,,Als der Kessel explodierte“

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Vor 80 Jahren: Die Waffen-SS-Aktion 1943 und die Rumäniendeutschen

Ausgabe Nr. 2844

Paul Milata: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS. 478 Seiten, Schiller Verlag Hermannstadt-Bonn 2023, broschierte Ausgabe, ISBN 978-3-9499583-48-3, 89 Lei/19,90 Euro.
Das Titelbild zeigt SS-Obergruppenführer Berger, wie er im Oktober 1943 in Wien zu Rekruten der Waffen-SS aus Siebenbürgen spricht.

Vor 80 Jahren fand eines der folgenschwersten Ereignisse in der Geschichte der Deutschen Rumäniens statt: Nach Abschluss eines Abkommens zwischen den verbündeten Staaten Rumänien und Deutschland im Mai 1943 meldeten sich im Sommer desselben Jahres innerhalb weniger Monate etwa 50.000 Mann zur Waffen-SS. Das entsprach 80% der ca. 63.560 deutschen SS-Angehörigen mit rumänischer Staatsbürgerschaft. Warum waren diese Männer Mitglieder der Waffen-SS und nicht der Wehrmacht? In welchen Einheiten wurden sie eingesetzt? Wie viele dienten in KZs?

Warum traten die Deutschen aus Rumänien nicht in die Wehrmacht ein? Weil sie es nicht durften. Bis Kriegsanfang 1939 standen Wehrmacht und Waffen-SS in verbitterter Konkurrenz. Die Wehrmacht sah in der Waffen-SS eine zweite Armee und bremste deren Entwicklung. Ein effektives Mittel war die Einschränkung des SS-Zugriffs auf reichsdeutsche Rekruten. Als Ende 1939 SS-Chef Himmler „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums wurde und das Monopol in „volksdeutschen“ Fragen erhielt, leitete die SS sofort eine Rekrutierung im Ausland ein. Das Pilotprojekt fand unter den Deutschen in Rumänien statt, deren „Volksgruppenführer Schmidt auch Schwiegersohn des SS-Rekrutierungschefs Berger war. Die Aktion wurde ein voller Erfolg. Und: Die Wehrmacht zeigte keine Reaktion.

Nach Barbarossa flammte der Kompetenzstreit wieder auf. Am 17. November 1941 legte ein Abkommen die Zuständigkeiten fest: Die Wehrmacht sollte fortan im Reich rekrutieren, die Waffen-SS außerhalb. Das Abkommen wurde bezüglich Deutscher in Rumänien von beiden Seiten überwiegend eingehalten.

Nach dem SS-Eintritt lässt sich die Spur von weniger als der Hälfte der SS-Männer verfolgen. Die überwiegende Mehrheit fand sich in Einheiten mit militärischen Funktionen wieder (z. B. III. SS-PzKps., 1. SS-Div. „Leibstandarte Adolf Hitler”), inklusive SS-Einheiten zur Partisanenbekämpfung (z. B. 7. SS-Div. „Prinz Eugen”). Einige Dutzend kamen zu SD-Sonderkommandos und in die SS-Verwaltung. Das SS-Hauptamt wies etwa 2.031 (3,2 Prozent) den Konzentrationslagern zu. Dieses entspricht dem Schlüssel der gesamten Waffen-SS. Ungewöhnlich ist, dass die Mehrheit (1.162-1.558) in einem Vernichtungslager diente (z. B. Auschwitz, Lublin-Majdanek). Die Rekruten hatten auf ihre Zuweisung keinen Einfluss. Dieses befreit sie nicht vom späteren Begehen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie z. B. der Selektion von Juden, die vergast wurden.

Die Gefallenenrate war mit 27,50 Prozent sehr hoch, stand aber nicht über dem Waffen-SS-Durchschnitt (30-33 Prozent). Bei der Kapitulation Deutschlands kamen die meisten in westliche Gefangenschaft. Nur 10-30 Prozent kehrten wieder nach Rumänien zurück.

In der Abwägung für und wider einer Meldung „zu den Deutschen“ sollten 1943 sieben Argumente für den Eintritt überwiegen.

