Memento „Bummelbahn“…

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Ausgabe Nr. 2369
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…oder vom siebenbürgischen „festina lente“

 

   Jedesmal wenn ich an die Schmalspurbahn, die manche Bummelbahn andere wiederum „Wusch" nannten, zurückdenke, kommen mir viele lustige Erinnerungen in den Sinn, zumal ich während fast der ganzen neunten Klasse von Agnetheln nach Hermannstadt auf dieses antiquierte Transportmittel angewiesen gewesen bin. Das große Carabulea-Unternehmen hatte damals seine Tentakel noch nicht in der ganzen Hermannstädter Gegend ausgestreckt und mit der „Scheune“ wollte meine Mutter mich hinten und vorne nicht fahren lassen.

Sie werden sich an dieser Stelle wohl fragen, was die „Scheune“ jetzt  sein soll. Nun, die „Scheune“ war ein uralter, mit Holzbänken ausgestatteter Bus, der freitags 19.30 Uhr vom Hermannstädter Busbahnhof  („autogara“) vollgepackt mit Pendlern, Schülern und sonstigen Unglücksraben mit Müh' und Not seinen Abgang in Richtung Agnetheln machte. Im Winter fror man sich sämtliche Körperteile ab, weil die Heizung natürlich nur beim Fahrer funktionierte und sobald der Frühling wieder sein blaues Band durch die Lüfte flattern lies, musste man wieder um sein Leben bangen, weil der Chauffeur ab Harbachsdorf/Cornățel bis nach Bürgisch/Bârghiș nur mit einer Hand auf dem Lenkrad fuhr. Die andere Hand brauchte er, um sich mühsam mit einer Pferdepeitsche einen Weg durch die von der Weide nach Hause kommenden Kuhherden zu bahnen. Es war ja Abend und die Kühe waren schon immer um die Zeit vom Weiden nach Hause gekommen und das noch bevor es Automobile und dergleichen gegeben hatte.

Sonntags fing das ganze Spektakel von neuem an, nur halt in der entgegengesetzen Richtung. Fazit, es gab nur eine Alternative und so musste ich jede Woche von Hermannstadt nach Agnetheln und zurück mit der Bummelbahn pendeln. Dreieinhalb Stunden, im Winter sogar vier Stunden dauerte die Reise, aber es kostete weniger und das wöchentliche Taschengeld war leider fix. Es musste nur noch ein Problem bewältigt werden, nämlich der Weg zum Bahnhof. Der Bahnhof befand sich ein paar gute Kilometerchen außerhalb der Stadt. Zum Glück kannte mein Vater den Bahnhofsvorsteher (șef de gară) und ich durfte mein Fahrrad Sonntag Mittag im Archiv des Bahnhofs einsperren, um damit am Freitag Abend den letzten Teil meiner Heimfahrt antreten zu können, nämlich vom Bahnhof bis in die Stadt. Ich kann jetzt noch das kleine Täfelchen am Waggon vor meinen Augen sehen: „iuțeală maxima 40 km/h“, das heißt auf Deutsch: „Höchstschnelle 40 km/h“, also, um es anders auszudrücken, nicht sonderlich schnell. Am Sonntag fuhr mein Vater jedesmal mit mir mit zum Bahnhof und begleitete den Zug dann weiter bis zur Krümmung in Richtung Benești. Es war sein Spaß, mit dem Zug um die  Wette zu radeln und er gewann jedes Mal zu seiner ganz persönlichen Genugtuung. Der Zug selber setzte sich aus mehreren Waggons zusammen in denen es kein Licht, keine Toilette und wiedermal keine gepolsterten Sitze gab. Man konnte sich aber bequem auf die metallenen Bänke ausbreiten und die vorbeiziehende Landschaft genießen – und was für eine Landschaft das war. Der kleine Zug schlängelte sich durch Hügel, Wiesen, Gärten und Hinterhöfe entlang des Harbachtales in  Richtung Fogarascher Berge.

