Ausgabe Nr. 2381
>
Gespräch mit Gerhard Konnerth über das Hochschulwesen in Hermannstadt
Die Lucian Blaga-Universität feierte in der vergangenen Woche „45 Jahre kontinuierliches Hochschulwesen in Hermannstadt". Als Stichtag des Jubiläums nannten die Veranstalter den 15. Juni 1969, als in Hermannstadt eine Fakultät für Philologie und Geschichte als Außenstelle der Klausenburger Babeș-Bolyai-Universität gegründet wurde. Zu den damaligen Begebenheiten und dem turbulenten Werdegang der Hermannstädter Hochschuleinrichtung gewährte Prof. Dr. Gerhard Konnerth, der 1971 an den Germanistik-Lehrstuhl in Hermannstadt kam, der HZ-Chefredakteurin Beatrice U n g a r folgendes Interview.
Wie hat alles begonnen?
Man muss es in einem zeittypischen bildungspolitischen Kontext sehen. Es war Ausdruck der Nationalitätenpolitik damals, dass es hier, wo es eine kompakte deutschsprachige Bevölkerung gab, es auch Bildungsmöglichkeiten in deutscher Sprache gibt. In diesem Zusammenhang ist die Fakultät gegründet worden als Außenstelle der Universität Klausenburg für Philologie und Geschichte. Im Gründungsjahr gab es 20 Studienplätze auf Philologie und 20 auf Geschichte. Damals waren am Lehrstuhl vier Lehrkräfte tätig: Mihai Isbăşescu (er pendelte von Bukarest nach Hermannstadt), Georg Scherg, Christa Thurmaier und Gerda Bretz.
Damit man sich vorstellen kann, wie spektakulär die Entwicklungen damals waren: Georg Scherg war ja inhaftiert und verurteilt worden im Schriftstellerprozess. Dann ist er begnadigt und rehabilitiert worden. Richard Winter, 1. Parteisekretär in Hermannstadt, hat seinen Wagen nach Kronstadt geschickt und Scherg nach Hermannstadt bringen lassen und hat ihn zum Lehrstuhlinhaber des Lehrstuhls für Germanistik in Hermannstadt gemacht. Lehrstuhlinhaber konnte man nur sein, wenn man Dozent war und wenn man auch den Doktortitel hatte, was Scherg nie gehabt hat und auch nie angestrebt hat. Wenn wir ihn fragten, warum er sich nicht irgendwo einschreibe und den Doktor mache, hat er immer gesagt: „Bei wem?"
Er war ja einer der ganz Großen im Bereich der Literatur hierzulande, den Doktor im Ausland machen, kam nicht in Frage.
Schon 1984 war dann wieder Schluss…
Ja, damals wurden alle Hochschulinstitute in Rumänien in Institute für Hilfsingenieure (Betriebsingenieure) mit Abendstudien umgewandelt. So ist es zu der paradoxen Situation gekommen, dass die Absolventen der Jahre 1985, 1986 und 1987 ein Diplom bekommen haben vom Politechnischen Institut Klausenburg, Fachrichtung Deutsch-Rumänisch bzw. Deutsch-Englisch. Es war paradox und absurd.
Im März 1990 wurde dann die Universität gegründet, sozusagen aus dem Nichts…
Ja, das kann man so sagen. 1995 erhielt die Universität den Namen Lucian Blaga, genau am 12. Mai 1995.
Sie sind 1971 her gekommen. Als was und von wo?
