Hermannstadt-Band der GEDOK-Franken
Ausgabe Nr. 2476
Es war sicherlich ein sehr ungewöhnliches literarisches Umfeld, das sich die vier Frauen der Künstlerinnen-Vereinigung GEDOK-Franken für einen Workshop zum Thema „Hermannstadt und Umgebung. Fremd und vertraut“ im Sommer 2014 ausgesucht hatten. Aber die Begeisterung von Dagmar Dusil, die aus Hermannstadt stammt und seit 1985 im fränkischen Raum lebt und somit für das Projekt „das Vertraute“ verkörperte, war auf die anderen übergesprungen. Sie standen für „die Fremden“, die die neue Umgebung mit neugierigen Augen betrachten würden und hießen Helga Böhnke, Ursula Hoffman und Linde Unrein. Alle sind ebenfalls Zugereiste im fränkischen Raum, der sie auch alle verbindet. Die vier Frauen gehören zur Sparte „Literatur“ der GEDOK- Franken, Helga Böhnke vertritt dazu noch die Fotografie.
Die Idee eines Buches kam erst gegen Ende der Reise auf und wurde freundlicherweise finanziell unterstützt durch das Demokratische Forum der Deutschen in Hermannstadt.
Der „vertraute Blick“ wurde verstärkt durch die Teilnahme von Ioana Ieronim, Dichterin und Übersetzerin, Mitglied des Schriftstellerverbandes Rumäniens sowie des PEN-Clubs, die in dem Buch mit zwei Gedichten vertreten ist: „Invitation au voyage I und II“ – quasi eine Einladung, in die Zeit der Kindheit zurückzugehen (I) aber auch eine Einladung, in der Gegenwart zu reisen (II), in Siebenbürgen, „an diesem Ort wo es niemals zu spät ist“. (Übersetzung: Dagmar Dusil).
Außerdem bereicherte die Hermannstädterin Christel Ungar mit ihrem Gedicht „Ober- und Unterstadt“ das Vertraute, indem sie sich an die „Stufen, Stiegen, Treppen“ von oben nach unten, von unten nach oben als „die heißeste Umarmung“ von Schritt und Stein erinnerte.
Beim Betrachten und Lesen dieses reizvollen Buches entfaltet sich eine Art Rückblick auf die gemeinsame Erfahrung durch die Reise, der durch die unterschiedlichen Blickwinkel seinen Reiz bekommt. Linde Unrein unternimmt „Versuche einer Annäherung“, die sich in einzelne Abschnitte aufgliedern und verschiedene Blick-Perspektiven aufzeigen: da gibt es die Erinnerung an „Annemarie und Dagmar“, gefolgt von der „Wendung an den Leser“ und der „Autoreise nach Osten und Ankunft“ mit den Störche-Dörfern – wunderbar ergänzt durch die Fotos und ein Gedicht von Helga Böhnke. Der Besuch der Michelsberger Burg am Fuße der Südkarpaten wird geschildert und wiederum fotografisch von Helga Böhnke in den Blick genommen, ergänzt durch lyrische Reflexionen von Linde Unrein und Ursula Hoffmann. Insgesamt sind die einzelnen Annährungsversuche als ein zusammenhängender literarischer Text zu sehen mit einem inneren Bezug aufeinander, was die Autorin Linde Unrein in der „Wendung an den Leser“ vermitteln möchte.
Dagmar Dusil, als spiritus rector der gemeinsamen Reise, widmet sich mit Hingabe und Sorgfalt der kulinarischen Seite von Hermannstadt, immer ein wenig in Sorge, ob ihr „verliebter Blick“ auf Hermannstadt nicht zu Überschätzungen führt, die dem kritischen Blick und den weltläufigen Erfahrungen der Kolleginnen mit dem „fremden Blick“ nicht standhalten könnten. Mit ihren satten und doch feinen Detailfotos von Gemüsen, Blumen und Märkten (sogar im Regen!) unterstützt Helga Böhnke diese Bemühungen aufs Beste.
So ist ein lesenswertes, feinsinniges Buch über Hermannstadt, Siebenbürgen, die Karpaten, Natur und Kultur, Land und Leute entstanden, das man gern in die Hand nimmt.
Wünschenswert wäre vielleicht noch ein abschließender Versuch gewesen, eine Art Neu-Verortung vor dem „offenen Horizont“ als dem „redlichsten Modus“ (Linde Unrein) vorzunehmen und sich ein paar Fragen zu stellen: Hat die gemeinsame Reise dazu geführt, das Vertraute und das Fremde gleichermaßen aus dem verliebten bzw. kritischen Modus in einen vielleicht begeisterten, verständnisvolleren schieben zu können? Konnte das Fremde das Vertraute in ein neues, eventuell anderes, weiter ausleuchtendes Licht rücken? Konnte eine neue Nähe zwischen den Frauen entstehen, wie, wodurch (nicht)?
Diese Fragen blieben ungestellt und so entsteht beim Lesen und bei näherer Betrachtung der Eindruck einer bleibenden Distanz zwischen dem „verliebten Blick“ und dem „fremden“. Aber möglicherweise ist genau dies den „offenen Horizonten“ und damit der Redlichkeit geschuldet. Und das ist dann auch gut so.
Nicht zuletzt einige Takte zu GEDOK: Das Kürzel steht für den Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e. V. und ist das älteste und europaweit größte Netzwerk für Künstlerinnen aller Sparten.
Dr. phil. Mechthild ENGEL
HERMANNSTADT UND UMGEBUNG. fremd und vertraut/SIBIUL ȘI ÎMPREJURIMILE. străin și familiar. Texte und Fotografien von/Texte și fotografii de Helge Böhnke, Dagmar Dusil, Ioana Ieronim, Ursula Hoffmann, Linde Unrein, Christel Ungar. Rumänische Fassung von Beatrice Ungar. Honterus Verlag Hermannstadt 2015. 183 Seiten. ISBN 978-606-8573-39-7