Ausgabe Nr. 2433
Zu Iris Wolffs zweitem Roman „Leuchtende Schatten“
„Leuchtende Schatten“ heißt der zweite Roman der aus Hermannstadt stammenden Autorin Iris Wolff. „Halber Stein“, ihr Debütroman aus dem Jahr 2012 handelte von der Auswanderung der Siebenbürger Sachsen. Für „Leuchtende Schatten“ geht die 38-jährige Schriftstellerin noch ein Stückchen zurück in die Geschichte und spinnt eine Erzählung um zwei historische Ereignisse: die Rekrutierung der Siebenbürger Sachsen für die deutsche Wehrmacht im Sommer 1943 und der Frontwechsel Rumäniens vom 23. August 1944.
Der Roman, der Anfang des Jahres im Otto Müller Verlag Salzburg-Wien erschienen ist, konzentriert sich allerdings vielmehr auf die Freundschaft zweier heranwachsender Mädchen: Ella und Harriet. Beide Mädchen leben mit ihren Familien in Hermannstadt, doch ihre Familien sind sehr unterschiedlich. Ella wohnt in der Unterstadt in einem 3-Generationen-Haushalt in etwas ärmlichen Bedingungen, während Harriet mit ihrem Vater und Bediensteten in einer Villa auf der Hallerwiese lebt. Auch die Persönlichkeiten der beiden Mädchen sind unterschiedlich: Ella ist eine Träumerin, während Harriet ihre Umwelt realistisch wahrnimmt. Die beiden sind sich trotzdem auf unmittelbare, sinnliche Weise vertraut.
Eine weitere versteckte Protagonistin des Romans ist Ursula, die Großmutter Ellas, das Oberhaupt der Familie. Sie ist das, was man die typische sächsiche Oma nennen könnte: willensstark und pragmatisch. Die Beschreibungen der Ursula-Oma sind für jeden Siebenbürgenkenner ein Genuss. Im Folgenden ein Beispiel: „Wenn man ihr eine Freude machen oder etwas bei ihr erreichen wollte, so musste man sie auf Mitte fünfzig schätzen und überrascht tun, wenn sie geschmeichelt ihr wahres Alter preisgab. Sie hielt nichts von großer Toilette, doch sie schwor auf folgende Rezepte: Morgens noch im Schlafrock Turnübungen bei geöffnetem Fenster, sommers wie winters, denn „Morgenstund hat Gold im Mund“. (…) Vor jeder Hauptmahlzeit einen Schnaps auf nüchternen Magen und nach dem Mittagessen ein Schläfchen auf dem Kanapee.“
Die Idylle im friedlichen Hermannstadt, wo fast jeder jeden kennt, bekommt Risse durch den Beginn des Krieges. Die nationalsozialistische Ideologie sickert in die Großfamilie und in die Schule ein und die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen werden sichtbar.
Die Welt der beiden Protagonistinnen wird erschüttert. Es stellt sich heraus, dass Harriets verstorbene Mutter Jüdin war und dass das Leben ihrer Familie in Gefahr ist. Es folgen die plötzliche Flucht Harriets und ihrer Familie aus Hermannstadt sowie der Tod von Ellas Vater im Krieg. Die Ereignisse zwingen die beiden Mädchen zu einem schnellen und unsanften Abschied voneinander und von der Kindheit.
Der Roman „Leuchtende Schatten“ ist sehr gut historisch recherchiert und flüssig und spannend geschrieben. Die Plätze und Straßen im Hermannstadt der 1940-er Jahre sind sehr bildhaft beschrieben. Der Leser wird auf eine Reise entführt, hinein in eine fremde und gleichzeitig vertraute Kultur.
Cynthia PINTER
Iris Wolff: Leuchtende Schatten. Roman, Otto Müller Verlag Salzburg 2015, 324 Seiten, ISBN: 978-3-7013-1228-3