,,Das Kind hat laufen gelernt“

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Interview mit dem Schweizer Autor Catalin Dorian Florescu

Ausgabe Nr. 2888

Catalin Dorian Florescu                                            
Foto: Ruxandra STĂNESCU

„Meine Mutter wollte, dass ich Schriftsteller werde, und sie hat ihr Ziel schon mit den zwei Vornamen – Catalin und Dorian – erreicht”, erzählte der Schriftsteller Catalin Dorian Florescu der HZ-Redakteurin Ruxandra S t ă n e s c u in einem Interview vor der Lesung, die das Deutsche Kulturzentrum Hermannstadt am Montag, dem 21. Oktober, im Hermannstädter Gong-Theater organisiert hat. In Hermannstadt hat der Autor deutsch gelesen, es folgten in den Tagen danach Lesungen in rumänischer Sprache in Kronstadt, Jassy und Bukarest.

 

Wenn Sie sich bitte kurz vorstellen…

Ich habe zwei literarische Vornamen: Catalin aus Mihai Eminescus Luceafărul und Dorian kommt aus dem berühmten englischen Roman, Das Bildnis von Dorian Gray. Ich bin geboren in Temeswar, Ende der sechziger Jahre. Mein Vater hatte immer den Wunsch nach Freiheit, wie Millionen andere Osteuropäer, aber meine Muskelkrankheit in der Kindheit erlaubte uns, immer wieder das Land zu verlassen. Und das tat mein Vater auch. Wir sind im Ausland gewesen auf der Suche nach medizinischer Unterstützung, aber eigentlich auch auf der Suche nach Freiheit. 1982 durfte meine Mutter mit uns reisen, so sind wir alle drei in den Westen gereist. Bei unserer Wanderung durch den Westen sind wir eine Nacht in Zürich geblieben. Meine Mutter, die das deutsche Gymnasium in Temeswar besucht hat, sprach einen Mann auf der Straße an – vermutlich fragte sie um Rat, um Hilfe. Dieser Mann zückte einen Kugelschreiber und ein Stück Papier und notierte einen Namen. Aufgrund dieses Namens sind wir in Zürich geblieben. Ich habe Psychologie studiert, aber 20 Jahre habe ich nur geschrieben, acht Romane und zwei weitere Bücher und viele anderen Texte. Seit wenigen Jahren arbeite ich wieder als Psychotherapeut in der Schweiz.

Warum sind Sie zu der Psychotherapie zurückgekehrt?

Das kam in einer Zeit der Krise in meinem Leben, vor vier Jahren, in der Corona-Zeit. Ich hatte eine gesundheitliche aber auch eine existenzielle Krise: Wie will ich mein Leben weiter gestalten. Wie kann ich Geld verdienen? Zu dem Zeitpunkt hatte ich keinen neuen Roman, also stellten sich viele Fragen aufgrund der gesundheitlichen Krise. Ich hatte das Glück, dass ich einen Psychotherapeuten kennen lernte, der mir anbot, bei ihm zu arbeiten und damit auch Geld zu verdienen. 20 Jahre war ich Schriftsteller, habe nur vom Schreiben gelebt, aber jetzt fühlte ich die Notwendigkeit wieder einzusteigen, auch um in meinem Leben Inhalt zu haben neben dem Schreiben, nicht nur auf die Karte der Literatur zu setzen.

Welche sind die positiven und welche die negativen Seiten, nur als Schriftsteller zu leben?

Du lebst in totaler Unabhängigkeit, wie du deine Zeit gestaltest, ist dir überlassen. Du kannst jeden Tag schreiben oder auch nicht, aber du musst auf jeden Fall etwas haben. Du musst auch Ziele haben, du musst brennen für die Themen. Du musst recherchieren, was ich auch gründlich tue. Du machst dich mit deinem Thema auf den Weg und das kann zwei, drei Jahre dauern, und du musst fähig sein, ein offenes Ende zu tragen, denn du investierst Zeit und Geld, und es kann sein, dass es nicht gelingt, oder dass das Publikum dein Buch nicht annimmt, dass es sich nicht verkauft und damit musst du gut umgehen können. Nicht zuletzt müssen die Verkaufszahlen stimmen.