Mein Werdegang ist auch in dieser Beziehung spektakulär. Ich habe 1962 in Heltau als Lehrer angefangen und war da bis 1968. Das war in meiner Laufbahn die beste Zeit, wo wir nur mit deutschsprachigen Kindern gearbeitet haben, und diese Kinder dankbar waren für das, was man mit ihnen gemacht hat. 1968 bin ich auf eigenes Ansuchen zum Lazăr-Lyzeum nach Hermannstadt versetzt worden. Das war eine riesige Herausforderung für mich, von der Grundschule ans Lyzeum. 1971 bin ich für einen Monat versetzt worden an das Brukenthallyzeum, als es als deutsches Lyzeum wiedergegründet worden ist. Am 1. September 1971 bin ich an das Hochschulinstitut versetzt worden. Ich war von 1973 bis 1976 Prodekan, von 1976 bis 1984 Dekan. Dann Lehrstuhlinhaber bzw. Prodekan nach der Wende. 2006 wurde ich mitten im Wintersemester in den Ruhestand versetzt.
Das war doch eine steile Karriere zum Germanisten?
Wir sind mit einer sehr naiven Vorstellung von unseren Aufgaben an die Universität gekommen. Aber wir dachten, dass wir uns mit der entsprechenden wissenschaftlichen Ethik und dem moralischen Handeln diesen Herausforderungen stellen können. Wir haben uns alle identifiziert mit unseren Aufgaben. Für mich persönlich war es eine riesige Genugtuung, ich war einfach stolz, dass ich zu dem Lehrkörper der Universität Klausenburg gehören darf. Es war eine Beförderung sondergleichen und wir haben uns dann gewissermaßen hineingekniet in unsere Aufgaben.
Wie fanden Sie zu Ihrem Spezialgebiet, der Grammatik?
Das wurde zugeteilt. Ich habe Grammatik übernehmen müssen. Als Student in Temeswar hatte ich gute Lehrer im Bereich der rumänischen Grammatik insbesondere aber auch der deutschen Grammatik, in Temeswar. In deutsche Grammatik war es Stefan Binder, ein trockener aber gründlicher Lehrer, und in rumänischer Grammatik Vasile Şerban, der in seinen Vorlesungen immer nur Beispiele aus der Literatur verwendet hat. Aus der Volksdichtung oder aus der schöngeistigen Literatur. Das hat mich so fasziniert, dass ich heute noch Beispiele nennen könnte, die er in seinen Vorlesungen für gewisse grammatische Phänomene gab. Ich hab das von ihm übernommen und habe in meinen Vorlesungen in Grammatik anfangs grundsätzlich nur Beispiele aus der Literatur gegeben, aus Busch, Rilke usw.
Wie gesagt: Unsere Vorstellungen von den Aufgaben die wir hatten, waren höchst naiv am Anfang. Wir hatten ein Denkhorizont, das war die Binnengermanistik, die deutsche Nationalphilologie und haben angestrebt, die Inhalte zu vermitteln, die damals in der Binnengermanistik allgemein gültig waren, ohne den Zugang zu haben zu der Bibliographie. Es gab keinen Kontakt zu Deutschland. Hinzu kam noch folgendes: Es gab bildungspolitische Vorgaben, was zu machen, was zu vermitteln war, durch die Studienpläne, die das Ministerium ausgearbeitet hatte. Diese wurden im Wintersemester an die einzelnen Universitäten verschickt, die einzelnen Inhalte musste man dann selber ausarbeiten. Was kurios war und vielleicht sollten wir dankbar sein dafür, war, dass wir die einzelnen Inhalte immer selber bestimmen durften. Ich habe in meiner ganzen akademischen Karriere bis zur Wende kein einziges Mal erlebt, dass jemand gekommen ist und geprüft hat, gefragt hat, uns zur Rede gestellt hat, warum wir was vermitteln. Also gab es bei einer bildungspolitischen Vorgabe die totale Freiheit, zu vermitteln, was man als Inhalt und als wissenschaftliches Ziel der damaligen Zeit aus der Binnengermanistik aus Deutschland herausarbeitete.
Wer hätte kontrollieren können?
