Eine moderne Aussteigergeschichte

Teile diesen Artikel

Das neueste Buch des Banater Autors Anton Sterbling regt zum Nachdenken an

Ausgabe Nr. 2875

Anton Sterbling: Rückkehr aus dem Klimadelirium und die merkwürdige Begegnung mit Nikolaus Lenau in Wien, Pop Verlag Ludwigsburg 2024, 183 Seiten, ISBN 978-3863-5638-99, Preis: 77 Lei/15,50 €. Das Buch liegt in Hermannstadt in der Schiller-Buchhandlung und im Erasmus-Büchercafé auf und kann auch bestellt werden unter erasmus@buechercafe.ro

Es ist schon erstaunlich wie eine kleine Zahl rumäniendeutscher Autoren bis heute den literarischen Diskurs in Deutschland beeinflusst. Und das nicht erst seit Herta Müllers Auszeichnung mit dem Nobelpreis für Literatur. Den guten Ruf hat die rumäniendeutsche Literatur auch Autoren wie Anton Sterbling zu verdanken, die sich unermüdlich an den großen Themen abarbeiten. Dahinter verbirgt sich vor allem die Auseinandersetzung mit der Diktaturgeschichte, die verschiedene zuweilen auch regional unterschiedliche Facetten hat. Stichworte sind hier die Deportationen in die Sowjetunion, in den Bărăgan oder die Verstrickungen von Künstlern mit der Securitate.

Hier hat Sterbling, 1953 in Großsanktnikolaus im Banat geboren, Gründungsmitglied der „Aktionsgruppe Banat“ und emeritierter Professor für Sozialwissenschaften, Verdienstvolles geleistet. Zu denken ist hier an jüngere Veröffentlichungen bzw. Herausgeberschaften: „Deportationen – Literarische Blickwinkel“ (gemeinsam mit Albert Bohn) oder der kürzlich erschienene Erzählband „Flucht der Deutschen aus dem Banat im Herbst 1944“ (gemeinsam mit Albert Bohn und Werner Kremm).

Gerade die authentischen Schilderungen der dramatischen Ereignisse am Kriegsende sind ein einmaliges Zeugnis und gehen unter die Haut.

In seinem neuesten, ebenfalls im Pop-Verlag Ludwigsburg herausgegebenen Buch „Rückkehr aus dem Klimadelirium und die merkwürdige Begegnung mit Nikolaus Lenau in Wien“ widmet sich Sterbling einem anderen, die Zeitgenossen bewegenden Thema, der Klimakrise. Ausgangspunkt ist ein böser Traum, der seinem Haupthelden, Prof. Dr. Dr. Bartholomäus Jeanpaul, wiederfährt. Als Alter Ego, kehrt er seiner Frau, den Kindern (seine Tochter ist Klimaaktivistin) und der akademischen Laufbahn den Rücken und flieht in die Weltabgeschiedenheit des Banater Berglands. Hier philosophiert er über den Begriff Klimadelirium, der sich „unabweisbar ins Bewusstsein drängt“. Kein Wunder, spaltet doch die aktuelle Klimadebatte nicht nur die Gesellschaft, sondern erzeugt eine zunehmende Entfremdung. Eine Entfremdung, die zum Unmut des Literaturwissenschaftlers Jeanpaul zu einer Art Glaubenskrieg hochstilisiert wird.

Auf der Suche nach der Wahrheit, erkundet Jeanpaul lieber seine neue Umgebung. Hierbei gerät er an eine „junge wahrsagende Zigeunerin“, die ihm ganz neue Einsichten schenkt oder schließt sich einem serbischen Mönch an, um in einem Kloster in Athos zu leben. Aber auch das findet bei dem unruhigen Geist ein baldiges Ende. Es ist eine moderne Aussteigergeschichte mit philosophischem Tiefgang, substanzreich erzählt, die zum Nachdenken anregt.

Am Ende des Textes holt den Erzähler sogar seine eigene Geschichte ein. Da erscheinen wie in einem zweiten Teil des Buches, Sterblings Mitstreiter der Aktionsgruppe Banat, die ihrerseits sich den Herausforderungen der Gegenwart stellen. So wie Horst Samson, der das Haus der Vorfahren im Banat erwirbt, weil doch „der Wandel der Menschen zur Unsterblichkeit“ bereits begonnen habe. Ein Stichwort, das auch Johann Lippet, Ernest Wichner, Albert Bohn, Hellmuth Seiler oder Werner Kremm umtreibt, schließlich tauchen die Mitglieder der Dissidenten-Aktionsgruppe mit phantasievollen Rollen im Umfeld von Nikolaus Lenau auf, der ebenfalls aus dem Banat stammt und in Wien zu Hause ist. Damit dies reibungslos funktioniert, werden auch die Akteure mit der Unsterblichkeit belohnt. Neben dem Spätromantiker Lenau erscheinen nun aber auch Dichter und Denker aus zwei Jahrhunderten. Ein groteskes Theater nimmt seinen Lauf, zumal nun Robert Musil, Carl Zuckmayer, Ödön von Horvath und Ingeborg Bachmann u.v.a. auf den Plan gerufen werden. (Später erscheint sogar Goethe) Mal Fiktion, mal Realität jagt der Text voran, der Leser weiß nicht, ist er im Realen oder Fiktiven, im Traum oder der Wirklichkeit, weil alles miteinander verschwimmt. Ein Musterbeispiel des magischen Realismus. Dank Sterblings Phantasie und Ideenreichtum feiert das Komische, das Doppeldeutige, sogar das Absurde fröhliche Urständ. Und sorgt einmal mehr dafür, dass rumäniendeutsche Literatur mehr ist, als der nostalgische Blick zurück.

Andreas H. APELT

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.