19. Schauwerkstatt der Wandergesellen in Hermannstadt
Ausgabe Nr. 2878
Die 19. Schauwerkstatt der Wandergesellen hat in diesem Jahr vom 7. bis 18. August vor der evangelischen Stadtpfarrkirche stattgefunden. Bei der Eröffnung am 7. August bot ein Jugendchor Livemusik, und die Gesellen weihten die Werkstatt mit einem zeremoniellen Stiefeltrinken ein. Die Werkstatt sei eine Wiedergutmachung für den Weggang vieler örtlicher Handwerker, hieß es u. a. in den Ansprachen. Manche Gesellen hätten hier nicht nur Freundschaften, sondern auch ihre Partnerin fürs Leben gefunden, sodass in diesem Jahr eine internationale Hochzeit gefeiert wurde.
Der Eröffnungsredner schätzte auch die Vorzüge des alternativen Handwerks. So werden Schlüssel aus dem Mittelalter so geformt, dass sie wieder ins historische Schloss passen. Eine Dienstleistung, die ein gängiger Schlüsseldienst entweder gar nicht oder nur unter hohem Kostenaufwand machen würde. Im Anschluss an die Eröffnung kamen Handwerker sowie Teilnehmer der Feier zusammen. Es wurde Fingerfood sowie Bier und Wein serviert. Bis zum 18. August d. J. hatte jeder Interessierte die Chance die Werkstatt zu bestaunen.
Einige Tage nach der Eröffnung treffe ich den Schmied Fynn aus Eckernförde, welcher seit zwei Jahren unterwegs ist. Er erzählt mir einige Details zu der Wanderschaft. Die Kontaktaufnahme läuft ausschließlich über Mundpropaganda, es gibt keine Online-Werbung, eine schriftliche Bewerbung ist ebenfalls nicht vonnöten. Die Wandergesellen fallen vor allem durch ihre Kluft auf, wodurch oft die ersten Gespräche entstehen.
In den ersten 3 Monaten werden dem Neugesellen die Fähigkeiten beigebracht, die für die Reise wichtig sind. Darunter fällt, wie man Leute anspricht, wie man nach einer Unterkunft sucht, wenn man kein Geld hat und wie man auch beim Trampen besteht. Hat der Geselle die Tests bestanden, bekommt er in einem zeremoniellen Vorgang einen Ohr-Nagel mit einem Hammer meist auf einem Tisch oder Holzpfosten verpasst. Dies gilt unter den Wanderern als Ritterschlag und symbolisiert die Fähigkeit, allein auf Wanderschaft zu gehen.
Nach Erhalt des Gesellenbriefs darf man bis zu 3 Jahre und 1 Tag unterwegs sein. Aktuell sind in Hermannstadt Steinmetze, Schlosser, Maurer und Schmiede tätig, welche aus Frankreich, England und vor allem aus Deutschland stammen.
Während der 3 Jahre darf man sich seinem Heimatort nicht näher als 50 Kilometer nähern. Ausnahmefälle bilden Trauerfälle in der Familie. Außerdem sind das Vorhandensein von Frau und Kind, Vorstrafen oder Schulden für die Reise unzulässig.
Berufe im Lebensmittelbereich wie Metzger oder Bäcker kommen ebenfalls infrage. Auch Maler und Frisöre wurden schon auf Wanderschaft gesichtet. Der Beruf muss jedoch seit mindestens 100 Jahren als Lehrberuf anerkannt sein.
Die Kluftarten sind auch nach Farben sortiert. So steht beispielsweise eine schwarze Tracht für holzverarbeitende Berufe wie Tischler oder Zimmermann. Manchmal wird eine Herberge genehmigt, wenn die Handwerker sie im Gegenzug renovieren.
Es geht bei der Reise vor allem um ideelle Werte. Ein Abzeichen oder andere materielle Güter sind nicht vorgesehen. Man lernt, für sich selbst zu sorgen. „Die Selbstständigkeit durch die Suche nach einem Schlafplatz oder die Reise ohne eigenes Auto und öffentliche Verkehrsmittel lässt einen erwachsen werden“, erzählt Fynn abschließend.
Johann WIEGELS