„Für ein Europa des Friedens“

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Ausgabe Nr. 2414
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Gedenkveranstaltung in Ulm zu 70 Jahren seit dem Beginn der Russlanddeportation

 

  Es war Ende des Jahres 1944, als die Deutschen aus Ungarn, der Vojvodina und der Batschka in die damalige Sowjetunion zwangsdeportiert wurden. Die arbeitsfähigen Rumäniendeutschen (rund 70.000 Personen) aus allen Gebieten des Landes folgten ihnen Mitte Januar 1945.

Nun sind es 70 Jahre, seitdem diese erste große Tragödie für unsere Mitmenschen deutscher Muttersprache aus Südosteuropa begonnen hat. Um dieser 70 Jahre zu gedenken, luden mehrere Institute und Landsmannschaften aus der Bundesrepublik Deutschland am 17. Januar d. J. zu einer zentralen Gedenkveranstaltung im Ulmer Haus der Begegnung ein. Der Einladung waren über 300 Personen gefolgt, darunter auch 30 hochbetagte ehemalige Deportierte.

 

Veranstalter waren u. a. das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm, die Kulturreferentin für Südosteuropa, die Landsmannschaften der Donauschwaben, der Banater Schwaben, der Sathmarer Schwaben und Oberwischauer Zipser, der Deutschen aus Ungarn sowie der Verband der Siebenbürger Sachsen und der Heimatverband der Banater Berglanddeutschen. Mitgemacht hat auch das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Die Gedenkfeier begann mit einer Begrüßung seitens des Veranstalters durch Christian Glass, Direktor des Donauschwäbischen Zentralmuseums, gefolgt vom Oberbürgermeister der Stadt Ulm, Ivo Gönner.

Christian Glass sagte in seinem Grußwort u. a.: „Ein in der Öffentlichkeit wenig beachtetes Thema ist die Verschleppung der Deutschen aus Südosteuropa in die Sowjetunion im letzten Winter des Zweiten Weltkriegs. Auf Befehl Stalins wurden 1944/45 mehr als 110.000 Männer und Frauen zur Zwangsarbeit nach Russland und in die Staaten der Sowjetunion verschleppt. Viele von ihnen kamen in das Donezbecken, die Bergbauregion im Osten der Ukraine, wo heute prorussische Separatisten gegen Truppen der Ukraine kämpfen.

Der Ulmer Oberbürgermeister erinnerte an die nun nacheinander anstehenden siebzigsten Jahrestage im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, etwa die Deportation in die Sowjetunion oder die Befreiung Auschwitz. „Wir sollten diese Gedenktage nutzen, um uns selbst zu prüfen und was wir daraus gelernt haben. Die schmerzhafte Erinnerung sollten wir nutzen, dass so etwas nie wieder passiert.“

Drei Bischöfe nahmen an der Gedenkveranstaltung teil: Erzbischof Dr. Robert Zollitsch (Freiburg in Br.) und Diözesanbischof Eugen Schönberger (Sathmar) vertraten die römisch-katholische Kirche, während Bischof Reinhart Guib die Evangelische Landeskirche A.B. in Rumänien vertrat. Erzbischof Dr. Zollitsch und Bischof Guib sprachen tiefergreifende Grußworte zur Gedenkveranstaltung, gefolgt vom Vortrag des Hon.-Profs. Dr. Konrad Gündisch, kommissarischer Direktor des Münchner Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, der einen Querschnitt durch die Geschichte unternahm.

Nach der Mittagpause folgte eine szenische Lesung unter dem Titel „Vielleicht heißt die russische Einsamkeit Wanja“. Jim Seclaoui, Hannah Elischer und Simon Rossa von der Akademie für darstellende Kunst Ulm lasen aus Werken folgender Autoren: Joachim Wittstock („Botschaften“), Erwin Wittstock („Im Winter“), Rainer Biemel („Das Begräbnis“) und („Die Ikonen“), Bernhard Ohsam („Lagerkind“), Herta Müller („Die lateinischen Geheimnisse“) und Oskar Pastior („Ohne Titel“).

Den Schluss der Gedenkveranstaltung machten drei Podiumsgespräche unter der Moderation von Anita Schlesak vom Süd-West-Rundfunk. 

An der ersten Podiumsgesprächsrunde unter dem Sammeltitel „Zeitzeugen“ beteiligten sich die aus dem Banat abstammenden Schwaben und ehemalige Russlanddeportierten Anton Schenk aus Stuttgart, Johann Noll aus Augsburg sowie der während der Deportation in Russland geborene Helmut Weinschrott aus Temeswar, Leiter des „Adam Müller-Guttenbrunn“-Hauses und der Banater Sozialeinrichtungen. Die ersten Beiden erzählten aus dem Leidensweg innerhalb der Deportation, während Weinschrott u.a. über seinen Besuch des Geburtsortes in der Ukraine berichteten. Er kam vier Monate alt mit seiner Mutter aus der Deportation nach Hause.

Die zweite Podiumsgesprächsrunde trug den Titel „Familiengeschichten“. Daran nahmen teil Maria Kottsieper aus Ulm, Judit Müller aus Fünfkirchen / Pécs in Ungarn und Dr. Renate Weber-Schlenther aus Münster. Die beiden ersten Damen erzählten vom Trauma der Deportierten-Angehörigen in der Familie nach der Heimkehr und präsentierten u. a. auch Objekte, die ihre Eltern bzw. Großeltern aus der Deportation heimbringen konnten. Dr. Weber-Schlenther sprach über ihre Forschungen zusammen mit ihrem Gatten Dr. Georg Weber betreffend der Russlanddeportation der Siebenbürger Sachsen.

Die dritte Podiumsgesprächsrunde war den Erinnerungen in den Abstammungsgebieten der ehemaligen Deportierten gewidmet. Daran nahmen teil Dr. Bernd Fabritius, MdB, Präsident des Bundes der Vertriebenen und Bundesvorsitzender des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Hans Supritz, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Donauschwaben und Erwin Josef Ţigla, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen. Innerhalb dieser dritten und letzten Runde sprach man über politische Akzente die man zz. betreffend der Deportation der Deutschen aus Südosteuropa setzt, man sprach über Gedenkveranstaltungen in den Herkunftsländern und über Zeichensetzen wie Denkmäler und Gedenktafeln europaweit, die an die Deportation mahnend erinnern sollen, für ein Europa des Friedens.

Besonders erwähnenswert sei, dass an der gesamten Gedenkveranstaltung in Ulm auch Hartmut Koschyk, Bundesbeauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, teilnahm. Ebenfalls anwesend war der Generalkonsul Rumäniens in München, Anton Niculescu.

Aus Rumänien waren noch in Ulm Josef Hölzli seitens des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Regionalforum Nordsiebenbürgen und ein Team der deutschen Sendung des Rumänischen Staatsfernsehens Bukarest dabei.

Es war eine würdige, musikalisch von Liane und Harry Christian umrahmte Gedenkveranstaltung, an der über zwei Dutzend (26) noch lebende ehemalige Russlanddeportierte teilnahmen.

Erwin Josef ȚIGLA

 

 

Podiumsgesprächsrunde mit Hans Supritz, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Donauschwaben, Dr. Bernd Fabritius, MdB, Präsident des Bundes der Vertriebenen, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Anita Schlesak, Journalistin Süd-West-Rundfunk und Erwin Josef Țigla, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen (v. l. n. r.).

Foto: Oleg KUCHAR

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gesellschaft.