Zwischen den Germanistik-Lehrstühlen gab es nur sporadische Kontakte aber ein gesundes Konkurrenzdenken und dadurch dass wir als neugegründeter Lehrstuhl in diesem Teil Siebenbürgens eine große Anziehungskraft ausgeübt haben auf Absolventen der Schulen aus diesem Bereich, war das Verhältnis zu Klausenburg manchmal ein gespanntes. Doch dies im positiven Sinne des Wortes, denn diese Konkurrenz hat auch dazu geführt, dass man sich auf dem Gebiet der Wissenschaft einander versuchte zu übertreffen. Wir haben oft gespürt, dass wir als jüngster Lehrstuhl im Lande oft um unser Eckchen kämpfen mussten. Das Legitimationsfundament für uns hier war zum einen bildungspoltisch zum anderen unser Selbstverständnis und unsere Selbstbewusstwerdung allmählich als Lehrstuhl, dadurch dass wir am Lehrstuhl, nur deutsche Kollegen gehabt haben. Es gab lange Zeit keinen rumänischen Kollegen am Lehrstuhl. Mariana Petrescu war die erste, die aus Klausenburg kam. Und die Studenten waren auch nur Muttersprachler. Es gab also keine Probleme mit der Sprachkompetenz und der Sprachperformanz der Studenten.
Wann ist der Knick passiert?
Nach der Wende. Nach der großen Auswanderung. Wir sind untergegangen an der finanziellen Misere, der Wirtschaftskrise in Rumänien in den Jahren der Auflösung 1984-1987 und sind zerbrochen an der Auswanderung. Es war so, dass z. B. in den letzten Jahren vor der Auflösung vor dem Staatsexamen von 20 Absolventen, die in einem Monat Staatsexamen gehabt hätten, schon acht ausgewandert sind. Einen Monat vor dem Staatsexamen. Sie haben nicht mehr warten wollen, um das Staatsexamen abzulegen, sie sind einfach weg. Dann haben wir die Eigenständigkeit angestrebt, was uns auch die Existenz gekostet hat. Wir sind 1976 unabhängig geworden, haben uns von der Universität Klausenburg lösen können, und sind zum Hochschulinstitut Hermannstadt (Institutul de învățământ superior Sibiu) ernannt worden. Diese Selbstständigkeit hat uns den Untergang gekostet, denn kurz darauf sind wir aufgelöst worden. Das war 1984, hundert Jahre nach Auflösung der Rechtsakademie 1884. Wir haben deshalb gemeint, wir können uns dadurch retten, indem wir daran erinnerten, dass die ungarischen Behörden vor genau hundert Jahren die 1844 gegründete sächsische Rechtsakademie aufgelöst hatten…
Das Auflösungsdekret kam auch deswegen, weil es immer weniger Studenten gab?
Es war die Folge der Wirtschaftskrise in Rumänien und Ceausescu wollte sparen. Die „Reform des Hochschulwesens" führte dazu, dass alle Institute in allen Landkreisen aufgelöst worden sind und in Institute für Betriebsingenieure umgewandelt wurden. Die Kursanten hatten alle schon eine Anstellung und belegten Abendkurse, man musste also keine Stipendien auszahlen, es brauchte auch keine Studentenwohnheime. Die Ausbildung galt als berufliche Fortbildung. Die Qualität des Unterrichts war dementsprechend mangelhaft und es wurden in Hermannstadt zwei Fremdsprachen unterrichtet. Deutsch übernahm ich und Englisch Prof. Eugen Gergely. Wegen der Energiekrise mussten wir die Stunden verkürzen. Alle zwei Wochen gab es eineinhalb Stunden Unterricht mit je einer Studentengruppe. Wir stellten fest, dass in diesem Rhythmus ein einzelner Student in einem Semester im besten Fall knapp vier Minuten lang kontinuierlich in der Fremdsprache sprechen kann. Das Ganze war ein gescheiterter Versuch, eine Fremdsprache zu vermitteln, es war eigentlich nur eine Formalität.
