutschland. Das Schweigen kommt nicht nur von den Menschen, die im Ausland arbeiten, das Schweigen kommt auch von der Obrigkeit. Mich hat mehr der Mechanismus des Schweigens interessiert, als die Präsentation der Geschichten. Während der Recherche hat mich am meisten das Schweigen der rumänischen und deutschen Behörden gewundert,“ erzählte Cărbunariu.
Am Ende bleiben dem Zuschauer viele Fragen unbeantwortet: Was bedeutet es, Europäer zu sein, in einem Europa das sich mitten in einer Krise befindet? Welches sind die europäischen Werte für die es sich lohnt zusammen zu kämpfen? Was ist ein Mensch wert auf dem heutigen Arbeitsmarkt? Wer profitiert und wer verliert? Ist ein offener Dialog überhaupt noch möglich? Cynthia PINTER