  1. Pragmatismus. Im Falle der Verweigerung eines SS-Eintritts wären die Männer 1943 als wehrpflichtige Staatsbürger einberufen worden. Das negative Bild der rumänischen Armee wurde kurz vor der Massenrekrutierung bestätigt, als bei Stalingrad 18 der 26 rumänischen Divisionen zerschlagen wurden. Die Waffen-SS bot höhere Überlebenschancen, einen 50 mal höheren Sold und eine Angehörigenunterstützung.
  2. Sowjetischer Expansionismus. Die in der Zwischenkriegszeit gehegten Befürchtungen wurden im Juni 1940 bestätigt, als Moskau rumänisches Staatsgebiet besetzte und dort ein Terror-Regime einrichtete. Der sowjetische Vormarsch 1943 wurde als Grund gesehen „jetzt erstrecht” anzutreten (trotz oder wegen Hitler).
  3. Mythos Deutschland. Die „Deutschland Utopie war unter den Deutschen in Rumänien noch 1944 verbreitet.
  4. Ideologie. Insbesondere jüngere Rekruten waren Nationalsozialisten. Etwa 43 Prozent hatten beim Waffen-SS-Eintritt den 22. Geburtstag noch nicht erreicht.
  5. Alltagskultur, z. B. Jugendliteratur (Krieg als Abenteuer), die Begeisterung der Frauen für deutsche Uniformen, die Unkenntnis des Unterschiedes zwischen Wehrmacht und Waffen-SS oder der Wunsch an „der Geschichte“ teilzunehmen.
  6. Eliten-Versagen. Das Verhalten der Entscheider der Zwischenkriegszeit spielte eine entscheidende Rolle, insbesondere in Wirtschaftsfragen. Das problematische Verhalten Bukarests (auch) gegenüber der deutschen Minderheit ist bekannt. Weniger thematisiert wird der Vertrauensverlust der Eliten innerhalb der Bevölkerung. Diese sah zunehmend nur noch in Berlin eine Hoffnung auf Hilfe gegenüber Bukarest. Folgerichtig wählte so mancher 1935 die Nationalsozialisten und trat 1943 in die Waffen-SS ein.
  7. Sozialer Druck. Die oben angeführten Argumente und bestehende soziale Strukturen führten zu einem ausgeprägten Gesellschaftsdruck.

Vereinzelt gab es Fälle von Gewalt gegen „Verweigerer und mindestens einen Mord. Argumente gegen den SS-Eintritt waren aber nie mehrheitsfähig. Laut wurden einzig Familienväter, die ihre Familien nicht ohne ein Einkommen zurücklassen wollten. Politische Einwände wurden von der Jugend überhört. Und selbst Konservative waren 1943 von der Notwendigkeit des Krieges gegen die Sowjetunion überzeugt. Kritik an der rassistischen NS-Politik war entweder diskret, wirkungslos oder beides. Die Realität der KZs war einem kleinen Kreis des bürgerlichen NS-Widerstandes bekannt. Es gibt keine Indizien, dass dieser die Informationen verbreitete.

Das Desaster des Zweiten Weltkrieges war ein Versagen der Eliten der Zwischenkriegszeit, im Großen wie im Kleinen, und die Eliten der Deutschen aus Rumänien waren keine Ausnahme. Ihre Weigerung einer Demokratisierung der Führung („Vorwahlen) mündete in der Wahl der Nationalsozialisten. Ihre Unfähigkeit, auf die Interessen der Bevölkerung zu reagieren wurde 1935 durch die Stimmenabgabe für politische Abenteurer bestraft. 1948 schrieb Hans-Otto Roth die SS-Aktion von 1943 sei „der folgeschwerste Fehler der sächsischen Geschichte. Das war sie. Aber: Zu deren Entstehung hatte der Kreis dem er angehörte – und den er dafür als einziger zwar deutlich kritisierte aber nicht verließ – durch eine „zuwartende Haltung(Roth) – Klartext: Nichtstun – beigetragen.

Dieses soll nicht den Blick auf die entscheidende Rolle Bukarests trüben. Andererseits kann die Verantwortung Bukarests nicht die Fehler Hermannstadts aus der Welt schaffen. Bis heute richten sich die Augen auf das Jahr 1943, als der Kessel mit lautem Knall explodierte. Der Druck hatte sich aber über Jahrzehnte aufgebaut.

Paul MILATA

 

 

Zum Autor

Paul Milata absolvierte das Brukenthal-Gymnasium in Hermannstadt (Rumänien) und die Universität McGill in Montreal (Kanada). Er promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin (Deutschland). Er leitet eine Berliner Unternehmensberatung, die auf Executive Search und Betrugsermittlungen in Zentral- und Osteuropa spezialisiert ist. Für das Buch (zunächst als Band 34 der Reihe Studia Transylvanica 2007 im Böhlau Verlag Köln erschienen) aus dem der vorliegende Auszug stammt, erhielt er den Ernst-Habermann-Preis 2008.

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.