Ausgabe Nr. 2369
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„Gegen den Fortschritt" hatte am Montag Premiere
Sieben Alltagsszenen, grotesk, absurd, manchmal humorvoll. Es ist schwierig, ein Genre für die Inszenierung zu finden, die am Montagabend im Radu Stanca-Nationaltheater Premiere feierte. Es handelt sich um „Gegen den Fortschritt“, den zweiten Teil der „Against" (Dagegen)-Trilogie von Esteve Soler, in der Regie von Reinhold Tritscher (Österreich). Es ist keine Komödie und kein Drama. Es ist ein sozialkritisches Theaterstück, das hochaktuelle Themen anspricht. Man kann es sich oberflächlich ansehen und sich über die humorvollen Szenen amüsieren oder in dem Geschehen auf der Bühne nach einem tieferen Sinn suchen. Laut Regisseur Tritscher wird man dann vom Theater „ein bisschen anders rausgehen, als man reingegangen ist“.
Erste Szene: Ein gelangweiltes Ehepaar (Johanna Adam und Daniel Bucher) sitzt vor dem Fernseher. Er beschwert sich über das schlechte Fernsehprogramm, sie sitzt mit den Füßen in einer Schüssel mit Wasser. Auf einmal bleibt die Fernbedienung bei einer Sendung über Armut in Afrika hängen und eine schwarze Puppe erhebt sich auf den Kaffeetisch. Das Ehepaar wechselt die Batterien der Fernbedienung, ehe es den Fernsehtechniker anruft und schließlich zum Müllsack greift, um die Puppe zu entsorgen.
Zweite Szene: Ein Schwerverletzter (Wolfgang Kandler) liegt hilflos auf dem Boden, eine Passantin (Daniel Plier) weigert sich lächelnd, den Krankenwagen zu rufen und sieht ungerührt zu, wie der Mann stirbt.
Dritte Szene: Ein Abteilungsleiter (W. Kandler) erzählt seinem Schulkollegen (D. Bucher), dass er eine neue Religion gegründet hat, in der er der Gesandte Gottes auf Erden ist. Er möchte ein Imperium aufbauen, das „mächtiger ist, als Coca Cola“. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er auch an Menschenopfer gedacht.
Vierte Szene: Ein riesengroßer Apfel, der das Esszimmer versperrt und bis an die Decke reicht, macht einem Elternpaar (J. Adam und D. Plier) alles andere als Freude. Zum Schluss entscheiden sich die beiden, den Riesenapfel zusammen mit ihren Kindern Kain und Abel zu verspeisen.
Fünfte Szene: Eine Lehrerin (J. Adam) liest eine brutale Variante des Märchens „Rotkäppchen“ vor. Nach und nach verschwinden die Schüler und ermorden zum Schluss ihre Lehrerin.
Sechste Szene: Ein Paar (J. Adam und W. Kandler) wird durch einen begrenzten Ehevertrag gezwungen, sich nach einem Jahr zu trennen. Beide haben vorgesorgt: Er hat einen Vertrag für ein gemeinsames Kind – der natürliche Feind aller Kurzzeitbeziehungen – abgeschlossen, um sie an sich zu binden, sie hat bereits seinen Nachfolger bestimmt.
Letzte Szene: Eine Robbe ermordet ein Baby im Kinderwagen. Die Robbe (D. Bucher) erklärt, warum es notwendig ist, Menschen zu töten, die die „biologische Vielfalt der Erde“ zerstören und ohne die „die Welt viel friedfertiger“ wäre.
Alle Szenen beginnen als normale Alltagssituationen, die durch überraschende Störfaktoren albtraumhafte Wendungen nehmen und ins Unglaubliche gesteigert werden. Die Komik der Situation entsteht vor allem aus der Reaktion der Figuren auf das Surreale, und deren verzweifeltem Versuch, sich an der Normalität zu klammern. Subtil kritisiert wird die schlimmste Krankheit der modernen Gesellschaft: die Gleichgültigkeit. Fortschritt im Sinne sozialer Weiterentwicklung bedeutet hier Stillstand und teilweise sogar Involution.
Alle Schauspieler der deutschen Abteilung meisterten ihre Rollen großartig. Interessant war die Wahl der musikalischen Begleitung. Der Hermannstädter Musiker Dorin Pitariu erzeugte alle Geräusche und die Musik auf seiner elektrischen Gitarre, live auf der Bühne. Das Bühnenbild, das minimal war und dadurch die Handlung auf der Bühne in den Mittelpunkt schob, schuf Alois Ellmauer.
Das Stück ist Teil einer Zusammenarbeit zwischen der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Theaters und dem Theater Ecce Salzburg. Den ersten Teil, „Gegen die Demokratie" hatte Alexandru Dabija 2012 an der deutschen Abteilung in Hermannstadt inszeniert. Den dritten Teil der „Dagegen“-Trilogie, „Gegen die Liebe“, führen die österreichischen Schauspieler in Salzburg auf. Die Trilogie wird dann am 15. und 23. Februar im Odeion Kulturforum Salzburg und beim diesjährigen Internationalen Theaterfestival auch in Hermannstadt gezeigt.
Cynthia PINTER
Foto 1: Kritik an der Gleichgültigkeit übt Esteve Soler in dem Stück „Gegen den Fortschritt", das Montag an der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters Hermannstadt Premiere hatte. Unser Bild: Probenfoto mit Daniel Bucher, Johanna Adam und Wolfgang Kandler (v. l. n. r.).
Foto 2: Probenfoto mit Johanna Adam und Daniel Plier.
Fotos: Cynthia PINTER