Zurück zur Auflösung…
Das war die schwierigste Zeit. Die Auflösung einer akademischen Einrichtung ist eine sehr stressige Sache, mit sehr viel Ärger, mit sehr viel Emotionen verbunden. Die Leute müssen der Reihe nach gehen. Das Schwierigste ist, auszumachen, wer geht zuerst… Scherg ist aus freien Stücken gegangen und ist dann auch ausgewandert. Mit Gergely und mir hat es eine gewisse Kontinuität im Bereich der Fremdsprachen-Philologie gegeben. 1990 kam dann die Neugründung und wir haben alle Kollegen vom Lehrstuhl für Germanistik, die noch im Land waren, zurückgeholt an den Lehrstuhl, ebenso auch die Kollegen vom Lehrstuhl für Rumänistik und Geschichte. Von den Kollegen der Germanistik waren nicht mehr da: Georg Scherg, Christa Thurmaier, Gerda Bretz, Stefan Sienerth, Arnold Kartmann, Răzvan Stoica, Barbara Thullner.
Wir mussten neue Leute suchen und haben uns auch bemüht, neue Leute an den Lehrstuhl zu bringen. Die meisten davon sind auch heute noch am Lehrstuhl tätig. Einige von ihnen waren unsere Studentinnen.
Worauf kommt es Ihrer Meinung an bei einem Germanistikstudium?
Jetzt hat sich ja die Germanistik immer mehr entwickelt zu einer Kulturwissenschaft. Man muss davon ausgehen, dass ganz speziell nach der Wende, es eine Orientierung geben muss, eine Neuorientierung, eine Ausdifferenzierung von Studienplanung, Studienorganisation, Forschungsausrichtung, -strategien, -schwerpunkten und Publikationsmöglichkeiten. Das haben wir alles vor der Wende in den ersten Jahren der Gründung kaum gehabt. Wir haben uns damals auch als Teil der Muttersprachen-Germanistik verstanden.
Die Germanisten heute stehen in Rumänien vor der großen Aufgabe, Germanistik als Kulturwissenschaft zu vermitteln und dabei zu berücksichtigen, welches die Neuorientierungen weltweit sind und wie man durch Kooperation mit dem Ausland interkulturelle Germanistik pflegen kann.
Ein großes Glück haben wir hier mit der Partnerschaft mit der Marburger Philipps-Universität, die auf einem sehr kuriosen Umweg zustande gekommen ist. Meine Frau, Sara Konnerth, ist Esperantistin. Diese trafen sich jährlich in San Marino. Einmal, Anfang der 90-er Jahre, war auch Prof. Heinrich Dingeldein aus Marburg dabei. Dingeldein hatte bei diesem Treffen mit meiner Frau gesprochen und an ihrer Aussprache erkannt, dass sie entweder aus einem österreichischen Teil komme oder eine Landlerin aus Siebenbürgen sei. Dieser ausgezeichnete Dialektologe besuchte Hermannstadt, war sehr beeindruckt, war seither mindestens 35-mal in Hermannstadt und ist Doktorandenbetreuer geworden. Ihm ist es zu verdanken, dass es 1997 zur Partnerschaft kam. So wurden wir herangeführt an die Inhalte und die Zielsetzung einer Germanistik, von der die Neuorientierungen und die Anstöße gekommen sind.
Wie sehen Sie die Feierlichkeiten zu „45 Jahre kontinuierliche Hochschulunterricht"?
Ich finde das übertrieben. Man könnte 1844 ansetzen, aber auch noch weiter zurückgreifen zu dem ersten orthodoxen Seminar in Hermannstadt, das Ende des 18. Jahrhunderts gegründet worden war. Eine ungebrochene Kontinuität gibt es nicht. Außerdem ist zu bedenken: Man versteht sich in der Nachfolge des Hochschulinstituts Hermannstadt aber heute verbindet man Inhalte und Ziele akademischer Ausrichtung sicher mit anderen Werten als damals.
Danke für das Gespräch.
HZ-Chefredakteurin Beatrice Ungar (links) zeigte Gerhard Konnerth beim Gespräch in der Redaktion die Ausgabe der Hermannstädter Zeitung vom 20. Juni 1969.
Foto: Ruxandra STẰNESCU