Catalin Dorian Florescu: Der Feuerturm, Roman. Hardcover. C. H. Beck-Verlag, 2022, 358 Seiten, ISBN 978-3-406-78148-3. 25 Euro.
In Hermannstadt liegen Bücher des Autors in der Schiller-Buchhandlung und im Erasmus-Büchercafé auf.

Schöpfen Sie aus der Psychotherapie neue Themen?

Nein, die Welten trennen sich. Es ist gut, wenn man kreativ mit dem Klienten umgeht – ich mache lösungsorientierte systemische Therapie – und da helfen Metaphern, denn ich helfe den Klienten, ihr bisheriges Leben in einer neuen Farbe zu sehen. Als Schriftsteller erfinde ich Erzählungen, Geschichten, Zusammenhänge und ich achte in der Therapie deshalb auch auf die Sprache. Das ist vielleicht das einzige. Ich trenne das sehr stark.

Wie haben Sie begonnen, zu schreiben?

Wie ich mich überhaupt entschieden haben, zu schreiben, kann ich nicht mehr rekonstruieren aber es war wohl so, dass ich mir immer treu geblieben bin und habe mich nicht entfernt von meiner inneren Stimme. Diese war wahrscheinlich stark an Erzählung, an Literatur und Schreiben orientiert. Irgendwann war dieser erste Roman Wunderzeit, der meine Kindheit erzählt. Die Geschichte wird aus der Perspektive eines Kindes erzählt, eine junge Stimme, und das mochten die Leute, das war erfrischend. Er erzählt über eine dunkle Welt, jedoch durch die Augen eines Kindes, das nicht so viel kritisiert, sondern nur beschreibt und wo auch Platz ist für zauberhafte Kindheit. Das Buch war eine Reverenz an meine Kindheit und der Startpunkt für mein Schreiben.

Wann wissen Sie, dass ein Roman zu Ende ist?

Ja, schwer zu sagen… Ich kann über den Anfang und über den ersten Satz mehr als über den letzten Punkt sagen. Es ist so, dass ich spüre, ja, das Kind hat jetzt laufen gelernt und jetzt muss das Kind laufen. Wann genau, weiß ich nicht. Ich muss es spüren, und es ist wichtig, dass das Ende auch für mich nicht zu beschwichtigend ist, im Sinne „sie lebten glücklich….” Doch auch jeder Leser eignet sich ein Buch auf seine Art und Weise an. Er liest sich selbst durch das Buch.

Schreiben Sie Deutsch oder Rumänisch?

Ich bin ein Schweizer deutschsprachiger Autor und wenn man es so will, damit es komplexer wird, bin ich ein europäischer Autor, denn ich habe keine nationale Identität.

Wie finden Sie die Übersetzungen?

Ich lese jetzt gerade integral den Feuerturm, der gerade neu auf Rumänisch erschienen is, das ist aber das erste Mal seit vielen Jahren, denn ich habe aufgegeben, meine Bücher ganz zu lesen oder überhaupt die Übersetzungen zu lesen. Meine Übersetzerin, Mariana Bărbulescu, macht seit so vielen Jahren eine fantastische Arbeit, sie verleiht eine rumänische Stimme und das klingt sehr gut.

Sie sind jetzt wieder auf Lesereise. Wie wichtig sind und waren die Lesungen?

Seitdem ich übersetzt wurde, bin ich das erste Mal in Rumänien, das Zentrum sind die deutschsprachigen Länder. Da war ich vielfach auf Lesereise, dass ist ein Teil der ganzen Förderung der Literatur. Es ist wichtig, denn du gehst aus deiner Blase heraus, triffst Menschen, du hast Feedback. Zweitens, wenn du die Auftritte genießt, hast du auch was davon. Ich mache das sehr gerne und Angst und Bange habe ich nur, dass der Saal leer ist. Außerdem sind die Lesungen doch bezahlt. Das ist eine Möglichkeit, sein Leben als Schriftsteller zu finanzieren. Bis Corona kam, war ich sehr verwöhnt mit den vielen Lesungen.

Viel Freude an der heutigen Lesung und herzlichen Dank.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher, Persönlichkeiten.