Auf manchen Abschnitten der Strecke fuhr der Zug so langsam, dass man getrost aus dem Waggon aussteigen konnte, um sich von Obstbäumen aus den Gärten der Bauern  mit leckeren Früchten zu bedienen, eine süße Versuchung, der ich aber, Gott sei Dank, nie zum Opfer gefallen bin.

Der Zug hielt in Benești, Alzen, Leschkirch, Holzmengen, Harbachsdorf, Kastenholz und mitten in der Pampa an. Kurz nach Harbachsdorf kam eine große Krümmung und die Schmalspurbahn war auf einmal keine Schmalspurbahn mehr, sondern entzweite Zugschienen  auf deren Hälfte unser Zug weiterfuhr. Auch musste die kleine Lokomotive kurz vor Moichen/Mohu anhalten, um dem Konstädter Schnellzug Vortritt zu gewähren, aber immerhin war Hermannstadt schon in Sicht und man wusste, noch höchstens eine Stunde!!!…. und dann waren wir da.

Wenn schönes Wetter war, konnte man beobachten, wie die Berge im Licht der untergehenden Sonne langsam ihre Farbe veränderten: blau, gün violett… na, ja vielleicht nicht so einzigartig wie das berühmt-berüchtigte Alpenglühen auf dem Dachstein in Österreich, aber immerhin bezaubernd schön. Trotzdem muss ich zugeben, nach zwei Trimestern Bummelbahnpendeln war mir jeden Sonntag übelst langweilig. Ich kannte jeden Hügel, jeden Garten, jeden Kirchturm, jeden Baum,  jede Wiese, jede Krähe auf jedem Telegraphenmasten und deshalb freute ich mich unermesslich, als mehrere neue Busse mit bequemen gepolsterten Stühlen auf der Strecke Hermannstadt-Agnetheln hin und her „flitzten“.

Die Bummelbahn wurde alsbald ausschließlich für Gütertransporte benutzt: Holz, Rüben und dann fuhr sie gar nicht mehr. Die von Unkraut und Gestrüpp langsam überwucherten Schmalspurschienen waren ein recht trauriger Anblick und ich fühlte mich fast wie eine Verräterin, weil ich den viel schneller fahrenden Bus der Bummelbahn vorgezogen hatte.

Meine letzte Erinnerung an die Bummelbahn ist überraschenderweise keine traurige Erinnerung sondern eine gute. Eines Morgens im Frühsommer fuhr ich mit dem Agnethler Bus nach Hause. Plötzlich fuhr der Bus mitten durch eine Dampfschwade. Eine kleine Dampflokomotive, höchstwarscheinlich geliehen aus dem Hermannstädter CFR-Museum, hielt an der ehemaligen Haltestelle Holzmengen/Hosman und eine Gruppe Touristen machte ganz gemütlich Picknick auf den Plattformen der dahinter angezogenen Holzwaggons. Sie schienen auf jeden Fall jede Menge Spaß zu haben und ich guckte ihnen lange Zeit verblüfft nach bis sie ganz aus dem Blickfeld verschwanden.

Im Nachhinein vermag ich es nicht zu beurteilen, ob das tatsächlich der Schwanengesang der Schmalspurbahn Agnetheln – Hermannstadt gewesen ist, aber ich möchte trotzdem an dieser Stelle die Lanze für die Wiederbelebung der Schmalspurbahn brechen, denn wir scheinen in dieser hektischen Zeit eines zu vergessen: manchmal ist nicht das Ziel einer Reise das was zählt sondern die Reise selber. Ich hoffe sehr, dass ich irgendwann mal in naher Zukunft wieder mit der Bummelbahn nach Agnetheln fahren werde.

Alexia TOBA (Hermannstadt)

Die Schmalspurbahn in den 1990-er Jahren.

Foto: www.agnetheln.ro

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gesellschaft.