So viele wie nirgendwo sonst

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Buch über Komponistinnen in Rumänien erschienen

Ausgabe Nr. 2905

Die Komponistinnen Laura Manolache (links) und Violeta Dinescu bei der von der GEDOK Köln veranstalteten Buchvorstellung. Foto: die Verfasserin

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dann ist nun dokumentarisch bewiesen: Rumänien ist das Land, in dem bei weitem die meisten Komponistinnen ausgebildet werden. Dabei sind die Künstlerinnen sehr vielseitig, jede hat einen ganz persönlichen Stil, was zu einer reichen musikalischen Welt führt, wie sie sonst nirgends existiert.

Woran mag das liegen? Es gibt da die unterschiedlichsten Begründungen: Der Sozialismus mit seiner (angeblichen) Gleichberechtigung, eine nur kleine, aber umso verschworenere Gemeinschaft der Studierenden, in der das Geschlecht keine Rolle spielt. Die reiche Folklore, das große Vorbild Myriam Marbe – es mag weitere Gründe für das Phänomen geben. Im Vorwort des nun von der Komponistin Violeta Dinescu und anderen herausgegebenen Buches wird als ein nicht zu unterschätzender Aspekt erwähnt, dass „die Parameter eines ästhetischen Leitdiskurses in Rumänien größere Deutungsperspektiven eröffneten als in anderen Ländern, wo der Diskurs enger geführt wurde, limitiert auf Fragen von Material, Technik und Handwerk: Begriffe, die zum Raisonnement einladen, weniger aber zu Spontaneität ermutigen“. Und dann fällt der Satz: „Vielleicht sind Komponistinnen hier mutiger als ihre Kollegen, die oft glauben, Rechenschaft über ihr Vorgehen abgeben zu müssen.“

Die Komponistin Violeta Dinescu lebt schon seit den achtziger Jahren in Deutschland und dort in Oldenburg, wo sie an der Universität Komposition lehrte und immer noch forscht. Nun hat sie die neueste Forschungsarbeit des Teams in Köln vorgestellt, ein dicker Wälzer von 621 Seiten, der sich mit sage und schreibe 35 Komponistinnen befasst. Da ist die Gruppe der Frauen, die in den vierziger und fünfziger Jahren geboren wurden und sich zum Studium in Bukarest unter schwierigen wirtschaftlichen und ideologischen Bedingungen zusammenfanden. Da ist die Gruppe der Jungen, die nach der Wende neue Freiheiten suchen und finden. Da sind Komponistinnen, für die die reiche Tradition der rumänischen Folklore wichtig ist und einige, die stark von der liturgischen Musik der orthodoxen Kirche geprägt sind. Und dann gibt es natürlich auch diejenigen, die all diese Quellen in sich tragen und zum musikalischen Ausdruck bringen.

An der Universität Oldenburg existiert ein Archiv für osteuropäische Musik. Es konzentriert sich vor allem auf Musik aus Rumänien. Wie es im Vorwort des nun herausgegebenen Bandes Nr. 8 heißt, umfasst das Archiv das gesamte publizierte Werk Enescus (Partituren und Tonträger) und den Hauptteil der Werke anderer bedeutender rumänischer Komponisten wie beispielsweise Anatol Vieru, Tiberiu Olah und Myriam Marbe.

Das nun erschienene Buch über die Komponistinnen erleichtert den Zugang dadurch, dass es in mehrere Teile gegliedert ist, die man – je nach Interesse und musikalischen Kenntnissen – lesen kann.

Der einfachste Zugang ergibt sich aus dem Teil mit den biografischen Angaben, also dem Werdegang der jeweiligen Künstlerin, einer Liste ihrer Werke, ergänzt mit einem kleinen Notenbeispiel (das allein schon grafisch große stilistische Unterschiede aufzeigt), einem Foto und einem persönlichen Statement zum Selbstverständnis der eigenen Arbeit. Bei der Lektüre zeigt sich, dass die meisten jungen Frauen in Bukarest studiert haben, also einem gemeinsamen „Nest“ entstammen, das offensichtlich einen großen Wert auf die künstlerische Freiheit jeder einzelnen gelegt hat.

Im ersten Teil des Buches informiert eine Sammlung von Aufsätzen allgemeiner Art zur Situation der rumänischen Musik. Er enthält Gedanken etwa über die traditionellen Quellen als kompositorische Inspiration des Komponierens in Rumänien oder über praktische Erfahrungen zur Notation von zeitgenössischer Musik. Interessant aus der Sicht von außen ist auch ein Aufsatz über die sozio-kulturelle Situation rumänischer Komponistinnen vor und nach der Wende 1989.

Dann gibt es ein Kapitel mit Interviews. Elf der Komponistinnen machen darin dem Leser die ganz individuelle Erfahrung jeder einzelnen deutlich. Man sieht, wie hier auch der Jahrgang der Frauen eine Rolle spielt.

Das letzte Kapitel ist einzelnen Werkbesprechungen gewidmet, so dass die Möglichkeit für Interessierte besteht, sich intensiver mit der Musik der Komponistinnen zu befassen.

Während der Arbeit an dem Buch stellte sich heraus, dass ein Thema jedoch so wichtig und vor allem umfangreich war, dass es ausgegliedert und in einem eigenen Band herausgegeben werden musste: Es geht um die Darstellung der großen Myriam Marbe. Der nur ihr gewidmete Band 6 in der Reihe des Archivs für osteuropäische Musik befasst sich ausführlich mit ihr und enthält eigene Texte der Komponistin, sowie Interviews und Erinnerungen anderer an sie. Und natürlich auch etliche Werkbetrachtungen und Analysen.

Elisabeth DECKERS

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Musik.