,,Bücher haben ihre Schicksale“

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Zu den Glossen von Nina May / Von Prof. Dr. em. Mariana-Virginia LĂZĂRESCU

Ausgabe Nr. 2882

Bei der Buchvorstellung im Erasmus-Büchercafé (v. l. n. r.): Traian Pop, Nina May und Beatrice Ungar.                                      
Foto: Aurelia BRECHT

„Bücher haben ihre Schicksale“. Als ich nämlich 2023 nach einem Bandscheibenvorfall im Bett lag und mir vor lauter Schmerzen die Welt unterzugehen drohte, bat ich meinen Mann, mir ältere ADZ-Exemplare, die wir im Haus hatten, zum Lesen zu bringen. Da stieß ich auf die Texte von Nina May in der Samstagnummer, die ich zum Teil schon kannte. Ich begann plötzlich so laut aufzulachen, dass mein Mann erschrocken aus dem Nebenzimmer zu mir eilte, nicht wissend, was geschehen war. Wie sollte ich aber nicht lachen beim Lesen dieser klugen, witzigen, wohlwollend kritischen Texte? Als Germanistin dachte ich gleich an eine literaturkritische Einordnung. Was für epische Textsorten sind es denn? Anekdoten, Kalendergeschichten, Schelmengeschichten? Letztendlich habe ich mich für das literarische Genre der Glosse entschieden. Im Sprachgebrauch ist damit meistens die journalistische Textsorte gemeint. Nina May ist zwar Diplom-Physikerin, aber seit 2011 Journalistin und darüber hinaus seit 2020 Chefredakteurin der ADZ.

Mit ihren geistreichen Glossen, die Vorkommnisse aus Rumänien satirisch aufs Korn nehmen und ein facettenreiches Bild vom Land dokumentieren, gewinnt die Zeitung an Aktualität, steigt das Interesse für die Lektüre noch mehr. Beim Lesen dachte ich mir aber: Ist es nicht schade, dass diese Texte, die aus der Zeitspanne von 2011 bis 2024 stammen, nur in der ADZ zu lesen sind? Es gelang mir nach mehreren Versuchen, Nina May zu überzeugen, mir die Texte als Manuskript per Mail zu schicken. Warum nicht ein Buch daraus machen, das sich an ein breiteres Publikum wendet? Mein Mann las sie auch mit den Augen des Sprachwissenschaftlers und meinte, man sollte Fußnoten eingeben, damit einige Namen von Personen und Ortschaften, Bezeichnungen von Einrichtungen und Organisationen – von sogenannten Sachspezifika, in der Fachliteratur „Sachrumänismen“ genannt – verständlicher und überzeugender wirken. Und das tat er dann auch. Nina sprach den Pop Verlag an, der sich bereit erklärte, die Glossen zu veröffentlichen. Die ganze Entstehungsgeschichte erfährt man aus dem unkonventionell und liebevoll verfassten „fetten Dankeschööön“ am Ende des Glossenbuches (S. 365-367).

Nina May mit der „Prima Verba“-Urkunde für den Debütpreis 2024 des Pop Verlags und ihrem Buch.                                        
Foto: George DUMITRIU

Auf dem Umschlagbild ist die Unterschrift von Paπ (mit dem Buchstaben „π“ aus der Mathematik!) alias Emilian Roşculescu zu lesen, eines emblematischen vor kurzem verstorbenen Dichters und Künstlers aus dem Banat.

Zwei Buchpräsentationen fanden schon statt, eine am 14. September im Erasmus-Büchercafé in Hermannstadt und eine am 16. September im Goethe Institut Bukarest, bei denen Nina May einige Glossen vorlas und kommentierte. Anlässlich der Buchvorstellung in Bukarest wurde Nina May die „Prima Verba“-Urkunde für den Debütpreis des Verlags überreicht. Der in Kronstadt geborene Schriftsteller, Journalist, Herausgeber und Verleger Traian Pop Traian stellte dem Publikum das Profil seines Verlags vor, in dem neben vielen verschiedenen Buchreihen auch die Literaturzeitschriften Matrix und Bawülon erschienen sind. Der Untertitel „Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“ lässt einen Deutschen aufhorchen. Er denkt bestimmt an die Redewendung „Jemanden in die Walachei schicken“ – oder auf österreichisches Deutsch gesagt: „zum Salzamt schicken“ –, wobei gemeint ist, den anderen quasi an das Ende der Welt zu schicken. Die Redewendung im Titel geht auf die historische Region Țara Românească zurück, die im Deutschen als die Walachei (rumänisch: Valahia, bzw. Muntenien/Muntenia) bezeichnet wird. Aber Nina May gibt der alten Redewendung eine weitaus tiefere Bedeutung.


Nina May: Das gibt’s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns. Glossen, erste Staffel, Pop Verlagp Ludwigsburg 2024, 372 Seiten, ISBN 978-3-86356-405-6. 24,90 Euro/145 Lei. In Hermannstadt liegt das Buch in der Schiller-Buchhandlung und im Erasmus-Büchercafé auf.

Die Glossen wären nicht entstanden, wenn Nina vor vielen Jahren nicht zuerst aus dem „zivilisierten deutschen Beamtenleben“ in Siebenbürgen „ausgestiegen“ und danach nicht in die „klösterlich-idyllische Einsamkeit eines Kleinbauernhofs im vermeintlich furchterregenden Dracula-Land“ abgesprungen wäre. Ihrem rumänischen Ehemann bzw. „Göttergatten”, der unter dieser Bezeichnung in den meisten Glossen vorkommt, ist es zu verdanken, dass sie in einem Dorf in der Walachei landete, unweit von Bukarest, wo im Rahmen ihrer Tätigkeit für die ADZ „Konsumwahnsinn, formelle Empfänge und Dienstreiseabrechnungen, morgendlicher Großstadtstau“ zum eigenen Abenteuer wurden und immer mehr Stoff für ihre Texte lieferten.

Im Land der Geschichten, wie sie Rumänien gern nennt, lernte sie den Zusammenprall der Kulturen und Traditionen, „den Alltagswahnsinn“ kennen, der nicht nur von einer ausgeprägten Beobachtungsgabe, sondern auch von feinstem Witz und unerschöpflicher sprachlicher Ausdrucksfähigkeit zeugt. Kein Wort lässt sich aus den Texten ersetzen oder streichen, alles fließt ruhig und logisch aus der Feder der begnadeten Journalistin.

Die interkulturelle Begegnung ist informativ und instruktiv sowohl für Rumänen als auch für Deutsche in Rumänien und niemand sollte sich gekränkt fühlen, weil er sich in der Beschreibung wiedererkennt. Die Texte sind meistens belehrend, aber die Moral wird nicht streng und böse mit gehobenem Finger, sondern einfühlsam, wortgewandt und mit bester Absicht erteilt.

„Castigat ridendo mores“ („Man korrigiert Sitten, indem man über sie lacht“), das wäre zumindest von den rumänischen Leserinnen und Lesern zu erwarten, denn die Glossen lassen sich auch als zeitgenössische Milieubeobachtungen und Verhaltensstudien lesen. Humor ist, wenn man trotzdem lacht, und am Ende ist man im Vorteil.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.